Im dritten Quartal hielt die Volatilität am Aktienmarkt an, während die Anleger sich auf die neue Realität hoher Inflation und steigender Zinsen einstellten.
21.10.2022 | 06:35 Uhr
Da Ängste in Bezug auf die makroökonomische Lage weiterhin den Ton vorgeben, kann ein fundamental orientierter Ansatz in Bezug auf Unternehmen für Anleger hilfreich sein, um angesichts der gegenwärtigen Ungewissheit eine Strategie festzulegen.
Trotz gewisser Fortschritte im Quartalsverlauf gaben Aktien an den meisten Märkten ihre Gewinne wieder ab und verbuchten dieses Jahr starke Verluste. Der MSCI World Index fiel im Berichtsquartal um 4,4% in Lokalwährung (Abbildung) und verzeichnete seit Jahresbeginn ein Minus von 21,9%. In Australien und Japan behaupteten sich Aktien vergleichsweise gut. Angesichts massiver Kursrückgänge in China war die Wertentwicklung der Emerging Markets unterdurchschnittlich.
Die meisten Sektoren verzeichneten im Quartalsverlauf einen Rückgang. Aktien im Nicht-Basiskonsumgüterbereich – zuvor bedeutendes Opfer von Wachstumsängsten – erzielten Kursgewinne. Beflügelt durch hohe Erdöl- und Gaspreise legten Energieunternehmen weiter zu. Gesundheitswesen, Technologie und Kommunikation verzeichneten eine unterdurchschnittliche Wertentwicklung. Wachstumsaktien entwickelten sich im Quartal besser als Substanzwerte, blieben in diesem Jahr bis dato dennoch deutlich zurück (Abbildung).
Zu Beginn des vierten Quartals ist die Stimmung eher düster. Die
US-Notenbank hat die Zinssätze stark angehoben und einen aggressiven
geldpolitischen Kurs eingeschlagen. Es gebe keinen „einfachen Weg“ zur
Eindämmung der hohen Inflation, erklärte der Fed-Vorsitzende Jerome
Powell am 21. September, als die Fed ihren Referenzleitzins um 0,75
Prozentpunkte erhöhte und damit die Zielspanne für den Leitzins (Federal
Funds Rate) auf 3% bis 3,25% anhob. Powells Aussage wurde als
Eingeständnis interpretiert, dass der US-Wirtschaft eine harte Landung
und vielleicht sogar eine Rezession bevorsteht.
Die Bank of England und die EZB stehen in Europa ebenfalls vor einem
komplizierten Balanceakt, der durch die drohende Energiekrise noch
erschwert wird. Angesichts der steigenden Erdgaspreise vor dem Winter
droht eine Rationierung von Brennstoffen. Grund dafür ist der Wegfall
der Lieferungen aus Russland, da der Krieg in der Ukraine weitergeht. Im
Vereinigten Königreich stellte der neue Finanzminister Kwasi Kwarteng
das „Mini-Budget“, ein Entlastungspaket mit massiven Steuerkürzungen und
fiskalpolitischen Lockerungsmaßnahmen vor – bei einer Inflation über
10%. Diese Schritte erschütterten das Vertrauen der Anleger, bewirkten
drastische Kurseinbrüche des britischen Pfunds und erhöhten das Risiko
einer wirtschaftlichen Destabilisierung. Befürchtungen, dass die
Eurozone ebenfalls an der Schwelle zur Rezession steht, nehmen zu.
In Asien verlaufen die Entwicklungen anders. Japan gehört möglicherweise
zu den wenigen Industrieländern, die eine höhere Inflation begrüßen
würden, und seine Zentralbank belässt die Zinssätze auf sehr niedrigen
Niveaus. Auch China ist auf einem anderen Kurs. Denn die politischen
Entscheidungsträger lockern die Bedingungen, um die Wirtschaft zu
stützen, die durch drastische Corona-Beschränkungen zu Anfang dieses
Jahres und einen wankenden Immobilienmarkt belastet wurde. Die
Wachstumskennzahlen erscheinen jedoch nach wie vor schwach.
Rutschen die US-Wirtschaft und die Weltwirtschaft in eine Rezession?
Wann lässt die Inflation nach und wo wird sie sich einpendeln? Wie hoch
werden die Zinsen steigen, und für wie lange? Was ist mit dem sich
zuspitzenden geopolitischen Risiko, angefangen von den Auswirkungen des
Kriegs in der Ukraine bis hin zu den Spannungen zwischen China und
Taiwan?
