Columbia Threadneedle: Warum Handelszölle die disruptiven Kräfte nicht stoppen werden

Volkswirtschaft

Disruptive Innovationen sind einer der prägenden Trends des 21. Jahrhunderts. Verschiedene Umstände hätten in den vergangenen Jahrzehnten dazu geführt, dass die industrielle Disruption so rasant verläuft wie vielleicht noch nie, so William Davies, Global Head of Equities bei Columbia Threadneedle Investments.

16.11.2018 | 10:06 Uhr

Die Globalisierung hat das Vordringen auf neue Märkte und deren Erschließung einfacher gemacht, florierende Schwellenländer haben die Konsumentenklasse um Hunderte Millionen Menschen vergrößert, veränderte demografische Gegebenheiten haben die Nachfrage beeinflusst, und vor allem haben  Technologie und das Internet die Wettbewerbslandschaft für ganz unterschiedliche Industriezweige, vom Gesundheitswesen bis hin zu Essenslieferdiensten, grundlegend verändert.

Aber mindestens zwei dieser tragenden Säulen könnten  bedroht  sein. Zum einen werden Technologieunternehmen, deren  Image durch Datenlecks, Hacks und Datenschutzsorgen ramponiert  wurde, nun engere  Grenzen gesteckt. Unterdessen will US-Präsident Donald Trump, der den weltweiten Handel als ungerecht empfindet, eine protektionistischere Handelspolitik durchsetzen – sowohl gegenüber traditionellen Gegnern wie China als auch gegenüber Verbündeten wie der EU und sogar Kanada.

Wenn die Kräfte, die disruptiven Industrien in den letzten Jahrzehnten so viel Auftrieb verliehen haben, nun angesichts der Handelskriege und der öffentlichen Gegenbewegung an Schwung verlieren, kann man dann davon ausgehen, dass die „disruptiven Innovationen“ selbst in Gefahr sind? Wir würden diese Frage mit fast hundertprozentiger Überzeugung mit „Nein“ beantworten.

Die Triebkräfte der Disruption 

Bevor wir genauer auf diese Frage eingehen, wollen wir uns einige der Industriezweige ansehen, die durch disruptive Veränderungen oder Innovationen umgestaltet werden.

Nehmen Sie zum Beispiel Essenslieferdienste. Seit 2011  hat sich in den USA das Volumen der Online-Essensbestellungen dank des technologischen Fortschritts auf über 20 Milliarden US-Dollar mehr als verdoppelt, während der Markt für „Offline-Lieferdienste“ stagniert. Man geht davon aus, dass die „Online-Bestellungen“ bis 2022  angesichts der jährlichen Wachstumsrate von über 20 Prozent fast 60 Milliarden US-Dollar erreichen werden.1

Das Wachstum automatisierter Küchen und Auslieferungen mit Drohnen, die bereits in Teilen Chinas zum Einsatz kommen,  werden die Kosten noch weiter senken. Wenn Online-Lieferungen dann irgendwann einmal billiger sind als die Essenszubereitung daheim, dann könnte das als disruptive Innovation für das Lebensmittelgeschäft wirken.

ABBILDUNG  1: DER SIEGESZUG VON ONLINE-ESSENSLIEFERDIENSTEN

DER SIEGESZUG VON ONLINE-ESSENSLIEFERDIENSTEN

Unterdessen haben sich im produzierenden Gewerbe, das schon lange das Ziel disruptiver Innovationen ist, umwälzende Veränderungen vollzogen: Im Zeitraum von zehn Jahren ist die Zahl der operativen Industrieroboter weltweit von rund einer Million auf über zwei Millionen nach oben geschnellt.2 Daraus ergeben sich grundlegende Herausforderungen für Fertigungsunternehmen von heute  und enorme Chancen  für diejenigen Unternehmen, die sich auf diese Veränderungen einstellen und sie sich zunutze machen – genau  wie für die Unternehmen aus der Robotikindustrie, die die Technologie bereitstellen. Auch Industriezweige, die sich bisher gut behaupten konnten,  spüren inzwischen die ersten Bedrohungen: Als beispielsweise Amazon, das immer wieder mit disruptiven Neuerungen von sich reden macht, in den Medikamentenvertrieb einstieg, reichte das aus, um bei Aktien aus dem Gesundheitswesen für Kursverluste von über 10 Prozent zu sorgen.

