Janus Henderson: Value-Anlagen in Europa - das Prinzip Unsicherheit

Das europäische Umfeld präsentierte sich für Anleger zuletzt als schwieriges Umfeld. Die Frühjahrsprognosen weisen auf eine sich stabilisierende wirtschaftliche Entwicklung hin. Der Einfluss politischer Unsicherheit hält für aufmerksame Trader interessante Möglichkeiten bereit, meint Nick Sheridan.

09.06.2017 | 09:36 Uhr

Für Value-Anleger waren die letzten fünf Jahre in Europa kein Zuckerschlecken. In der gesamten Region schwächelte das Bruttoinlandsprodukt (BIP), das normalerweise bei gutem Verlauf für höhere Aktienkurse sorgt. Nur hin und wieder wurde sein Einfluss durch externe Faktoren wie niedrige Ölpreise und einen schwächeren Euro ausgeglichen. Der Fonds legt mehrheitlich in Unternehmen an, die verglichen mit ihrem nachhaltigen Ertragsprofil unterbewertet sind und daher aus unserer Sicht gutes Wertpotenzial beinhalten. Im Allgemeinen profitieren wir daher von einer überdurchschnittlich hohen Rendite auf das investierte Kapital, während wir dafür zugleich weniger als am Markt sonst üblich bezahlen. Im Fonds sind zwar auch „Deep-Value-Aktien“ enthalten, also Titel, die deutlich unter ihrem Substanzwert gehandelt werden und daher erhebliches Wertpotenzial haben. Sie machen aber nicht den Löwenanteil des Fonds aus, denn unter anderem sind sie mit überproportional hohen Finanzrisiken behaftet und tendenziell nur in sehr kurzen Phasen eine wirklich gute Anlage. Als „Deep Value“ bezeichnete Aktien leiden in der Regel unter massiven Ungleichgewichten bei Angebot und Nachfrage. Und nur wenn diese sich normalisieren, was vor allem bei sinkendem Angebot infolge von Insolvenzen oder Geschäftsaufgabe von Wettbewerbern der Fall ist, laufen ihre Geschäfte gut. Das beste Umfeld für auf „Deep-Value-Aktien“ setzende Strategien herrscht meines Erachtens dann, wenn sich das BIP-Wachstum beschleunigt. Der Grund ist ihre hohe operative Verschuldung.

Das gesamtwirtschaftliche Umfeld
Noch bis vor Kurzem wurden die bessere Arbeitsmarktlage und der starke private Konsum von politischen Unwägbarkeiten überlagert. Zuletzt aber scheint das Wirtschaftswachstum in Europa deutlich an Breite gewonnen zu haben und auf soliderer Grundlage zu stehen. So geht die Europäische Kommission in ihrer Mitte Mai veröffentlichten Frühjahrsprognose für den Euroraum von einem gegenüber ihrer letzten Prognose etwas höheren Wirtschaftswachstum von 1,7% im Jahr 2017 und 1,8% im Jahr 2018 aus. Für die EU als Ganzes erwartet sie in beiden Jahren ein Wachstum von 1,9%. Ihr Bericht war gleichwohl nicht nur eitel Sonnenschein: So verwies die Kommission auf die Risiken ausgehend vom Brexit, die sich in einer unerwartet starken Konjunkturverlangsamung in Großbritannien im ersten Quartal manifestieren, und der Handelspolitik Trumps. Ermutigend sind dagegen die positiven Entwicklungen bei den öffentlichen Haushalten im Euroraum und ganz allgemein in der Europäischen Union.

Unsicherheit schafft oftmals Chancen
Angst und Unsicherheit sorgen nicht selten dafür, dass ansonsten exzellente Unternehmen auf einem Kursniveau gehandelt werden, das weder ihrem inneren Wert noch ihrem künftigen Gewinnpotenzial angemessen ist. Bis vor Kurzem drängte das politische Risiko in Europa alle anderen Themen in den Hintergrund – auch die Sorge um die Lage in den Volkswirtschaften an der Peripherie Europas.In der Region haben wir in den letzten Monaten Frankreich favorisiert. Aber nicht etwa wegen der politischen Ereignisse, sondern der aus unserer Sicht attraktiven Fundamentaldaten. Anfang 2017 erwies sich diese Positionierung als ungünstig, denn die Zustimmung für die rechtskonservative Front-National-Chefin Marine Le Pen wuchs angesichts des Skandals um den aussichtsreichsten Kandidaten der Republikaner, François Fillon. Vier Monate später machten französische Aktien einen Kurssprung, ausgelöst vom unerwarteten Sieg des liberalen Außenseiters Emmanuel Macron beim ersten Urnengang am 23. April. Aus der nachstehenden Grafik wird das ersichtlich:

Präsidentschaftswahl löst Rally bei französischen Aktien aus 


Quelle: Thomson Reuters DataStream, in Euro, indexiert auf 100 am 30. Dezember 2016.

Eine echte Value-Anlage erfordert jedoch einen längeren Anlagehorizont. Wir bewerten Unternehmen ausschließlich nach ihren zugrunde liegenden Qualitäten und nicht den möglichen Auswirkungen kurzzeitiger Markttrends oder Nachrichten. Aber das Beispiel Frankreich zeigt auch: Politische Unwägbarkeiten können eine willkommene Gelegenheit getreu dem „Prinzip Unsicherheit“ sein und zu einer für Value-Anleger günstigen Fehlbewertung beitragen. Damit steigt auf lange Sicht auch die Wahrscheinlichkeit für eine bessere Wertentwicklung. Denn wie immer ist der Einstiegskurs entscheidend.

Jüngste Veränderungen im Portfolio
In den letzten Monaten waren wir recht aktiv. So haben wir kürzlich die deutsche Versicherung Allianz, den in Luxemburg notierten Metall- und Bergbaukonzern ArcelorMittal, Spaniens Bank Banco Santander und den Autoteilehersteller Faurecia ins Portfolio genommen. Alles in allem schätzen wir den Ausblick für Aktien aus Europa und dem Euroraum weiter gut ein. Ihre Bewertungen erscheinen verglichen mit anderen Aktienmärkten (insbesondere den USA) nach wie vor günstig. Etwas abgeklungen sind in den letzten Monaten die politischen Unsicherheiten, denn bei den Wahlen in Frankreich und den Niederlanden erlitten die Populisten empfindliche Niederlagen. In unseren Optimismus mischt sich indes auch eine gewisse Vorsicht, denn noch stehen die Bundestagswahl in Deutschland, eine mögliche Wahl in Italien und die schwierigen Brexit-Verhandlungen bevor. 

Lässt man die Politik beiseite, sind die Wirtschaftsdaten in Europa unverändert beeindruckend: Die Einkaufsmanagerindizes haben den höchsten Stand seit sechs Jahren erklommen, ebenso wie der Ifo-Geschäftsklimaindex in Deutschland. Diesen Aufschwung spüren inzwischen auch europäische Unternehmen. So übertraf die letzte Berichtssaison die Erwartungen, zumal in den stärker konjunkturabhängigen Marktbereichen. Außerhalb Europas sind die Wirtschaftsdaten durchwachsener und schmälern etwas das Vertrauen. Aber solange sich die Indikatoren aus dem Ausland nicht weiter eintrüben, gibt es derzeit gute Gründe für eine Value-Anlage in Europa.

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