Metzler: Droht dem „italienischen Patienten“ eine Staatsschuldenkrise?

Kommentar

Das Risiko einer Staatsschuldenkrise in Italien ist deutlich gestiegen. Spätestens in der nächsten größeren Rezession dürfte die EU-Kommission erneut Druck auf Italien ausüben.

05.04.2019 | 12:59 Uhr

Das Buch „This time is different“ über Schulden- und Finanzmarktkrisen ist schon jetzt ein Klassiker und manchmal sogar ein Ratgeber. Die Autoren Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff zeigen, dass im Vorfeld von Staatsschuldenkrisen oft ein Rückgang des Bruttoinlandsprodukts zu beobachten war. Oft sank dabei die reale Wirtschaftsleistung zuvor signifikant (in den vier Jahren vor einer Krise im Durchschnitt um kumuliert etwa 3,5 %), bis ein Land seine Schulden gegenüber Inländern nicht mehr bediente. Die Hemmschwelle für einen Staatsbankrott gegenüber  ausländischen Gläubigern oder die Finanzierungsbereitschaft ausländischer Gläubiger dagegen war historisch betrachtet deutlich geringer, da oft nur ein Rückgang des realen Bruttoinlandsprodukts von durchschnittlich etwa 1,5 % ausreichte, um ein Jahr später eine Krise auszulösen.  

Rezessionen als Auslöser für Staatsschuldenkrisen
The history of domestic debt and default – Real GDP before, during and after domestic and external debt crisis, 1800–2008

Rezessionen als Auslöser für Staatsschuldenkrisen

Note: Real GDP is indexed to equal 100 four years before crisis
Quellen: Maddison (2004), Total Economy Database (2008), and the authors' calculation, in: Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff (2009): This time is different

Eine schrumpfende Wirtschaftsleistung bedeutet sinkende Steuereinnahmen und steigende Sozialausgaben, sodass die Verschuldung absolut und vor allem in Prozent der schrumpfenden Wirtschaftsleistung deutlich steigt. Eine Rezession kann somit zu einem Auslöser für einen Übergang von einer fragilen Lage zu einer akuten Schuldenkrise werden.

In diesem Zusammenhang fällt natürlich das Rampenlicht sofort auf Italien. Für das Land sind die ausstehenden Staatsschulden wie Fremdwährungsschulden, da die Geldpolitik für Italien in Frankfurt gemacht wird. Darüber hinaus werden etwa 30 % aller ausstehenden Staatsanleihen von Ausländern gehalten. Italien ist somit bei der Emission von Staatsanleihen auf die Nachfrage der Ausländer angewiesen, das heißt, ein plötzliches Ende der Finanzierungsbereitschaft der Ausländer könnte eine Staatsschuldenkrise auslösen. Auch schaffte es Italien seit 2013 nicht, seine Staatsverschuldung von 130 % des BIP nennenswert zu reduzieren. Gleichzeitig plant die neue Regierung, die Ausgaben in Zukunft zu erhöhen statt zu sparen, sodass die Staatsverschuldung künftig weiter steigen könnte. Zu allem Übel fiel Italien noch im Oktober 2018 in eine Rezession, wie damals ein Einkaufsmanagerindex von 49,3 signalisierte. Die Risiken einer Staatsschuldenkrise sind also merklich gestiegen.

Italien: Gefahr einer Schuldenkrise vorerst abgewendet?
Italien-Composite-Einkaufsmanagerindex

Gefahr einer Schuldenkrise vorerst abgewendet?

Quelle: Bloomberg; Stand: 31.3.2019


Immerhin sprang der Einkaufsmanagerindex im März wieder auf 51,5 und steht damit in Einklang mit einem moderaten Wachstum. Sollte sich der Einkaufsmanagerindex in den kommenden Monaten über dem kritischen Niveau von 50 halten, wäre das sicherlich ein positives Signal, da die Risiken einer akuten Schuldenkrise wieder sinken würden. Die Vorzeichen dafür stehen gut: Die Geldmenge M1 als zuverlässiger Frühindikator der europäischen Wirtschaft verzeichnete eine merkliche Beschleunigung der Wachstumsrate im Februar. Auch der Frühindikator der OECD zeigte in den vergangenen beiden Monaten eine Trendwende nach oben. Die Wirtschaft in Italien scheint damit deutlich widerstandsfähiger zu sein als die griechische: Griechenland litt nach der Wahl einer populistischen Regierung ähnlich wie Italien unter merklich höheren Zinsen und stark fallenden Aktienkursen, schlitterte aber im Gegensatz zu Italien dadurch in eine tiefe Rezession.

