Jenseits von Maastricht | |
03/2015 | |
Martin Hüfner | |
Assenagon (Website) |
Im Maastricht-Vertrag wurden für den wirtschaftlichen Bereich gute Regeln zur Haushaltspolitik, zur Staatsverschuldung und anderem Bereichen festgeschrieben. Sie sind eine Richtschnur und eine unverzichtbare Grundlage für das Zusammenleben im Euro.
17.03.2015 | 10:40 Uhr
Im Jahr 1958 veröffentlichte Wilhelm Röpke, einer der Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft, ein Buch mit dem Titel "Jenseits von Angebot und Nachfrage". Seine These war: Neben den wichtigen wirtschaftlichen Kriterien wie der freien Preisbildung muss es in einer Gesellschaft auch andere Werte wie Sitte, Anstand, Moral und Wertüberzeugungen geben. Sonst funktioniert das Ganze nicht. Über den Inhalt der Werte kann man streiten. Dass es aber etwas jenseits der Ökonomie geben muss, ist heute weitgehend akzeptiert.
Bei der gegenwärtigen Diskussion über die Hilfen für Griechenland kam mir dieses Buch wieder in den Sinn. In gewissem Maß kann man die Botschaft nämlich auf die Probleme in der Währungsunion übertragen. Im Maastricht-Vertrag wurden für den wirtschaftlichen Bereich gute Regeln zur Haushaltspolitik, zur Staatsverschuldung und anderem Bereichen festgeschrieben. Sie werden zwar nicht immer eingehalten. Aber sie sind eine Richtschnur und eine unverzichtbare Grundlage für das Zusammenleben im Euro.
Aber diese Regeln allein reichen nicht. Sie müssen ergänzt werden. Zum einen müssen sie immer im Zusammenhang mit dem politischen Ziel der europäischen Einheit gesehen werden. Das steht so auch in den Verträgen. Darüber hinaus brauchen wir aber auch Maßstäbe für das Zusammenleben "jenseits von Maastricht". Diese betreffen – so sagen die Ökonomen vielleicht etwas überheblich – vorwiegend "weiche Faktoren". Sie sind aber nicht weniger wichtig.
Hier geht es um Vertrauen, Anstand und Verlässlichkeit zwischen den Mitgliedern der Gemeinschaft. Wenn einer etwas sagt, dann müssen sich die anderen darauf verlassen können.
Hinzu kommen müssen Kooperations- und Kompromissbereitschaft. Bei Verhandlungen muss jeder etwas gewinnen, jeder muss aber seinerseits auch etwas auf den Tisch legen. Wenn einer nur Forderungen stellt, funktioniert das Zusammenleben nicht.
Abmachungen, die vor einer Wahl getroffen wurden, müssen auch nach der Wahl noch gelten. Sonst kann sich niemand darauf verlassen und es gibt keine Kontinuität in der Gemeinschaft. Es darf keine Erpressungen und Drohungen geben. Natürlich sind Verhandlungen kein Liebesgeflüster. Aber wenn einer sagt, wenn du dich nicht an unsere Vorgaben hältst, drehe ich dir den Geldhahn zu, oder wenn du mir kein Geld gibst, schicke ich dir IS-Kämpfer, dann ist die Basis der Zusammenarbeit weg.
Schließlich ganz wichtig: Es muss einen Grundkonsens in der Wirtschaftspolitik geben. Wenn einer marktwirtschaftliche Mechanismen generell ablehnt (zum Beispiel durch die Zurückweisung von Privatisierungen), alle anderen aber auf der Basis der Marktwirtschaft arbeiten, dann geht das nicht.
An sich sind das Selbstverständlichkeiten, die gar nicht erwähnt werden müssten. Man könnte es einfach formulieren: Wenn sich Länder zu einer Union zusammenfinden, dann muss die Chemie zwischen ihnen stimmen. Sie müssen zusammen arbeiten und leben wollen. Das war im Euro bisher unausgesprochen gegeben. Wenn das jetzt nicht mehr gilt, dann hat die Währungsunion ein Problem. Es könnte sich noch verstärken, wenn das, was jetzt in Griechenland passiert, sich in anderen Ländern wiederholt (zum Beispiel durch Wahlerfolge von Podemos in Spanien oder Le Pen in Frankreich).
Dann bleibt nur noch die Alternative: Entweder man zwingt das betreffende Land zur Disziplin – das passt aber nicht zu einer Union freier und stolzer Gesellschaften. Es wird früher oder später scheitern. Oder man trennt sich. Nicht, weil die Gemeinschaft dem ausscherenden Mitglied (hier den Griechen) kein Geld zur Verfügung stellen will. Auch nicht in Feindschaft, dass einer den anderen herausschmeißen will. Sondern aus der einfachen Erkenntnis, dass die Basis für ein Zusammenleben in der Gemeinschaft nicht mehr gegeben ist. Besser eine Trennung mit Anstand als eine Situation, mit der keiner wirklich leben kann.
Man sollte sich den Schritt aus der Währungsunion nicht leicht machen. Keiner will, dass Griechenland aus dem Euro austritt, weder die Griechen noch ihre Partner. Es würde Athen schaden, weil es dann die schrecklichen Folgen einer starken Abwertung hinnehmen müsste. Es wäre schlecht für den Euro, weil die Annahme der Unauflöslichkeit der Währungsunion in Frage gestellt wäre. Schnell können andere Länder ins Visier der Spekulation geraten. Es wäre schlecht für die europäische Idee, ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, in dem die Geschlossenheit aus geopolitischen Gründen besonders gefordert ist.
Man muss daher alles tun, um eine Trennung zu verhindern, sie aber in jedem Fall so erträglich wie möglich zu vollziehen. Auch beim Verlassen des Euros sollte Athen in der EU bleiben. Da sind die Zwänge der Zusammenarbeit nicht so groß.
Für den Anleger
Ich bin ein Anhänger des Euros in seiner jetzigen Form mit Griechenland. Bisher habe ich einen "Grexit" nur als Unfall für möglich gehalten. Jetzt glaube ich nicht mehr an einen Unfall. Griechenland hat seine Schulden zuletzt pünktlich und korrekt bezahlt. Was mich jetzt pessimistisch werden lässt, sind die unterschiedlichen Anschauungen zu den "weichen Faktoren". Wenn sich hier nichts ändert, ist ein "Grexit" unausweichlich. Bereiten Sie sich darauf vor, selbst wenn in den aktuellen Verhandlungen noch einmal ein Kompromiss erzielt werden sollte. Er kann nicht dauerhaft sein, solange sich auf beiden Seiten des Tisches keine Annäherung in den Fragen "jenseits von Maastricht" ergibt.
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