Das Qualitätsdilemma bei europäischen Aktien

Das Qualitätsdilemma bei europäischen Aktien
Aktien

Wie können Qualitätsaktien-Anleger die diesjährigen Herausforderungen bei der Wertentwicklung bewältigen?

05.12.2025 | 11:09 Uhr

Für Qualitätsaktien war es in Europa ein schwieriges Jahr. Doch trotz herausfordernder Marktbedingungen bleiben die grundlegenden Merkmale vieler Qualitätsunternehmen häufig bestehen. Für Anleger gibt es gute Gründe, an Unternehmen mit robuster Profitabilität und widerstandsfähigen Geschäftsmodellen festzuhalten – auch wenn die kurzfristige Wertentwicklung enttäuscht.

Die jüngsten Trends an den europäischen Märkten haben Aktienanleger, die auf Qualität setzen, vor Herausforderungen gestellt. Im vergangenen Jahr übertrafen europäische Substanzaktien Wachstums- und Qualitätsaktien deutlich in ihrer Wertentwicklung (Abbildung), im Gegensatz zum vorangegangenen Jahrzehnt, in dem alle drei Stilrichtungen ähnliche Erträge erzielten.

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Was hat die Rallye bei Substanzaktien ausgelöst? Erstens wurden europäische Finanztitel – der größte Sektor im Value-Index – durch eine steil verlaufende Zinskurve gestützt, welche die Profitabilität des Kreditgeschäfts steigerte. Zudem profitierten regionale Banken von Kapitaldisziplin und niedrigen Bewertungen. Zweitens führten Erwartungen auf steigende Verteidigungsausgaben in ganz Europa zu Kursgewinnen bei Rüstungsaktien und damit zu einer starken Wertentwicklung im Industriesektor. Während Industriewerte eine bedeutende Gruppe innerhalb der Qualitäts-Wachstumsaktien der Region bilden, sind Rüstungsaktien stärker dem Substanzstil zuzuordnen.

Qualitätsaktien wiederum haben sich teilweise unterdurchschnittlich entwickelt, da viele Unternehmen aufgrund ihrer starken Produkte und Technologieangebote über Europa hinaus expandiert sind, um ihr Wachstum zu beschleunigen. Dadurch sind sie jedoch stärker anfällig für US-Zölle und einen schwächeren US-Dollar.

Nun glauben wir jedoch, dass die Voraussetzungen für eine Erholung gegeben sind. Aktive Anleger können ausgewählte Qualitätsaktien finden, die mit attraktiven Abschlägen gegenüber zyklischen Wachstumsaktien und mit relativ geringen Aufschlägen gegenüber dem Gesamtmarkt gehandelt werden. Um solche Titel zu identifizieren, muss man über die jüngste Volatilität hinausblicken und sich auf die langfristigen Fundamentaldaten konzentrieren.

Strukturelle Wachstumstreiber bleiben bestehen

Qualitativ hochwertige Wachstumsunternehmen profitieren von strukturellen Wachstumstrends wie Digitalisierung oder Automatisierung, die weniger von der allgemeinen Konjunktur- oder Marktlage abhängig sind. Wenn sich die Markttrends gegen Qualitätsaktien wenden, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass die strukturelle Wachstumsgrundlage, auf die sich Qualitätsunternehmen stützen, beeinträchtigt wurde.

Ein Beispiel: In der Spezialchemiebranche lagern Hersteller ihre Vertriebsaktivitäten zunehmend aus, um Kosten zu senken und die Effizienz zu steigern. Das schafft attraktive Wachstumsbedingungen für Unternehmen wie IMCD aus den Niederlanden, einen reinen, globalen Vertrieb für Spezialchemikalien. IMCD profitiert von exklusiven langfristigen Vertriebsvereinbarungen mit zahlreichen Chemieherstellern und ist damit in einem stark fragmentierten Marktgut positioniert . Auch wenn die Endmärkte des Unternehmens derzeit unter Druck stehen, bildet sein widerstandsfähiges Geschäftsmodell mit soliden Margen und wachsendem Marktanteil eine stabile Grundlage, um von einer möglichen Branchenerholung zu profitieren.

Beijer Ref aus Schweden ist ein weiteres Qualitätsunternehmen, das sich trotz Gegenwind am Markt behaupten kann. Das Unternehmen vertreibt Heizungs-, Lüftungs- und Klimasysteme im Großhandel und profitiert von der zunehmenden Nachfrage, da der Klimawandel die Anforderungen an Heiz- und Kühlsysteme verändert. Da über 80 % des Geschäfts aus Reparatur- und Ersatzaufträgen stammen, bietet das Qualitäts-Geschäftsmodell von Beijer Ref eine höhere Planbarkeit des Wachstums und eine geringere Abhängigkeit von Konjunkturzyklen, und ist damit gut positioniert, um langfristige Wachstumstreiber zu nutzen.

