AB: Tech-Titanen im Nachhaltigkeitsstress

AB: Tech-Titanen im Nachhaltigkeitsstress
ESG

Viele große Technologie- und Medienkonzerne sehen sich wachsender Kritik hinsichtlich ihrer Macht sowie der Nachhaltigkeit ihres Geschäftsgebarens ausgesetzt. Die Themen soziale Verantwortung und ethische Unternehmensführung erfahren steigende Aufmerksamkeit, auch von den relevanten Aufsichtsbehörden.

29.11.2019 | 12:11 Uhr

ESG-Themen* spielen für immer mehr Anleger branchenübergreifend eine Rolle. Technologieunternehmen genießen im Umweltbereich einen recht guten Ruf. Die meisten verbrauchen keine enormen Mengen an Rohstoffen. Ihre Produkte und Dienstleistungen ermöglichen den Menschen besseren Zugang zu Informationen, und sie fördern das Wirtschaftswachstum.

Doch viele Technologiekonzerne sind sozialen und regulatorischen Risiken ausgesetzt, die man besser nicht ignorieren sollte. Der steigende politische Druck zur strengeren Regulierung der Technologie- und Mediengiganten wirft die Frage auf, wie die Unternehmen sich der Herausforderung stellen. Jüngste Berichte in der New York Times und dem Wall Street Journal (in englischer Sprache) lassen vermuten, dass die Aufsichtsbehörden den Umfang ihrer Ermittlungen über das Kartellrecht hinaus ausweiten werden.

Es geht um mehr als Kartellrecht

Die Regulierung großer Technologieunternehmen wie Alphabet Inc. (Googles Muttergesellschaft) und Facebook wird allgemein als ein US-kartellrechtliches Problem angesehen. Kartellgesetze sollen die Verbraucher vor räuberischen Geschäftspraktiken großer, marktbeherrschender Unternehmen schützen. Die US-Kartellverfahren könnten jedoch schwierig werden, da Alphabet und Facebook aus unserer Sicht den Verbrauchern keinen Schaden zufügen.

Aber wir erwarten, dass bald zusätzliche regulatorische Themen aufgeworfen werden. So hat beispielsweise Googles YouTube 2 Milliarden monatliche Nutzer weltweit, und das Facebook-Ökosystem (Facebook + Instagram + WhatsApp + Messenger) hat 2,2 Milliarden tägliche Nutzer. Die schiere Masse der Benutzer ermöglicht es beiden Unternehmen, von einem starken Netzwerkeffekt zu profitieren. Gleichzeitig hat diese gigantische Reichweite unbeabsichtigte soziale Auswirkungen zur Folge.

Die Verbreitung von Inhalten ist ein Beispiel dafür. Die Dominanz von Facebook und Google in diesem Bereich könnte mit einer langjährigen US-Tradition zum Schutz der Meinungsvielfalt kollidieren. Schon heute erzwingt die zuständige Behörde Federal Communications Commission strenge Eigentumsbeschränkungen gegenüber traditionellen Medien wie nationalen und lokalen Fernsehsendern, um sicherzustellen, dass keine einzelne Einheit zu viel Einfluss auf die „Medienstimmen“ in einem bestimmten Markt hat. Es gibt auch Regeln, um die Fusion nationaler Rundfunknetze wie CBS und NBC zu verhindern. Angesichts der enormen Größe ihres Publikums übertreffen YouTube und Facebook bei Weitem die Reichweite der Mainstream-Netzwerke. Darüber hinaus sind in den USA traditionelle Nachrichten- und Werbeverlage verpflichtet, die Echtheit von Informationen in ihren Publikationen zu überprüfen oder sich einer Haftung auszusetzen.

Google und Facebook haben derlei Probleme bislang nicht. Da sie sagen, dass sie keine Verlage sind, sind sie nicht für redaktionelle Inhalte verantwortlich. Beide Unternehmen betrachten ihre Technologien als Plattformen, die Nutzer und Inhaltslieferanten einer „offenen Internet-Umgebung“ miteinander verbinden. Deshalb sagte Mark Zuckerberg kürzlich bei einer Podiumsdiskussion, als er über die Verbreitung von Fehlinformationen sprach: „Ich glaube nicht, dass unsere Plattform [Inhalte] löschen sollte.“

Was kostet es, ein Verlag zu sein?

