Europäischen Anlegern wurde kürzlich wieder vor Augen geführt, wie schwierig es ist, die Nachhaltigkeit (Environmental, Social and Governance, ESG) eines Unternehmens zu bewerten.
13.03.2020 | 15:30 Uhr
Die Pläne von Tesla, einen Wald abzuholzen, um eine Produktionsstätte für Elektroautos nahe Berlin zu bauen, verdeutlichen die Notwendigkeit unabhängigen Researchs und eines Engagements zur Bewertung der Risiken und Chancen, die durch ESG-Kontroversen entstehen.
Wie können Anleger herausfinden, wie gut ein Unternehmen mit den ESG-Herausforderungen umgeht? Als Tesla im Februar die richterliche Genehmigung erhielt, einen Wald östlich von Berlin für ihr erstes Montagewerk in Europa abzuholzen, zeigte sich, dass selbst ein hochkarätiger ESG-Liebling möglicherweise umweltschädliche Aktivitäten ausübt, die durch Standard-Ratings nicht erfasst werden.
ESG-Ratings, die von Agenturen wie MSCI und Sustainalytics erstellt werden, spielen eine wichtige Rolle bei der Beurteilung des Unternehmensverhaltens, zeichnen jedoch oft nur ein unvollständiges Bild. Mit einem integrierten Ansatz, der die ESG-Performance und die Aussichten eines Unternehmens als Bestandteil einer fundamentalen Analyse der Bewertung, des Cashflows und der Ertragsprognosen betrachtet, glauben wir, dass Anleger eine breitere Perspektive auf die Nachhaltigkeitsleistung eines Unternehmens gewinnen können, die vom Markt möglicherweise nicht vollständig verstanden wird.
ESG-Lupe über die Fundamentalanalyse legen
Missverstandene Unternehmen sind oft gute Investments. Das liegt daran, dass Anleger dazu neigen, die Aktienkurse von Unternehmen, die unter schlechter operativer Leistung, Branchenherausforderungen oder Wettbewerbsdruck leiden, nach unten zu drücken. Falls jedoch die Bedenken übertrieben sind, kann das auch für die Kursabschläge gelten. Gleiches gilt auch im ESG-Bereich.
Konträre Anleger, die unabhängige Prognosen über langfristige
Umsätze, Gewinne und Cashflows entwickeln, können sich in die
Kontroverse einkaufen. Diese Kennzahlen sind relativ objektiv,
ESG-Betrachtungen hingegen sind viel subjektiver. Die Bewertung des
Unternehmensverhaltens durch eine ESG-Lupe ist ganz anders als die
Erstellung von Gewinn- und Cashflow-Modellen auf der Grundlage bekannter
Variablen. Vielleicht erklärt das, warum die ESG-Bewertung von
Unternehmen von Agentur zu Agentur so stark variiert, wie unter anderem
eine im Mai 2019 veröffentlichte Studie feststellte.
Die richtigen Fragen stellen
Obwohl ESG-Ratings ein hilfreicher Ausgangspunkt sind, sind wir der Meinung, dass sie nicht allein die Entscheidungen über die Aktienauswahl bestimmen sollten und kein Ersatz für unabhängiges Research sind. Unsere Untersuchungen legen nahe, dass ein statisches Rating weniger wichtig ist als die Dynamik des Ratings. Da Unternehmen ihr Verhalten ändern, führt ein verbessertes ESG-Rating tendenziell zu höheren Erträgen. Eine fundamentale Analyse von Aktien kann Verbesserungspotenzial identifizieren, indem Fragen gestellt werden, die in ESG-Ratings möglicherweise nicht richtig erfasst werden. Zum Beispiel:
Die Vorteile der ESG-Integration
Um Fragen wie diese anzugehen, sind wir der Meinung, dass ESG-Risiken und -Chancen systematisch in die traditionelle Finanzanalyse integriert werden sollten. Das bedeutet, dass das Ertragspotenzial eines Unternehmens im Hinblick auf die Risiken und Chancen, die sich aus ESG-Themen ergeben, bewertet werden muss. Dieser Ansatz kann Anleger zu zwei Arten von Unternehmen führen, die durch die Verwendung von Ausschlusslisten oder durch das reine Verlassen auf externe ESG-Ratings übersehen werden würden:
Einige Anleger verwenden Ausschlusslisten, um Aktien aus bestimmten Branchen, wie etwa Tabak oder Glücksspiel, aus ethischen Gründen zu meiden. Andere beginnen, die Ausschlusslisten zu erweitern, um allgemeinere politische Bedenken zu berücksichtigen, beispielsweise durch den Ausschluss von fossilen Energieerzeugern. Dieser Ansatz kann jedoch dazu führen, dass Anleger einige falsch eingeschätzte Unternehmen oder Verbesserungsvorschläge sowie die Möglichkeit, mit Unternehmen zusammenzuarbeiten, um eine bessere ESG-Politik und -Ergebnisse zu fördern, verpassen.
Ein integrierter Ansatz für nachhaltiges Investieren
Ein Investor in eine Flughafengesellschaft könnte sich zum Beispiel mit dem Management des Unternehmens zusammenschließen, um strengere Emissionsvorschriften für deren Kunden, die Fluggesellschaften sind, durchzusetzen. Versorgungsunternehmen oder Rohstoffproduzenten – die bei den ESG-Standardkennzahlen oft schlecht abschneiden – können dazu gedrängt werden, ihre Betriebsabläufe zu bereinigen.
Sich stark auf ESG-Ratings zu stützen, kann für viele Anleger als ein bequemer Weg erscheinen. In einer Welt verwirrender ESG-Anforderungen kann es aber auch dazu führen, dass Anlegern den Zugang zu missverstandenen oder sich verbessernden Unternehmen verwehrt wird. Mit einem integrierten Ansatz, der sich auf fundamentales Research stützt, können Anleger Unternehmen identifizieren, die ESG-Kontroversen in Chancen verwandeln, und Einfluss nehmen, um ein Verhalten zu fördern, das nachhaltige langfristige Anlageerträge unterstützt.
Tawhid Ali ist Chief Investment Officer für European Value Equities bei AllianceBernstein (AB).
Andrew Birse ist Portfoliomanager für European Value Equities bei AllianceBernstein (AB).
In diesem Dokument zum Ausdruck gebrachte Meinungen stellen keine Analysen, Anlageberatungen oder Handelsempfehlungen dar, spiegeln nicht unbedingt die Ansichten aller Portfoliomanagementteams bei AB wider und können von Zeit zu Zeit überarbeitet werden. AllianceBernstein Limited ist von der Financial Conduct Authority in Großbritannien zugelassen und wird durch diese Behörde reguliert.
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