Angesichts der sinkenden Inflation hat die EZB die Zinsen gesenkt. Was das für die Anleger bedeuten könnte, erfahren Sie hier.
10.06.2024 | 07:20 Uhr
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat ihren Zinssenkungszyklus im Juni vorsichtig eingeleitet. Der Zinssatz liegt jetzt bei 3,75 %. Dies folgt auf eine Verbesserung der Inflationsdynamik in der Region.
Der Wechsel von Zinserhöhungen zu Zinssenkungen dürfte den europäischen festverzinslichen Wertpapieren erheblich zugutekommen, da die hohen Renditen in den kommenden Jahren beträchtliche Chancen für Erträge und Kapitalgewinne bieten.
Die EZB hat kürzlich ihren schnellsten und größten Zinserhöhungszyklus seit ihrer Gründung im Jahr 1998 abgeschlossen und den Einlagensatz bei 4 % belassen. In der Vergangenheit haben Zinssenkungen die Wertentwicklung von Anleihen unterstützt, indem sie die Renditen nach unten und die Kurse nach oben trieben.
Anleihekurse und -zinsen verhalten sich wie eine Wippe: Wenn die Zinssätze fallen, steigen die Kurse. Seit 1999 hat der Bloomberg Euro Aggregate Index in den 12 Monaten nach den Zinssenkungen der EZB im Durchschnitt über 5 % zugelegt. Dies beinhaltet eine günstige Verteilung, da das oberste Quartil der Renditezeiträume bei über 8 % und das unterste bei rund 2 % lag.
Die fundamentalen Aussichten für europäische festverzinsliche Wertpapiere beruhen auf drei Hauptfaktoren: Wachstum, Inflation und dem politischen Kurs der EZB.
Was das Wachstum anbelangt, so bleibt die Situation in Europa relativ gedämpft. Trotz Anzeichen einer Verbesserung wird das BIP-Wachstum 2024 wahrscheinlich unter 1 % liegen und damit hinter dem Durchschnitt der letzten sieben Jahre zurückbleiben. In Bezug auf die Unternehmensanleihen ist die Fähigkeit zur Schuldentilgung jedoch nach wie vor stark, und es werden stabile Gewinntrends erwartet.
Auch die Inflationsdynamik in Europa hat sich in diesem Jahr deutlich verbessert: Im Mai stieg die Kerninflation im Jahresvergleich um 2,9 % gegenüber 5,3 % im Jahr 2023. Aber auch wenn die Mai-Zahlen leicht nach oben überraschten, so werden im weiteren Verlauf doch immer wieder Rückschläge zu erwarten sein. Deshalb sind wir weit davon entfernt, bereits den Sieg im Kampf gegen die Inflation erklären zu können. Das Tempo der Disinflation hat sich im Vergleich zur zweiten Hälfte des Jahres 2023 verlangsamt. In Verbindung mit der nach wie vor starken Lohninflation und den ungünstigen Basiseffekten im Energiesektor dürfte die Gesamtinflation bis Ende 2024 über dem 2 %-Ziel der EZB verharren.
Die EZB-Beamten bleiben von den Daten abhängig und werden sich wünschen, dass die Dienstleistungsinflation in der zweiten Hälfte des Jahres 2024 unter 3,5 % liegt. Dies entspräche ihren Prognosen vom März und würde die für das Jahr geplanten Zinssenkungen von 75 Basispunkten rechtfertigen. Für einen aggressiveren Kurs wäre wahrscheinlich eine Beschleunigung der disinflationären Trends erforderlich, die die Inflation unter das 2 %-Ziel der EZB treiben. Dieses Szenario wird jedoch von den Daten noch nicht gestützt und wird durch den verzögerten Beginn des Kürzungszyklus in den USA zusätzlich erschwert.
Die europäischen Anleiherenditen haben sich einen Großteil des Jahres nach oben korrigiert, da das stärkere US-Wachstum und die Inflation zu einer Verschiebung der Marktpreise geführt haben. Die Erwartung eines tiefen US-Zinssenkungszyklus musste einem flacheren Zyklus weichen. Wir sehen hier Chancen, da die Divergenzen mit unterschiedlichen Wachstums-, Inflations- und Politikpfaden in Europa größer werden als anderswo.