Niemand kennt die Antworten. Dennoch erlebten die Aktienmärkte in diesem
Jahr über weite Strecken eine starke Handelsaktivität auf Basis dieser
unseligen Trinität aus steigender Inflation, Zinsanhebungen und
Wachstumssorgen. Inflation und Wachstum wirken sich fraglos auf die
Cashflows und Gewinne der Unternehmen aus, und die Zinssätze spielen
eine wesentliche Rolle bei der Ermittlung der Aktienbewertungen. Doch
wenn makroökonomische Trends zum größten Antrieb für die Marktbewegungen
werden, achten Anleger tendenziell weniger auf unternehmensspezifische
Entwicklungen, die letztlich die künftigen Aktienrenditen bestimmen.
Angesichts dieser großen Unsicherheit ist es nahezu unmöglich, im
Rahmen eines einzigen konjunkturellen Szenarios starke Überzeugungen zu
entwickeln. Durch Research auf Grundlage der Fundamentaldaten der
Unternehmen – ein Bereich, in dem unsere Analysten über ausgeprägte
Fähigkeiten, Fachkenntnis und Erfahrung verfügen – können wir allerdings
analysieren, wie Unternehmen in verschiedenen möglichen Szenarien
abschneiden. Dies schirmt unseren Bestand vielleicht nicht von jeder
Volatilität ab. Doch die Portfolios lassen sich auf diese Weise auf
langfristigen Erfolg ausrichten, indem wir Unternehmen ausfindig machen,
die im Hinblick auf das sich wandelnde Geschäftsumfeld gut aufgestellt
sind bzw. sich strategisch anpassen.
Auf den ersten Blick sah die Gewinnlandschaft zu Beginn des dritten
Quartals so erfreulich aus, dass es fast schon gespenstisch war. Die
Gewinnschätzungen der Sell-Side-Analysten waren im Allgemeinen nicht
gesunken, was darauf schließen ließ, dass die Marktteilnehmer die
Auswirkungen der wirtschaftlichen Verwerfungen noch nicht in vollem
Umfang vorausahnten. Dies wird sich unserer Auffassung nach ändern.
Sicherlich sind mit Beginn der Berichtssaison für das dritte Quartal im
Oktober weitere Warnungen zu erwarten. Anleger müssen die
Unternehmensberichte sorgfältig prüfen und stärker in Dialog mit der
Geschäftsführung treten, um potenzielle Verlustbringer erkennen und
überraschende Gelegenheiten nutzen zu können.
In einem inflationären Umfeld wird die Preismacht weiterhin ein
entscheidendes Merkmal sein. Doch die Identifikation von
Qualitätsunternehmen mit Preismacht erfordert umfangreiches
Branchenwissen. Eines unserer Anlageteams ist beispielsweise mit
Lebensmittelproduzenten US-amerikanischer und britischer Marken in
Dialog getreten. Zur Beurteilung ihrer Fähigkeit zur Erhöhung der Preise
untersuchen wir ihre jeweilige Marktmacht und fragen, ob
Premiumprodukte anfällig gegenüber Belastungen in einem schwierigeren
Wirtschaftsumfeld sind. Selbst wenn ein Unternehmen in der Lage ist,
einige Preise zu anzuheben: Wird dies ausreichen, um die Kosteninflation
abzudecken und/oder wird die Preiserhöhung einen Nachfragerückgang
bewirken? Die regelmäßige Beantwortung solcher Fragen ist mit Blick auf
alle Branchen, Unternehmen und Länder entscheidend, um festzustellen, ob
eine Aktie unter dem gegenwärtigen Druck nachgibt oder sich als solides
langfristiges Investment erweist.
Zudem ist es wichtig, die Quelle des Drucks auf ein Unternehmen
ausfindig zu machen – keine leichte Aufgabe, wenn sich mehrere
wirtschaftliche Faktoren belastend auswirken. Ein gutes Beispiel sind
Engpässe in den Lieferketten. In Bezug auf die Automobilindustrie ist
unklar, ob schwache Verkaufszahlen Probleme in den Lieferketten oder
eine nachlassende Nachfrage widerspiegeln. Lieferkettenprobleme lassen
sich wahrscheinlich eher beheben. Anleger müssen untersuchen, wie sich
die Branchendynamik auf jedes einzelne Unternehmen auswirkt.
An Fragen wie dieser entscheidet sich, ob Unternehmen ihre Margen zur
Unterstützung des Gewinnwachstums beibehalten können. Zahlreiche
Einflussfaktoren, von Rohstoffkosten bis Währungsschwankungen, sollten
genau betrachtet werden, da die starke Aufwertung des US-Dollars in
diesem Jahr die Wertentwicklung von Unternehmen unterschiedlich
beeinflussen wird (Abbildung). Gewinn- und
Cashflow-Prognosen gestalten sich in einem derart unsicheren Umfeld
äußerst schwierig. Da in Teilen des Marktes die Bewertungen jedoch
drastisch zurückgehen, können wir uns anhand der Frage, ob
verschiedenste Gewinnergebnisse bereits im Aktienkurs eingepreist sind,
allmählich ein Bild machen.
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