In Griechenland entscheidet sich die Zukunft Europas

Auch die Glaubwürdigkeit der Europäischen Währungsunion steht auf dem Spiel. Europa in der Zwickmühle – schnelles Handeln gefordert.

15.06.2012 | 15:26 Uhr

Die Staatsschuldenkrise in Europa ist im Kern weniger eine wirtschaftliche, sondern eher eine politische Krise. Nach Berechnungen der OECD werden die Staatsverschuldung in der Eurozone in diesem Jahr bei 99,1 % des BIP und das Haushaltsdefizit bei 3,0 % des BIP liegen. Im Vergleich dazu erwartet die OECD für die USA und für Japan eine Staatsverschuldung von 108,6 % und von 214,1 % des BIP sowie ein Haushaltsdefizit von 8,3 % in den USA und von 9,9 % des BIP in Japan. Darüber hinaus war das Leistungsbilanzsaldo der Eurozone gegenüber dem Rest der Welt in den vergangenen zwölf Jahren nahezu ausgeglichen, sodass keine Ungleichgewichte bereinigt werden müssten. Auch sind die Schulden überwiegend in Euro denominiert, sodass es keinen Währungs-Mismatch gibt wie bei der Asienkrise, als die betroffenen Länder einen großen Teil der Schulden in Fremdwährung (US-Dollar) aufgenommen hatten.

Vor dem Ausbruch der Krise sahen die Investoren an den Finanzmärkten die Eurozone als eine Einheit, seit Ausbruch der Krise scheinen sie jedoch dazu übergegangen zu sein, jedes Land einzeln und nur noch als einen Teil eines festen Wechselkurssystems zu bewerten. Die hohen Zinsen in vielen Euro-Mitgliedsländern dürften vor diesem Hintergrund eine hohe Währungsrisikoprämie beinhalten, da die Teilnehmer an den Finanzmärkten die Wahrscheinlichkeit eines Austritts eines Landes aus der Europäischen Währungsunion in die Kurse einpreisen.

Dadurch entsteht ein Teufelskreis. Die hohen Zinsen verschlechtern das Wirtschaftsumfeld und die Rückzahlungsfähigkeit der Schulden, damit steigt das Risiko einer Staatspleite und eines Austritts aus der Europäischen Währungsunion, was wiederum zu höheren Zinsen führt. Spanien leidet derzeit unter einem schwachen nominalen Wachstum und hohen Zinsen. Dementsprechend ist ein steigender Verschuldungstrend zu beobachten.

Europäische Währungsunion: Spanien braucht Wachstum und niedrigere Zinsen

BIP in % ggü. Vj., Rendite in %, Verschuldung in % des BIP

Vor diesem Hintergrund besteht durchaus das Risiko, dass sich die Krise von Spanien ausgehend wie ein Krebsgeschwür auf Italien, Frankreich und letztendlich auch auf Deutschland ausbreiten könnte.

Historisch war ein Schuldenabbau zumeist dann erfolgreich, wenn über einen längeren Zeitraum die Zinsen unter dem nominalen Wirtschaftswachstum lagen. Für die Mitgliedsländer der Eurozone bedeutet dies, dass jedes einzelne Land durch erhebliche Strukturreformen das Wirtschaftswachstum stärken muss. Auch müssen die Länder durch Sparanstrengungen für nachhaltig gesunde Staatsfinanzen sorgen. Die Eurozone als Ganzes muss in Richtung einer Fiskalunion und der Emission von Eurobonds weiterentwickelt werden. Mit Letzterem würde die Währungsrisikoprämie wegfallen und die Kreditausfallrisikoprämie deutlich sinken, sodass sich die Zinslast für die Problemländer verringern würde. Zuletzt benötigt die Eurozone noch einen kräftigen monetären Stimulus durch die Europäische Zentralbank (EZB), um das nominale Wirtschaftswachstum wieder in Gang zu bringen. Ein sinkender ZEW-Index (Dienstag) und schwache Einkaufsmanagerindizes (Donnerstag) dürften die Notwendigkeit zum Handeln unterstreichen. Nur der ifo-Index (Freitag) könnte nach unserer Einschätzung infolge des abwertenden Euro leicht zugelegt haben.

