Die Wirtschaft in Europa hat es derzeit schwer. Es vergeht kaum ein Tag ohne negative Schlagzeilen. Die Industrie meldet die Streichung von Jobs und klagt über rückläufige Investitionen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) berichtete vergangene Woche, dass Deutschland im Innovationsranking international abfällt. Am Tag zuvor kommt die Absage von Intel für die geplante Chipfabrik in Magdeburg. Steht es um Europas Wirtschaft so schlecht?
24.09.2024 | 08:43 Uhr
Die kurze Antwort lautet: Nein, es gibt einen Willen zur Veränderung.
Die kürzlich veröffentlichte Studie „Transformationspfade für das Industrieland Deutschland“ von der Boston Consulting Group und dem Institut der deutschen Wirtschaft stellt fest, dass die Industrie hierzulande in einer tiefen Krise steckt. Als Grund hierfür werden vor allem fehlende Investitionen in den letzten Jahrzehnten genannt. Dieses Fazit deckt sich weitgehend mit dem Bericht des ehemaligen Notenbankchefs Mario Draghi, der sich kürzlich in Brüssel zur Wettbewerbsposition Europas äußert. Draghi fordert in seinem umfassenden Bericht „urgency and concreteness“, also „Dringlichkeit und Klarheit“. Das Ziel sei es, Europa wettbewerbsfähiger zu machen. Er schlägt Investitionen in Höhe von 700-800 Mrd. € in Innovationen, Dekarbonisierung und Verteidigung vor. Ähnliches plant nun auch die Bundesregierung mit der WIN-Initiative. Sie zielt darauf ab, langfristig mehr Wachstums- und Innovationskapital bereitzustellen, um Start-ups und Scale-ups zu fördern und dadurch die Innovations- und Wirtschaftskraft Deutschlands zu verbessern.
Europa ist sich seiner Schwierigkeiten also bewusst. Viele Probleme sind hausgemacht, darunter auch die Überregulierung. Die aktuellen Initiativen zeigen jedoch, dass ein Wille zur Veränderung da ist. Wenn es gelingt, mehr privates Kapital zu mobilisieren und die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen wird mehr Wachstum kommen.
Und wie sieht es mit europäischen Aktien aus?
Als bedeutender Grund, in Europa zu investieren, wird meistens das günstigere Bewertungsniveau genannt. Doch es gibt mehr Argumente für europäische Aktien. Insbesondere wenn die Stimmung schlecht ist, öffnet sich der Blick für antizyklische Chancen.
Wir klagen zwar hierzulande über die hohe Regulierung. Doch mit Blick nach China bietet die Staatengemeinschaft aber auch einen verlässlichen, regulatorischen Rahmen. Wir erinnern uns an Juli 2021 als die chinesische Regierung die sogenannte „Doppel-Reduktion“ beschloss. Plötzlich und ohne Ankündigung entzog man den privaten, börsennotierten Bildungsanbietern ihr Geschäftsfeld. Investoren mussten ihre Engagements in den sogenannten „EdTechs“ nahezu vollständig abschreiben. Einige Asset Manager haben sich aufgrund dieser Unberechenbarkeit aus China verabschiedet.
Am Beispiel Chinas sehen wir auch, dass die Börsenentwicklung der Unternehmen nicht mit der Entwicklung des Bruttoninlandsprodukts korreliert. So zählt China international immer noch zu den Regionen mit dem höchsten Wachstum, auch wenn es zuletzt nur noch bei 5,3% lag.
Der Hang Seng Index, der die wichtigsten Unternehmen in Hongkong repräsentiert, korrigierte jedoch in den vergangenen fünf Jahren um rund 30%. Auch der breiter gefasste MSCI China Index rentiert im Fünf- Jahres-Vergleich deutlich negativ. Im gleichen Zeitraum liegen europäische und US-amerikanische Aktienindizes zweistellig im Plus. Im Fall von Europa lässt sich sagen: trotz magerem BIP-Wachstum waren die Aktien der Staatengemeinschaft durchaus gefragt.
Gefragt sind an den internationalen Börsen vor allem US-amerikanische Aktien, insbesondere die „Magischen Sieben“ der US-amerikanischen Technologieunternehmen. Research-Häuser haben in den vergangenen Jahren ihre europäischen Pendants geschaffen: Sie beinhalten zumeist die niederländische ASML sowie die dänische Novo Nordisk, als Erfinder der Abnehm-Spritze Wegovy. Darüber hinaus werden Luxusgüterunternehmen aus Frankreich genannt, zumeist LVMH und Hermès. Jenseits einer Diskussion um die Antriebstechnologie wird häufig noch der italienische Sportwagenhersteller Ferrari genannt, vereint mit Satelliten aus dem Industriesektor, wie die französische Schneider Electric oder Siemens. Aber auch die Schweiz darf nicht fehlen: sie bildet mit den Pharmatiteln Novartis oder Roche und Nestlé einen defensiven Ausgleich.
Fest steht, dass Europa im Technologiesektor nicht mit den großen, starken Playern aus den USA aufwarten kann. Außerhalb des Technologiesektors sieht es anders aus. Die genannten, französischen Luxusgüterkonzerne zählen zu den weltweiten Marktführern, gleiches gilt für Schneider Electric im Bereich der industriellen Technologie und Siemens bei digitaler Automation. Auch Europa verfügt über Unternehmen mit Weltmarktführerschaft, agiert und rekrutiert international!
Da jedoch alle Aufmerksamkeit auf den USA liegen und Luxusgüteraktien unter dem schwächeren Wachstum in China leiden, fallen europäische Aktien mittlerweile auf ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 13 beim MSCI Europe, was einem deutlichen Abschlag gegenüber ihrem 30-jährigen Durchschnitt von 14 entspricht.
Die günstigere Bewertung, Weltmarktführerschaft bei ausgewählten Unternehmen und ein fester regulatorischer Rahmen gehören zu den wichtigsten Argumenten für europäische Aktien. Experten aus Politik und Wirtschaft zeigen einen Willen zur Veränderung. Wir schreiben Europa deshalb nicht ab.
Mit dem Perspektive OVID Equity ESG Fonds verantworten wir einen defensiven, globalen Aktienfonds, der auf Europa setzt und einen starken Bottom-up Selektionsprozess verfolgt. Fresenius, Axa, Roche und Sanofi gehören zu den erfolgreichen Titeln der letzten Monate. Auch in unserem Nebenwertefonds, dem Sustainable Smaller Companies ESG Fund werden wir eher in Europa fündig als in den USA. Zu den besten Unternehmen in diesem Jahr zählen vor allem Titel aus Großbritannien. Was verbindet uns mit England, nach dem Referendum vor acht Jahren? Auch dort gibt es viele negative Schlagzeilen und damit vor allem Chancen für antizyklische Investitionen.
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