WisdomTree: Japaner sind Marathonläufer

Der US-Indexanbieter MSCI hat letzte Woche angekündigt, chinesische Festlandak-tien, die sogenannten A-Shares, in seinen Schwellenländer-Index aufzunehmen. Da viele Fondsmanager sich daran orientieren, könnten sie nun in China zukaufen.

29.06.2017 | 14:43 Uhr

Wenn von der Boomregion Asien gesprochen wird, fallen fast immer Ländernamen wie China, Indien, Südkorea oder Singapur. Der einstige Star Japan scheint dagegen in Starre, Überalterung und Deflation gefangen. Doch das ist ein großer Trugschluss.

Als ich 1985 nach Japan kam, herrschte Goldgräberstimmung, mit in der Folge deutlicher Überhitzungserscheinungen. Viele Aktien hatten ein KGV von 65, normal sind um die 15. Auch gab es Blasen im Immobilen- und Bankenbereich. Heute ist dagegen eine Normalisierung eingetreten. Die Unternehmen sind angemessen bewertet, Japan hat eine Vielzahl von kerngesunden, innovativen und gut geführten Unternehmen. Gerade im Bereich der Zukunftstechnologien sind japanische Firmen ganz vorne dabei. So kommen fast die Hälfte der Komponenten eines marktgängigen Smartphones aus Japan. Im Bereich Robotik sind japanische Unternehmen wie Toyota, Honda, Nissan, Hitachi und Sony führend. Neben dem Bosch-Konzern und der südkoreanische Samsung übrigens. Auch bei Patenten im Bereich der Nanotechnologie sind Toshiba, Canon, Hitachi und Panasonic top. Ähnliches gilt für den 3D Druck. Ein weiteres Beispiel für das „neue Japan“ ist der derzeitigen Börsenhighflyer Tesla: Ohne japanische Batterietechnologie funktioniert in deren Autos überhaupt nichts.

Warum ist das in der Breite scheinbar so wenig bekannt? Nun, Japan macht nur dann Schlagzeilen, wenn es extrem vorne ist wie in den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts oder mit Katastrophen wie in Fukushima. Aktuell ist das Wirtschaftswachstum mit zwischen ein und zwei Prozent zwar nicht überwältigend, aber solide. Die Investitionsbereitschaft japanischer Unternehmen ist hoch, sie ist in den letzten sieben Jahr in Folge gestiegen. Ich erwarte, dass die Unternehmensgewinne in diesem Jahr um bis zu 20 Prozent steigen werden. Denn die Konjunkturpakete von Ministerpräsident Abe zeigen Wirkung, so dass auch die Binnennachfrage ihren Teil beiträgt. Das war in der Vergangenheit ein Problem und das Land vom starken Exportsektor abhängig. Die Motivation für Kapitalanlagen im Inland steht oft im Zusammenhang mit der Ausrichtung der Olympischen Spiele 2020 in Tokio. Japaner sind eben keine Sprinter, sondern Marathonläufer. Das ist vielleicht weniger spektakulär, zeugt aber von Ausdauer und Nachhaltigkeit. Auch sind Japaner keine grellen Marktschreier, sondern neigen sehr zu Bescheidenheit, Unauffälligkeit und Fleiß. Das mag in Zeiten populistischer Vereinfachung ein Marketingnachteil sein. Aber einer, der sich lohnt in Kauf zu nehmen. Es wird gerne vergessen, dass Japan noch immer die drittgrößte Wirtschaftsmacht der Welt ist.

Eine große Herausforderung für das Land ist sicher der demographische Wandel. Aber damit steht es nicht alleine. Zwar ist der durchschnittliche Japaner heute 47 Jahre, der Deutsche aber auch schon 44. Die Babyboomer in Japan sind eine der reichsten Generationen der Welt. Sie waren immer beschäftigt und haben ihre Kredite abbezahlt. Fast die Hälfte aller Japaner über 20 haben überhaupt keine Schulden, sind aber Eigentümer ihrer Wohnungen. Davon werden der Freizeitsektor, etwa Hotelketten, der Hausbau oder auch die Healthcare-Branche profitieren. Es gibt in Japan ein Sprichwort: „Japanese get rich before they get old. Chinese get old, but not rich.“

Wenn man auf die Branchen schaut, sticht unter anderem den Bankensektor hervor. Eine unabhängige Regulierung hat für Klarheit, Stärkung und Transparenz gesorgt. Die Bankenkrise in den 1990er Jahren wurde für eine weitsichtige und konsequente Konsolidierung und eine Fusion der der größten Banken genutzt. Mit Erfolg: Japanische Banken sind seit 2015 der größte Kreditgeber in Asien. Da kann sich Europa noch eine Scheibe von abschneiden. Deutschland und Japan verbindet eine gesunde Vorliebe für Stabilität. Ministerpräsident Abe ist in seiner jetzigen Amtszeit bereits seit 2012 dabei. Angelika Merkel und er waren beim letzten G7-Gipfel die beiden am längsten amtierenden Regierungschefs. In Japan und Deutschland räumt jeder seinen eigenen Müll auch selber weg. Aber eine Sache würde ich mir hierzulande wünschen: In Zügen oder in der U-Bahn zum Beispiel wird in Japan nicht mit dem Handy telefoniert. Aus Respekt gegenüber den anderen Passagieren und aus einer gewissen Haltung der Demut heraus. Das sind anders als teilweise in Deutschland echte Oasen der Ruhe.

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