„Grexit“ kommt – früher oder später

Der Wahlausgang in Griechenland könnte zwar kurzfristig die Stimmung an den Finanzmärkten beeinflussen, grundsätzlich steht Griechenland aber unabhängig vom Ergebnis der Wahlen vor einem Austritt aus der Eurozone. Dafür spricht, dass Griechenland bereits die Anforderungen aus dem ersten und aus dem zweiten Hilfspaket nicht erfüllen konnte oder wollte – was umso schwerer wiegt, als Strukturreformen und Einsparungen wie gesagt elementare Bestandteile der Krisenbekämpfung sind. Griechenland darf schon aus Gründen der Glaubwürdigkeit kein drittes Rettungspaket erhalten. Bei einem Wahlsieg der linksradikalen Syriza könnte der Austritt des Landes aus der Eurozone sehr schnell vonstatten gehen. Die Troika aus Internationalem Währungsfonds (IWF), EZB und EU-Kommission würde ein Scheitern des zweiten Rettungspakets verkünden, und die EZB dürfte daraufhin griechische Wertpapiere nicht mehr als Sicherheiten akzeptieren und würde damit die griechischen Banken von der EZB-Liquidität abschneiden. Griechenland müsste vor diesem Hintergrund „freiwillig“ eine eigene Währung einführen, um das Bankensystem wieder funktionsfähig zu machen. Bei einem Wahlsieg der reformfreundlichen Parteien würde sich der Austritt sehr wahrscheinlich verzögern, da Griechenland zunächst mehr Zeit erhalten dürfte, die Einsparungen und Strukturreformen umzusetzen. Nach Aussagen von Insidern dürfte auch eine von Samaras geführte Regierung dabei keine nennenswerten Fortschritte erzielen können, sodass die Troika spätestens im Herbst verkünden dürfte, dass der Rettungsplan für Griechenland gescheitert ist.

Ein Austritt Griechenlands aus der Europäischen Währungsunion birgt zwar die Gefahr von Ansteckungseffekten, aufgrund der umfangreichen Vorbereitungen halten wir jedoch die Risiken für beherrschbar. Ein Austritt Griechenlands könnte sogar der Katalysator für Schritte in Richtung einer Fiskalunion und für umfangreiche Liquiditätsschritte der EZB sein, da alle anderen Mitgliedsländer der Europäischen Währungsunion bereits große Fortschritte bei den Strukturreformen und teilweise bei den Sparmaßnahmen erzielt haben. Eine Entwicklung in diese Richtung könnte dadurch beschleunigt werden, dass der französische Präsident Hollande von Sonntag an wieder mehr Handlungsspielraum hat, weil mit den Wahlen zur Nationalversammlung der Wahlkampf in Frankreich beendet ist.

Auf dem G-20-Treffen (Montag und Dienstag) dürften die europäische Schuldenkrise und eine koordinierte Reaktion auf die Wahlen in Griechenland im Fokus stehen. Gerüchten zufolge planen die wichtigsten Zentralbanken umfangreiche Liquiditätsschritte, falls es zu Marktturbulenzen nach den Wahlen in Griechenland kommen sollte.

USA: Weitere quantitative Lockerung (QE3) auf der Agenda?

Mit ihren Liquiditätsschritten reagierte die Fed in den vergangenen Jahren immer auf deutlich gefallene Inflationserwartungen, um die Deflationsrisiken frühzeitig einzudämmen. Derzeit spiegeln die Kurse am US-Ren­tenmarkt eine mittelfristige Inflationsrate von 2,6 % wider, was über dem langfristigen Durchschnitt von 2,45 % liegt. Demnach hat der Offenmarktausschuss (Mittwoch) keinen Handlungsbedarf. In den vergangenen Tagen mehrten sich jedoch nach zuletzt enttäuschenden Konjunkturdaten die Anzeichen für eine zunehmende Handlungsbereitschaft der Fed. Wir schließen daher nicht aus, dass die US-Notenbank schon am Mittwoch neue geldpolitische Maßnahmen beschließen oder zumindest ankündigen wird. Alles andere wäre eine große Enttäuschung für die Finanzmärkte.

Ansonsten werden in den USA mit dem NAHB-Wohnungsmarktindex (Montag), den Baubeginnen (Dienstag) und dem Philadelphia-Fed-Index (Donnerstag) Konjunkturdaten aus der zweiten Reihe veröffentlicht.  

Diesen Beitrag teilen: