DONNER & REUSCHEL: Mumm Briefing zum Wochenausklang

Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei der Privatbank DONNER & REUSCHEL
Volkswirtschaft

Die Fed und EZB haben das Narrativ des „higher for longer“, also der längerfristig auf den aktuellen Niveaus verharrenden Leitzinsen, so erfolgreich implementiert, dass die steigenden Zinsen bei längeren Laufzeiten bis vor kurzem kaum Halt fanden.

06.10.2023 | 10:27 Uhr

Renditen von US-Staatsanleihen mit zehn Jahren Restlaufzeit sind in diesem Zuge bis auf 4,88 Prozent p.a. angestiegen, Bundesanleihen haben die Marke von 3,00 Prozent p.a. kurzzeitig übersprungen. Sogar über 5 Prozent p.a. lag zwischenzeitlich die Verzinsung einer zehnjährigen italienischen Staatsanleihe. Auch Renditen von Unternehmensanleihen und Hypothekenzinsen zogen wieder deutlich an. Den unterschiedlichen Segmenten ist gemein, dass sich die Konditionen für etwaige Neukredite oder Refinanzierungen bestehender Schulden damit auf Niveaus befinden, die in den letzten 10 bis 15 Jahren nicht erreicht wurden. Einzig italienische Staatsanleihen rentierten zuletzt im Jahr 2012 – im Zuge der Euro-Staatsschuldenkrise – auf vergleichbaren Niveaus.

Einerseits unterstützen die steigenden Zinskosten den Bremseffekt der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und damit die konjunkturelle Abkühlung. Andererseits nehmen die Risiken für einzelne Wirtschaftssubjekte deutlich zu.

  • So steigen sowohl in den USA als auch in Europa die Insolvenzzahlen an.
  • Zudem dürften die Fed und vor allem die EZB die Renditen von Staatsanleihen besonders genau beobachten. Sollten diese im Segment der Euroland-Peripheriestaaten zu stark anziehen, ist zumindest mit verbalen Interventionen vonseiten der Notenbank zu rechnen, um Zweifel über die Refinanzierungsfähigkeit einzelner Staaten im Keim zu ersticken. Sollte der Renditeanstieg sich trotzdem fortsetzen, stünde mit dem TPI (Transmission Protection Instrument) ein Mittel bereit, um diesem durch fokussierte Wertpapierkäufe Einhalt zu gebieten.
  • Aber auch in den USA könnten zu stark steigende Zinsen Zweifel an der Bonität des Staates aufkommen lassen, zumal die Politik im Zuge des aktuellen Haushaltsstreits derzeit kein stabiles Bild abgibt.
  • Die derzeitigen Zinsniveaus am langen Laufzeitende passen jedoch kaum zur aktuell deutlich abkühlenden Weltwirtschaft. Auch die tendenziell weiter nachgebenden Inflationsraten sorgen dafür, dass kurzfristig mit einer Kehrtwende an den Anleihemärkten und damit deutlich sinkenden Renditen zu rechnen ist.

Für die deutsche Wirtschaft bleibt die schwache Wachstumsdynamik Chinas und damit einhergehend die globale Industrierezession ein wesentlicher Belastungsfaktor. Ein Beleg dafür sind die seit Oktober 2022 im jeweiligen Vorjahresvergleich – nur mit einer kurzen Unterbrechung im Frühjahr 2023 – überwiegend deutlich nachgebenden Exporte Chinas. Einzig nach Russland werden heute mehr chinesische Waren exportiert, während die Exporte nach Europa, in die USA und selbst innerhalb Asiens deutlich nachgaben. Für August vermeldete das Statistische Bundesamt erneut sinkende Exporte der deutschen Industrie, im Vergleich zum Vorjahr um 5,8 Prozent, wobei der Wert der nach China gelieferten Waren im Vergleich zum Vormonat um 1,8 Prozent zunahm. Nach Angaben des VDMA hat sich der Trend rückläufiger Auftragseingänge im August jedoch fortgesetzt. Insgesamt sanken die Bestellungen für die Unternehmen des Anlagen- und Maschinenbaus in Deutschland um real 21 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Eine Trendwende ist gemäß VDMA derzeit noch nicht in Sicht. Damit befindet sich die Stimmungslage in der deutschen Wirtschaft mittlerweile auf Krisenniveaus wie zuletzt im Herbst 2022 und davor im Zuge der Coronakrise. Gemäß ifo-Institut sank jedoch der Pessimismus der zur Erhebung des ifo-Geschäftsklimaindex befragten Unternehmen zuletzt. Angesichts der im kommenden Jahr erwartbaren leichten Erholung der Weltwirtschaft, der künftig steigenden Realeinkommen, die den Konsum unterstützen sollten, sowie den im Zuge einer kurzfristigen weiteren konjunkturellen Abkühlung wahrscheinlich weiter nachgebenden Inflationsraten und folglich sinkenden Zinsen bei längeren Laufzeiten, dürfte die Zuversicht bei Unternehmens- und Konsumentenbefragungen in Europa künftig zunehmen. Die Konjunkturindikatoren könnten daher in den kommenden Monaten in einem allgemein sehr pessimistischen Umfeld positiv überraschen.

In den USA hingegen ist in den kommenden Quartalen eine Eintrübung der wirtschaftlichen Perspektiven wahrscheinlich. Unser Basisszenario bleibt eine leichte Rezession, vor allem über eine zinsinduziert sinkende Bautätigkeit und resultierend einer schwächeren Nachfrage privater Konsumenten. Trotz der jüngsten Einigung im Haushaltsstreit zwischen Demokraten und Republikanern dürfte ein drohender Ausgabenstopp der Regierung (government shutdown) Mitte November wieder auf der Agenda stehen. Ein tatsächlicher shutdown, also der Stopp nicht wesentlicher Ausgaben, bspw. für den Betrieb von Nationalparks oder im Bereich ziviler Militärbediensteter, wäre angesichts der zunehmenden politischen Polarisierung nicht unwahrscheinlich und würde sich je nach Länge auch negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirken. Die zuletzt noch weitgehend robust ausgefallenen Stimmungsindikatoren, bspw. die ISM-Einkaufsmanagerindizes, dürften sich vor diesem Hintergrund in den kommenden Monaten abkühlen.

Fazit: Sofern die Zinsen bei längeren Laufzeiten zeitnah die derzeitigen Höchstniveaus verlassen, dürfte zunehmende Hoffnung auf eine wirtschaftliche Stabilisierung im Laufe des ersten Halbjahres 2024 auch die Perspektiven an den Aktienmärkten wieder aufhellen. Wir rechnen daher nach einem schwankungsreichen Herbst mit steigenden Notierungen mit Blick auf das Jahresende.

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