Der schmale Grat zwischen „Meinungsfreiheit“ und „Fake News“ wird weiter für hitzige Diskussionen sorgen. Mit zunehmenden Beweisen dafür, dass Fehlinformationen über die Plattformen von Google und Facebook weiterhin zu Kontroversen in Politik, Wissenschaft und anderen Bereichen führen, könnten die Regulierungsbehörden letztendlich geneigt sein, die Medienriesen zu zwingen, auf ihren Websites verbreitete Inhalte zu zensieren. Wenn die Regulierungsbehörden keine Maßnahmen ergreifen, können die Plattformen selbst Reputationsfolgen erleiden, wenn die Nutzer beginnen, die Authentizität von Inhalten infrage zu stellen.

Sollten Unternehmen dafür verantwortlich sein, „Fake News“ von ihren Plattformen zu entfernen, übernehmen sie de facto die Verantwortung für die Entscheidung, welche Informationen sie in die Öffentlichkeit bringen. Mit anderen Worten, diese Unternehmen würden über Nacht von Plattformen zu Verlagen umgewandelt, die die öffentliche Meinung beeinflussen. Unserer Meinung nach kann diese Rolle zu einem Ausmaß an Regulierung und unternehmerischer Verantwortung führen, mit denen sie bisher nicht konfrontiert waren.

Es wäre zudem extrem teuer. Als Verlage wären diese Unternehmen gezwungen, die gleiche Verantwortung für die Authentizität der Inhalte zu übernehmen wie jeder traditionelle Medienverlag. Mit Millionen von Stunden nutzergenerierter Inhalte, die ständig in das System hochgeladen werden, wären große Technologieunternehmen gezwungen, große Mengen an Kapital für die Überwachung und Authentifizierung von Informationen aufzuwenden, was ihre Profitabilität beeinträchtigen könnte. Künstliche Intelligenz kann helfen, ist aber wahrscheinlich noch nicht ganz in der Lage, die Aufgabe zu erfüllen; in der Tat hat Facebook 15.000 Leiharbeiter als Content-Moderatoren eingesetzt, um Bilder von Gewalt und anderen als schädlich erachteten Inhalten zu überprüfen und zu entfernen. Anleger sollten die potenziellen geschäftlichen Auswirkungen dieser sozialen Risiken bei der Bewertung eines Unternehmens in ihrem Portfolio berücksichtigen.

Haben die Gründer zu viel Kontrolle?

In den letzten 25 Jahren haben Technologie-Gründer zunehmend an Macht gewonnen. So strukturierten die Gründer von Google das Unternehmen derart, dass sie überproportionale Stimmrechte erhielten und die Kontrolle auch bei einem Verkauf ihrer Aktien behalten könnten. Mark Zuckerberg besitzt etwas mehr als ein Viertel der Facebook-Aktien, kontrolliert aber rund 60 Prozent der Aktionärsstimmen. Unter den vielen aktuellen Internet- und Technologie-Börsengängen waren zweistufige Aktionärsstrukturen und Gründerkontrolle die Regel, sodass externe Anleger nur begrenzte Rechte erhielten.

Natürlich spielen viele Gründer nach wie vor eine entscheidende Rolle in ihren Unternehmen. Da sie jedoch mehr Macht und Einfluss ausüben als je erwartet, ist die Frage der Verantwortlichkeit von größter Bedeutung. Unabhängige Gremien, die personelle Trennung von Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitz sowie einheitliche Aktienstrukturen sind starke Corporate-Governance-Praktiken, die in dieser Branche vor allem in den USA noch nicht weit verbreitet sind. Die Anleger müssen die Unternehmen unserer Meinung nach weiterhin dazu drängen, sich in diese Richtung zu bewegen und die Direktoren zur Rechenschaft zu ziehen. Schlechte Governance-Praktiken können ein ernsthaftes Geschäftsrisiko für Anleger darstellen.

Das sind nur einige der ESG-Risiken, denen „Big Tech“ und Medien in den kommenden Jahren ausgesetzt sein könnten. Da große Technologieunternehmen weiterhin die Vorteile riesiger Netzwerke nutzen, glauben wir, dass sie auch der sozialen Verantwortung gerecht werden müssen, die mit ihrer immensen Macht einhergeht, den öffentlichen Diskurs zu gestalten. Ansonsten werden sie Schaden erleiden. Die Integration einer Analyse solcher Sozial- und Governance-Risiken in grundlegende Research- und Bewertungseinschätzungen ist für Anleger, die Positionen in diesem Sektor suchen, von wesentlicher Bedeutung.

* ESG: Environmental, Social, Governance, zu Deutsch: Umwelt, Soziales, Unternehmensführung.

Lei Qiu ist Portfoliomanagerin des International Technology Portfolios und Senior Research Analyst for Thematic & Sustainable Equities bei AllianceBernstein (AB).

Dan Roarty ist Chief Investment Officer of Thematic & Sustainable Equities bei AllianceBernstein (AB).

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