Und es ist auch nicht nur die Technologie, die für einen grundlegenden Wandel in der Industrie sorgt. Nachdem es China gelungen ist, einem beträchtlichen Teil seiner Bevölkerung den Aufstieg in die Mittelschicht zu ermöglichen, verzeichnen diese neuen Verbraucher nun rapide Einkommenszuwächse (siehe Abbildung 2). Die Zahl der Menschen, die mindestens 20.000 US-Dollar verdienen, hat sich von 2010 bis 2016  auf über 7 Prozent der Bevölkerung mehr als verdoppelt. Gleichzeitig ist die Zahl derjenigen, die zwischen 10.000 US-Dollar und 20.000 US-Dollar verdienen, von 9 Prozent auf 22 Prozent gestiegen.3  Diese demografische Verschiebung hat weitreichende Auswirkungen auf die Konsumwirtschaft des Landes. Dafür gibt es zahlreiche verschiedene Belege, beispielsweise die wachsende Popularität von Premium-Bier, dessen Marktanteil in fünf Jahren von einem vernachlässigbaren Niveau auf fast 10 Prozent zugelegt hat,4 wodurch die Preise und die Margen angezogen haben

ABBILDUNG  2: CHINESISCHE VERBRAUCHER WERDEN IMMER  WOHLHABENDER

CHINESISCHE VERBRAUCHER WERDEN IMMER  WOHLHABENDER

Disruptive Zölle von Donald Trump

Von diesen disruptiven Kräften haben viele Unternehmen profitiert, nicht zuletzt in den USA. Durch die Globalisierung, eine der zentralen Antriebskräfte der disruptiven Innovationen, wurde es möglich, dass sich Spezialisierungen in Bereichen mit einem besonderen Wettbewerbsvorteil herausbilden konnten  – von den High-Tech-Zentren Berlin, London und Silicon Valley bis hin zu den Textilproduzenten Vietnam und Bangladesch. In vielen Fällen waren die Veränderungen auch für die Verbraucher von Vorteil.

Aber zahlreiche Menschen haben auch die negativen Folgen dieser disruptiven Kräfte zu spüren bekommen. Tatsächlich könnte man sagen, dass eine inhärente Folge der Globalisierung – nämlich die Befähigung von Unternehmen, disruptive Technologien einfacher zu kopieren, zu stehlen oder nachzuahmen und sie gegen ihr Ursprungsland zu verwenden – Präsident Trump in seinem Bestreben, Zölle zu verhängen, direkt bestärkt hat.

Der US-Präsident war auch bereit, Handelsschranken aus Gründen der nationalen Sicherheit zu errichten. Er begründete dies beispielsweise damit, dass eine fehlende robuste US-Stahlindustrie eine Gefahr für das Land darstelle. Ironischerweise wird Donald Trump damit zu einem der disruptivsten Nachkriegspräsidenten, den die USA jemals hatten, denn diese Pläne stehen im Gegensatz zu jahrzehntelangen ökonomischen Lehrmeinungen, nach denen Industriezweige infolge der Globalisierung in die Regionen verlagert wurden, in denen am kostengünstigsten produziert werden konnte.

Der Wandel hin zu einer stärker protektionistischen Handelspolitik ist real. Da die USA unter Präsident Donald Trump in Handelsfragen außerdem eine aggressive Haltung gegenüber China, der EU und den Staaten des NAFTA-Abkommens (das bald durch das USMCA- Abkommen zwischen den USA, Mexiko und Kanada ersetzt werden soll) einnehmen, dürften die Spannungen erst zunehmen, bevor sich die Lage wieder verbessert. Einige protektionistische Elemente schaden ganz eindeutig den Bedingungen, die in den letzten Jahrzehnten den Vormarsch der disruptiven Industrien begünstigt haben. Freihandel ist jedoch nur ein Teil der komplexen, mehrschichtigen Dynamik, die den Aufstieg der disruptiven Kräfte angefacht hat. Daher dürften Handelskriege, auch wenn sie großen  Schaden anrichten, diese disruptiven Kräften höchstens kurzfristig bremsen.

Man nehme  beispielsweise den Einzelhandel. Dieser Sektor sieht sich mit einigen der tiefgreifendsten Veränderungen konfrontiert. Import- oder Exportzölle werden sich bei physischen Waren, die über Online-Giganten wie Amazon und Alibaba verkauft werden, zweifelsohne bemerkbar  machen. Doch im Online-Zeitalter können  Verbraucher ihre Produkte in vielen Fällen einfach aus einem anderen Land oder von einem anderen Anbieter beziehen. (Amazon hat vor Kurzem als zweites Unternehmen einen Börsenwert von einer Billion Dollar erreicht, Anleger scheinen sich über die Folgen des Protektionismus also keine allzu großen  Sorgen zu machen.)  Auch Online-Essenslieferdienste dürften langfristig kaum betroffen sein. Sollten Auslieferungen mit Drohnen und automatisierte Küchen irgendwann tatsächlich wie versprochen preiswerter sein als das Kochen daheim, dann könnten steigende Lebensmittelkosten den Online-Lieferservice sogar ankurbeln.