Die Lage in Italien bleibt jedoch fragil – die Mehrheit der Volkswirte rechnet mit einem Wirtschaftswachstum von nur 0,1 % und 0,7 % in den Jahren 2019 und 2020. Das Haushaltsdefizit könnte daher in diesem Jahr auf über 2,5 % des BIP steigen, im nächsten Jahr sogar auf über 3,0 %. Dass die Staatsschulden sinken, ist also auf absehbare Zeit unwahrscheinlich. Die ungünstige Schuldendynamik dürfte nach den Europa-Wahlen Ende Mai erneut die EU-Kommission auf den Plan rufen – mit dem Ziel, dass Italien die EU-Verschuldungsregeln einhält. Wahrscheinlich wäre eine erhöhte Volatilität an den Finanzmärkten die Folge, aber wohl keine akute Schuldenkrise.

Spätestens aber in der nächsten größeren Rezession (die hoffentlich noch einige Jahre entfernt ist) droht Italien eine akute Schuldenkrise – wie im Buch „This time is different“ beschrieben. Einen Euro-Austritt Italiens halten wir für eher unwahrscheinlich. Näherliegend ist ist, dass die anderen Mitgliedsländer der Eurozone eine große Bereitschaft signalisieren, Italien auf europäischer Ebene zu helfen – aber nur unter der Voraussetzung, dass die Regierung Strukturreformen und Sparmaßnahmen umsetzt sowie die Staatsschulden restrukturiert. Eine Restrukturierung der Staatsschulden könnte umfassen, dass die Restlaufzeit der ausstehenden Staatsanleihen zwangsweise verlängert und die Kuponzahlungen reduziert werden.


EZB: Pulver verschossen
Die EZB (Do) hat ihr geldpolitisches Pulver mehr oder weniger verschossen und ist daher von einem Akteur an den Finanzmärkten nur noch zu einem Beobachter geworden. Die Sitzungen der EZB dürften daher zunehmend an Bedeutung verlieren. Allenfalls noch technische Fragen zur Ausgestaltung der langfristigen Refinanzierungsgeschäfte und der Strafzinsen sind noch von Interesse. Die EZB scheint zu der Erkenntnis gekommen zu sein, dass vor dem Hin-
tergrund der schwachen Konjunkturdaten eine Anhebung des Einlagesatzes von -0,4 % auf absehbare Zeit unmöglich ist – so unsere Interpretation der vergangenen Pressekonferenz. Der Negativzins droht so eine Art Sondersteuer für Banken und Unternehmen im Euroraum auf lange Sicht zu sein, die insbesondere im Bankensektor die internationale Wettbewerbsfähigkeit verringert. Die EZB könnte daher bald die Einführung eines Systems der Zinsstaffelung und von Freibeträgen für Banken beschließen, wie es zum Beispiel in der Schweiz schon angewendet wird.


USA: Der inflationslose Aufschwung
In den USA spricht vieles für eine stabile Kerninflation (Mittwoch) von 2,1 % im März. So signalisiert der Indikator des Inflationstrends der Fed von New York schon seit einigen Monaten wieder einen strukturell nachlassenden Inflationsdruck. Nach zehn Jahren Aufschwung ist nach wie vor keine merkliche Inflationsbeschleunigung sichtbar. Beim Aufschwung von März 1991 bis März 2001 betrug die Kerninflation im Februar 2001 immerhin 2,7 %.  

USA: Nachlassender Inflationsdruck
VPI und Federal Reserve of New York Underlying Inflation Gauge in % ggü. Vj.

USA: Nachlassender Inflationsdruck

Quellen: Thomson Reuters Datastream, Metzler; Stand: 28.2.2019

Darüber hinaus wird noch der Geschäftsklimaindex der kleinen und mittleren Unternehmen (Dienstag) sowie das Konsumentenvertrauen (Freitag) veröffentlicht.


China: Bestätigung von den Daten der Realwirtschaft?
Der überraschend kräftige Anstieg der Einkaufsmanagerindizes in China weckt die Hoffnung, dass die chinesische Konjunktur die Trendwende vollzogen hat und die Wachstumsdynamik in den kommenden Monaten wieder Fahrt aufnimmt. Es wäre wichtig, dass die realwirtschaftlichen Daten wie die Bankkredite (bis Freitag) und die Exporte (Freitag) dies bestätigen. Darüber hinaus wäre auch ein Anstieg der Erzeugerpreisinflation (Donnerstag) ein positives Signal für die Unternehmensgewinne und damit die Investitionen.

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