Tokenisierung: Der nächste Wachstumsmotor der Finanzindustrie

Alexis Bienvenu, Fondsmanager bei LFDE
Assetklassen

Welche Assetklasse hat seit Anfang 2025 um 118 % zugelegt? Es sind weder Gold, das am 4. Dezember ein Plus von über 60 % verzeichnete, noch Silber, das einen Höhenflug von 97 % hinlegte. Nein, es sind die „tokenisierten Vermögenswerte“.

09.12.2025 | 08:32 Uhr

Um genau zu sein, handelt es sich dabei allerdings nicht wirklich um eine Assetklasse, sondern vielmehr um eine innovative Art des Zugangs zu traditionellen Assetklassen. Diese „digitalen Jetons“ (Tokens) repräsentieren einen Anteil oder ein Recht an einem Vermögenswert und können in einem dezentralen digitalen Register, einer sogenannten Blockchain, gehandelt werden.

Warum die Tokenisierung als nächste große Finanzrevolution gilt

Ist das eine Revolution in der Finanzwelt? Absolut, wenn man Larry Fink, dem CEO des weltweit größten Vermögensverwalters BlackRock, Glauben schenken mag. In einem Anfang Dezember in The Economist erschienenen Artikel vertritt er die Ansicht, dass die Tokenisierung noch in den Kinderschuhen steckt und ein riesiges, erst noch einzulösendes Versprechen darstellt – ähnlich wie das Internet im Jahr 1996. Es stimmt, dass die mit den Vermögenswerten der „realen Welt“ verknüpften Krypto-Tokens, wenn man von Stablecoins absieht, lediglich etwa 30 Milliarden US-Dollar entsprechen, während sich das weltweite Vermögen nach Schätzungen von McKinsey auf etwa 600 Billionen US-Dollar beläuft. Somit entsprechen sie weniger als einer Münze im Pool von Dagobert Duck. Doch sie entwickeln sich so schnell, dass diese tokenisierten Vermögenswerte verschiedenen Prognosen zufolge bis 2030 etwa zwei Billionen US-Dollar repräsentieren dürften – auch ohne Stablecoins.

Mehr Liquidität für illiquide Anlageklassen

Was können Anleger – sowohl private als auch institutionelle – dabei gewinnen? In erster Linie mehr Liquidität, die dann auch bei eigentlich wenig liquiden Assetklassen zur Verfügung steht. So können Immobilienwerte beispielsweise tokenisiert und in Tokens moderater Größe ausgegeben werden, die sich mühelos tauschen lassen. Dasselbe gilt für private Vermögenswerte wie Kunstgegenstände, Urheberrechte, etc. Zurzeit bestehen tokenisierte Vermögenswerte – von Stablecoins abgesehen – mehrheitlich aus Private-Debt-Titeln, gefolgt von US-Staatsanleihen. Letztere sind eine vertrauenswürdige Assetklasse und könnten eine Vorreiterfunktion für Neulinge in der Token-Welt übernehmen, insbesondere für institutionelle Anleger. An dritter Stelle stehen alternative und Rohstofffonds, insbesondere Goldfonds. Schließlich lässt sich alles tokenisieren, darunter auch Rohstoffe, die für Privatanleger oft nur schwer zugänglich sind.

Die Vorteile reichen weit über niedrigere Kosten hinaus

Die Tokenisierung bietet noch weitere Vorteile. Neben der erhöhten Liquidität und der Disintermediation ermöglicht sie auch die dauerhafte Zugänglichkeit eines Marktes, geringere Transaktionskosten, kürzere Fristen zwischen Bezahlung und Lieferung sowie die Automatisierung und Sicherung von Transaktionen. Ausschüttungen von Kupons oder Dividenden lassen sich beispielsweise in der Blockchain mithilfe von „Smart Contracts“ programmieren. In gewisser Weise ist die Tokenisierung eine Demokratisierung der Finanzwelt. Dieser Trend wurde zwar durch die allgemeine Verbreitung von ETFs ausgelöst, doch nun weitet er sich in größerem Maßstab aus, da die Tokenisierung auch wenig liquide Vermögenswerte abdeckt.

Regulierung als Schlüssel für Vertrauen und Wachstum

Selbstverständlich lösen sich diese Versprechen nicht von selbst ein. In den Bereichen Sicherung, Ausbildung und Gesetzgebung ist noch enorm viel Arbeit zu leisten, die mit Herausforderungen und Risiken verbunden ist. Erfreulicherweise bildet Europa dieses Mal nicht das Schlusslicht. Mit dem seit Anfang 2025 in Kraft getretenen Regelwerk „MiCA“ (Markets in Crypto-Assets) hat die Region einen ersten Schritt gemacht, um Rahmenbedingungen für Kryptowerte auf Ebene der Europäischen Union zu schaffen. Die USA folgten mit der Verabschiedung des „GENIUS Act“ (Guiding and Establishing National Innovation for US Stablecoins). Das ist gewiss ein Fortschritt, der allerdings noch ausgebaut werden muss, da sich das Gesetz im Wesentlichen auf Stablecoins bezieht.

Es gibt noch viel zu tun. Der Wettbewerb auf gesetzgeberischer Ebene ist intensiv. Europa muss sich beeilen, wenn es nicht abgehängt werden will. Denn nicht nur die USA, sondern auch Asien widmen sich aktiv diesem Thema – in der Hoffnung, bei dieser Revolution eine führende Rolle zu spielen. Nur wer keine Angst vor den Krypto-Tokens hat, wird die entsprechenden Dividenden einstreichen.

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