Ein weiterer Aspekt der jüngsten protektionistischen Maßnahmen ist die wachsende Bereitschaft, in Fragen rund um Technologie und geistiges Eigentum zu intervenieren. Chinas Beharren, dass ausländische Unternehmen nur über ein Joint Venture Zugang zum chinesischen  Markt erhalten und dabei in beträchtlichem Umfang Technologie übertragen müssen, ist dem Westen seit vielen Jahrzehnten ein Dorn im Auge. Auch die lang jährige Sperre von Facebook,  Google und Co. sorgt für Unmut. Dazu kommen noch die jüngsten Sicherheitsbedenken, da sich China in High-Tech- Infrastrukturprojekten wie 5G-Netzen engagieren will. Dies hat dazu geführt, dass zahlreiche Fusionen und Übernahmen untersagt oder einer genaueren Prüfung unterzogen wurden.

Eine Welt im Wandel

Die Frage lautet: Wie bedeutsam sind derartige Maßnahmen heutzutage? Die Welt hat sich enorm verändert,  seit Länder wie China vor mehreren Jahrzehnten ihre Isolation aufgegeben haben, und das Bildungswesen dieser Länder hat sich rasant verbessert. In diesem Umfeld schwindet der Wettbewerbsvorsprung US-amerikanischer und europäischer Technologie rasch, dies zeigt sich an den Fortschritten von Unternehmen wie Tencent, Alibaba und Baidu.

Wie bereits angesprochen sind auch die chinesischen Verbraucher eine nicht zu unterschätzende Kraft. Früher hing das Wohlergehen chinesischer Konsumgüterunternehmen davon ab, ob es ihnen gelang, im Ausland erfolgreich zu sein. Da aber nun auch die chinesischen Verbraucher ein immer höheres verfügbares Einkommen haben, finden diese Unternehmen nun einen wachsenden Markt vor, den sie sich nicht erst erschließen müssen. Das soll nicht heißen, dass Zölle keine Auswirkungen haben  werden – wenn die Preise für importierte Waren und Rohstoffen steigen, dann wird sich das natürlich bemerkbar  machen. Allerdings werden die disruptiven Kräfte, die den Wandel befeuern, nicht einfach verschwinden.

Und in der Stahlindustrie könnten  Zölle den inländischen US-Unternehmen zwar kurz- bis mittelfristig helfen, aber für die US-amerikanischen Stahlverbraucher dürften sie kaum von Vorteil sein. Genauso wenig werden sie etwas an den langfristigen Trends ändern,  die seit mehreren Jahrzehnten dafür sorgen, dass die Produktion an kostengünstigere Standorte verlagert wird. In mancherlei Hinsicht könnten Zölle den Aufstieg disruptiver Technologien wie Industrierobotik sogar noch beschleunigen. Schließlich kommt eine protektionistische Politik weniger effizienten Industriezweigen zugute, und dadurch  steigt meist die Inflation. Dies führt wiederum zu höheren Löhnen, somit wird Automatisierung für produzierende Unternehmen noch interessanter.

Fazit

Niemand würde behaupten, dass Zölle und Handelsspannungen keinerlei Auswirkungen auf disruptive Kräfte haben. Sollten die USA und China die Handelsspannungen immer weiter verschärfen, dann wird dies sicherlich die globalen Kapital- und Warenströme behindern, die maßgeblich zum Erfolg disruptiver Kräfte in der Industrie beigetragen haben. Eine zunehmend isolationistische Politik verhindert auch die Verbreitung von Ideen und Know-how, die für den Fortschritt von Technologie und Innovation so wichtig ist.

Aber „herkömmliche“ ökonomische Waffen wie Zölle haben  in einer Welt, die inzwischen durch Technologie so extrem stark vernetzt ist, an Schlagkraft verloren. Der Siegeszug des Online-Handels hat dafür gesorgt, dass Verbraucher unter viel mehr Anbietern als früher wählen können. Gleichzeitig bieten beispielsweise Industrieroboter ganz neue  wirtschaftliche Bedingungen und Möglichkeiten für produzierende Unternehmen überall auf der Welt. Was die wachsende Verbraucherschicht in Ländern wie China betrifft, so könnte  es durchaus sein, dass teurere Importe einfach nur die Nachfrage nach im Inland gefertigten hochwertigen Waren anfachen. Dadurch würden die angestammten Anbieter noch stärker durch disruptive Kräfte belastet.

Man kann zwar nicht vorhersagen, wann oder wie sich die aktuelle handelspolitische Pattsituation auflösen wird, aber man kann mit großer Sicherheit sagen, dass Handelskriege zwar immer wieder ausbrechen und dann wieder enden, die disruptiven Kräfte dagegen dauerhaft Bestand haben  werden.


Mehr Informationen:

http://www.columbiathreadneedle.de/de/insights/?it=Intermediary
http://www.columbiathreadneedle.at/de/insights/?it=Intermediary


1 NPD, Cowen/Bloomberg, Juli 2018
2 International  Federation of Robotics, 2016.
3 UBS, Columbia Threadneedle Investments, 2018.
4 Euromonitor, Goldman Sachs Global Investment Research, 2017.

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