Strukturelle Wachstumstreiber innerhalb von Branchen werden selten durch konjunkturelle Schwäche außer Kraft gesetzt. Wenn sich Aktienkurse und Bewertungen in diesen Branchen von den zugrunde liegenden Wachstumstrends entkoppeln, sehen wir das als vorübergehende Anomalie. Während der COVID-19-Pandemie lagen die Bewertungen vieler Qualitätsunternehmen oberhalb ihrer Fundamentaldaten, in diesem Jahr halten wir das Gegenteil für zutreffend. Mit der Zeit normalisieren sich Marktmechanismen in der Regel wieder und passen sich dem positiven Branchenumfeld an, was geduldige Anleger belohnen sollte.

Widerstandsfähige Geschäftsmodelle sind dauerhaft tragfähig

Qualitätsunternehmen weisen in der Regel robuste geschäftliche Merkmale auf, wie eine hohe und durchgängige Profitabilität, Wettbewerbsvorteile und solide Bilanzen. Starke Wettbewerbsvorteile und hohe Markteintrittsbarrieren helfen Unternehmen, auch in wechselnden Marktphasen Wachstum aufrechtzuerhalten. Kompetentes Management und eine disziplinierte Kapitalallokation sind entscheidend, um Unsicherheiten zu bewältigen. Solide Finanzkennzahlen wie hohe Eigenkapitalrenditen und Renditen auf investiertes Kapital unterstützen stabile Cashflows und Gewinnwachstum.

Ryanair ist ein Beispiel dafür. Die Billigfluggesellschaft baut ihren Marktanteil über ein Qualitätsgeschäftsmodell aus, das auf einem wachsenden Kostenvorteil gegenüber Wettbewerbern und einer erheblichen Nettoliquidität basiert. Zudem besitzt das Unternehmen sämtliche Flugzeuge vollständig, was zusätzliche finanzielle Stabilität und Flexibilität schafft. Dank hoher Profitabilität konnte die Airline sich bedeutende Wettbewerbsvorteile aufbauen, etwa durch antizyklische Investitionen wie den Kauf von 300 neuen Flugzeugen zu großen Rabatten während der COVID-19-Pandemie und jüngst durch Investitionen in eine eigene Triebwerkswartung.

Dem Gewinnpfad langfristig folgen

Solide Unternehmen können kurzfristige Einbußen bei der Wertentwicklung ihrer Aktien erleiden, ohne dass dies zwangsläufig auf eine grundlegende Verschlechterung ihres langfristigen Potenzials hindeutet. Das liegt daran, dass Gewinne und Cashflows über lange Zeiträume die besten Indikatoren für den Aktienertrag sind.

Natürlich müssen Anleger stets aufmerksam bleiben, falls sich der Gewinnausblick eines Unternehmens derart verschlechtert, dass ein Abbau oder Verkauf der Position gerechtfertigt ist. Ohne Anzeichen einer fundamentalen Schwäche sollten Anleger unserer Ansicht nach jedoch nicht vorschnell an einer langfristigen Investmentthesezweifeln, nur weil der Aktienkurs zwischenzeitlich schwankt.

Das derzeitige Marktumfeld ist zudem durch eine Vielzahl von Unsicherheiten geprägt. Die Euphorie rund um die Künstliche Intelligenz, schwelende Handelskonflikte und konjunkturelle Fragilität deuten darauf hin, dass sich die Marktstimmung rasch ändern kann. Aus unserer Sicht könnte eine Neubewertung der Risiken eine Rotation hin zu Qualitätsaktien auslösen, die zuletzt weniger gefragt waren.

Selektive Anleger, die auf qualitativ hochwertige Wachstumsunternehmen setzen, können Portfoliokandidaten finden, die auf Basis einer langfristigen Perspektive zu besonders attraktiven Bewertungen gehandelt werden.

Tatsächlich sind wir der Meinung, dass ein Anlagehorizont von fünf bis zehn Jahren der beste Weg für Aktienanleger ist, um von Chancen zu profitieren. So wie Geschäftsinhaber ihre Strategie nicht wegen einer schwachen Phase ändern, können auch Aktienanleger mit einem strategischen Blick auf die Unternehmensentwicklung eine fundierte Überzeugung hinsichtlich der nachhaltigen Gewinnschöpfung für viele Jahre aufbauen. Mit einer langfristigen Perspektive können Anleger dem häufig nur vorübergehenden Marktdruck standhalten, und zusätzlich vom potenziellen Zinseszinseffekt bei einer Erholung profitieren.

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