Robeco: „Anleger sind der Niedrigzinsphase noch nicht entronnen“

Der so genannte „Reflation Trade” – die Wette der Anleger, dass Trumps Politik Inflation und Wirtschaftswachstum in den USA ankurbeln dürfte – hat in den letzten Monaten das Geschehen an den Finanzmärkten dominiert. Ist das eine kurzzeitige Unterbrechung oder haben wir mehr zu erwarten?

19.04.2017 | 11:18 Uhr

(Foto: Lukas Daalder, Robeco)

Die in letzter Zeit beobachtete Wachstumsdynamik lässt Zweifel an der angeblich lang anhaltenden Stagnation aufkommen.

Bei der Überwindung der Ursachen von keinem oder einem nur äußerst geringen Wirtschaftswachstum (Stagnation) gibt es gewisse Fortschritte. Die Arbeitsmarktentwicklung, die Investitionsausgaben und die staatliche Politik sind laut Lukas Daalder, Chief Investment Officer von Robeco Investment Solutions, entscheidend.

Zur Ausgangslage: Die Aktienmärkte sind gestiegen, die Anleihekurse dagegen gefallen. Und die Weltwirtschaft nimmt an Stärke zu. Das wirft die Frage auf: Haben wir inzwischen ausreichend Fahrt aufgenommen, um das „Untergangsszenario” einer lange anhaltenden Stagnation hinter uns zu lassen? Daalder pointiert  die Situation mit einem umformulierten Shakespeare-Zitat: Reflation oder Stagnation – das ist hier die Frage! „Angesichts der weiterhin robusten Konjunkturdaten, die in den letzten Monaten veröffentlicht wurden, hat die Zahl der Artikel, die die These einer lang anhaltenden Stagnation in Frage stellen, eindeutig zugenommen. Deshalb ist unschwer zu verstehen, warum wir dieses Thema für wichtig halten”, sagt Daalder.„Wenn es die lange anhaltende Stagnation tatsächlich gibt, wird die derzeitige Konjunkturerholung sicherlich nur vorübergehend sein – nicht mehr als eine kurze Unterbrechung, die noch vor dem Jahresende vergessen sein wird.“ Für diesen Fall erwartet der Robeco-Experte, dass ein Phänomen der letzten sechs Monate bald vorüber sein dürfte: der so genannte „Reflation Trade”. „Und die logische Konsequenz daraus wären anziehende Anleihekurse und rückläufige Aktienkurse”, schlussfolgert Daalder.

„Wenn eine lang anhaltende Stagnation dagegen nicht viel mehr ist als das Modethema von gestern – eine unzutreffende Vorstellung, die auf einer unglücklichen Verkettung negativer zyklischer Faktoren und nicht auf einem strukturellen Phänomen basiert –, dann dürften in den nächsten Monaten und Jahren positivere Überraschungen auf die Märkte warten. Die Reflation wird weitergehen, so dass man Anleihen nach wie vor meiden sollte, während risikobehaftete Finanzmarktaktiva weiter eine überdurchschnittliche Performance erreichen werden.”

Gerät das Verhältnis von Sparen versus Investieren aus den Fugen?

Das allgemein anerkannte Konzept der lang anhaltenden Stagnation – im Gegensatz zu einer normalen Rezession – besagt, dass das übliche Verhältnis zwischen Sparen und Investieren aus den Fugen gerät. Dies liegt zum Teil daran, dass die von der Finanzkrise gebeutelten Banken das Geld ihrer Sparer nicht an Unternehmen verleihen, die es investieren wollen. Die Folgen sind eine chronisch schwache Wirtschaft, geringe Inflation, niedrige Zinssätze und eine ständige Rezessionsgefahr. Weniger einig sind sich Marktbeobachter laut Daalder darüber, wie eine solche lang anhaltende Stagnation beginnt. Ihre möglichen Ursachen reichen von stockendem technischen Fortschritt bis zu den Folgewirkungen der gesellschaftlichen Überalterung und Ungleichheit; wobei diejenigen, die kurz vor dem Ruhestand stehen, und die Wohlhabenderen überproportional mehr sparen als ärmere Bürger. Das durch die globale  
Finanzkrise beschädigte Finanzsystem hat unterdessen die Banken vorsichtiger werden lassen, so dass sie weniger Kredite vergeben. Außerdem haben die Globalisierung und die zunehmende Automatisierung möglicherweise zu Verzerrungen der Investitionstätigkeit in den Industrieländern geführt.

Und obwohl die Geldpolitik – die Notenbanken haben die Zinssätze auf Rekordtiefstände gesenkt und massive Quantitative Easing-Programme aufgelegt – vielfach als Teil der Lösung gilt, könnte sie Daalder zufolge auch ein Teil des Problems sein. „Da sich in der sehr hohen Nachfrage nach Staatsanleihen mit AAA-Rating ein Ersparnisüberschuss manifestiert, ist nicht ohne Weiteres nachvollziehbar, warum die Notenbanken im Rahmen ihrer geldpolitischen Lockerung umfangreiche Anleihekaufprogramme eingeleitet und damit die Verknappung von sicheren Vermögensgegenständen verschärft haben”, gibt Daalder zu bedenken.

Negative Rückkopplungsschleife durch niedrige Renditen möglich

„Diese niedrigen Renditen könnten tatsächlich wie eine negative Rückkopplungsschleife wirken, bei der ein Mangel an Altersvorsorgeersparnissen zu noch größerer Ersparnisbildung führt. Und das bedeutet, dass sich diese Politik möglicherweise negativ ausgewirkt hat. In Anbetracht dessen, dass die US- Notenbank Fed die Zinsen erhöht und die europäischen Zentralbanker zu einer Drosselung ihres Anleihekaufprogramms neigen, sollte dieser Faktor in den nächsten Jahren an Bedeutung verlieren.”

Nach Daalders Ansicht ist die Idee einer lang anhaltenden Stagnation deshalb ein vielschichtiges Problem, das durch die fortschreitende Globalisierung und die Vernetzung der modernen Finanzmärkte noch vergrößert wird. „Sie lässt sich leicht durch den Hinweis von der Hand weisen, dass sich das Wachstum weltweit betrachtet nicht verlangsamt hat, was darauf hindeutet, dass es sich um ein Umverteilungsproblem handeln muss, das im Lauf der Zeit verschwinden sollte”, sagt Daalder.

Das legt Daalder zufolge auch die Vergangenheit nahe: Es sind schon häufiger Phasen lang anhaltender Stagnation ausgerufen worden, die aber nie so lange dauerten wie befürchtet. „Das ist allerdings der einfache Ausweg. Einige Trends – wie die Rolle der Alterung, der Preisrückgang bei Investitionsgütern, die Ungleichheit und der Ersparnisüberschuss in den Schwellenländern – sind tatsächlich struktureller Natur. Und bei keinem dieser Trends ist in naher Zukunft mit einer radikalen Veränderung zu rechnen”, erwartet Daalder.

„Das bringt uns zu unserer eingangs gestellten Frage zurück: Reflation oder Stagnation? Die Antwort darauf ist nicht schwarz oder weiß. Die Arbeitsmarktentwicklung, die Investitionsausgaben und – möglicherweise – die staatliche Politik, angeführt durch was auch immer Trump letztlich entscheidet, sind die wichtigsten Indikatoren, die wir weiter beobachten werden“, sagt Daalder. Die niedrige Inflation und das schwache Lohn- und Gehaltswachstum sind für den Robeco-Experten jedoch klare Hinweise, dass Anleger der Phase niedriger Renditen noch nicht entronnen sind.  

 




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