Wir halten Unternehmens- und Staatsanleihen mit kurzer Laufzeit und Investment-Grade (IG) für besonders attraktiv. Hohe Anfangsrenditen bedeuten, dass diese Anlagen in den meisten Szenarien starke Gesamtrenditen liefern können. Anleihen mit kürzerer Laufzeit werden wahrscheinlich von Zinssenkungen profitieren, da die Renditekurve nach Zinssenkungen in der Regel steiler wird. Dies führt dazu, dass die Zinsen von Anleihen mit kürzerer Laufzeit stärker zurückgehen als die ihrer Pendants mit längerer Laufzeit, was sich günstig auf die Anleiherenditen auswirkt.
Auf dem Unternehmensanleihenmarkt bieten europäische IG-Unternehmensanleihen mittel- bis langfristig einen guten Wert. Diese Anlagen haben sich in den 12 Monaten nach einer Pause der Zentralbank in der Vergangenheit gut entwickelt, da die Anleger nach Anleihen mit attraktiven Renditen suchen. Die Gesamtrenditen sind attraktiv, wobei die Renditen von IG-Unternehmensanleihen einen Aufschlag von 50 Basispunkten auf die Dividendenrendite des Stoxx Europe 600 Equity Index bieten.
Die Credit-Spreads im Investment-Grade-Bereich können angesichts der Rallye des letzten Jahres nicht mehr als „billig“ bezeichnet werden. Allerdings sind die europäischen IG-Spreads im Vergleich zum US-Dollar-Markt immer noch 10-20 Basispunkte günstiger, wenn man die historischen Verhältnisse zugrunde legt. Unserer Meinung nach haben die Spreads in Europa die Risikoprämie, die sich aus dem anhaltenden Russland/Ukraine-Krieg und den daraus resultierenden Energieproblemen ergibt, noch nicht vollständig eingepreist. Unser bevorzugtes Segment innerhalb des Unternehmensanleihen-Sektors sind kurzlaufende Unternehmensanleihen mit Laufzeiten von 1-5 Jahren. Wenn die Renditen von Staatsanleihen relativ unverändert bleiben, können die Anleger von zusätzlichen 90 Basispunkten Rendite profitieren. Fallen die Zinsen, wird diese Anlageklasse hohe Renditen erzielen. Wenn sich das Wachstum abschwächt und sich die Spreads ausweiten, dürfte der Rückgang der Staatsanleihezinsen die meisten, wenn nicht sogar alle Kapitalverluste ausgleichen. Dies wird letztlich zu positiven Renditen führen, wenn man den Ausgangszinssatz betrachtet.
Hochverzinsliche Anleihen bieten indes nur relativ wenig zusätzliche Prämie für das eingegangene Risiko, was uns hier etwas vorsichtig sein lässt. Nichtsdestotrotz spiegelt ein großer Teil dieser Entwicklung eine sehr günstige technische Dynamik wider. Die Anleger sind vorsichtig positioniert (hohe Cash-Bestände), es wurden kaum neue Anleihen emittiert (Angebot) und es gab mehrere Heraufstufungen auf Investment Grade (insbesondere Ford). Infolgedessen ist der Markt für Euro-Hochzinsanleihen in den letzten zwei Jahren um 15 % geschrumpft.
Wie erwartet, hat die EZB im Juni begonnen, die Zinsen zu senken.
Dies schafft Chancen für umsichtige festverzinsliche Anlagen, die sowohl
Aussicht auf Erträge als auch auf Kapitalgewinne haben. Das Wichtigste
ist, wachsam zu bleiben und auf Verschiebungen in den Daten zu achten.
Investitionen beinhalten Risiken. Der Wert von Anlagen und die daraus entstehenden Erträge können sowohl fallen als auch steigen, und es ist möglich, dass ein Investor weniger als den investierten Betrag zurückerhält. Die Wertentwicklung in der Vergangenheit lässt keine Rückschlüsse auf zukünftige Ergebnisse zu.
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