Schroders: Macht die Industrie genug gegen Antibiotikaresistenzen?

Abbildung: Andrea Ucini
Nachhaltigkeit

Führende Experten äußern sich dazu, wie die Lebensmittel- und Pharmaindustrie der Herausforderung einer zunehmenden Antibiotikaresistenz begegnet.

11.01.2019 | 13:15 Uhr

Der vorliegende Artikel wurde von David Prosser verfasst und in der Zeitung The Times veröffentlicht. Alle Meinungen und Ansichten sind die des Verfassers, sofern nicht anders angegeben. 

Die Weltgesundheitsorganisation beschreibt die zunehmende Antibiotikaresistenz als eines der weltweit größten Risiken der öffentlichen Gesundheit.

Da sich Krankheitserreger weiterentwickeln und an neue Gegebenheiten anpassen, werden sie gegenüber Antibiotika zunehmend resistenter. Der übermäßige Einsatz und der Missbrauch beschleunigen diesen Prozess noch weiter. Eine Studie, die von der britischen Regierung in Auftrag gegeben wurde, warnt, dass die Anzahl an Personen, die weltweit jedes Jahr durch sogenannte Superbugs sterben, von 700.000 im Jahr 2016 auf zehn Millionen bis 2050 steigen könnte.

Die Lebensmittel- und die Pharmaindustrie stehen im Mittelpunkt dieses Themas. Gesundheitsexperten warnen, dass der Einsatz von Antibiotika am Beginn der Nahrungskette – beispielsweise, wenn Landwirte Vieh mit Antibiotika füttern, um ihr Wachstum zu fördern – ein besonderes Problem darstellt. Auch die Überverschreibung von Antibiotika an Menschen ist hier zu nennen.

Entscheidungsträger bemühen sich, dieses Problem in Angriff zu nehmen. In den USA und der EU verhalten sich viele Lebensmittel- und Pharmakonzerne verantwortungsbewusster, um den strengeren gesetzlichen Auflagen zu entsprechen, die den Einsatz von Antibiotika in der Agrarkultur kontrollieren. Außerdem wurden Gesundheitskampagnen ins Leben gerufen, um den menschlichen Gebrauch von Antibiotika zu reduzieren.

In den Schwellenländern geht der Fortschritt jedoch langsamer voran. Tatsächlich wollen einige westliche Unternehmen in den Schwellenländern die Umsätze verdienen, die ihnen zuhause entgehen. In einer globalisierten Welt hat dies Auswirkungen für alle: Die Resistenz von Krankheitserregern breitet sich durch Reisende und den Warenverkehr schnell aus.

Ja, das tut sie

Philip Howard, Sprecher der Royal Pharmaceutical Society und Consultant Antimicrobial Pharmacist:

„In Großbritannien macht die Lebensmittelindustrie zwar Fortschritte, die Pharmaindustrie hat jedoch noch Nachholbedarf.

Das Ziel der britischen Regierung, den Einsatz von Antibiotika in der Fisch- und Viehzucht zu reduzieren, wurde 2016 erreicht – zwei Jahre vor Ablauf der Frist. Noch wichtiger ist, dass der Einsatz von Colistin (ein Reserveantibiotikum für Menschen) bei zur Nahrungsmittelerzeugung genutzten Tieren um 83 Prozent reduziert wurde. Außerdem drängen Supermärkte und der Agrarsektor darauf, den Einsatz von Antibiotika zu reduzieren und hohen Standards des Tierschutzes zu entsprechen.

Die Organisation Responsible Use of Medicines in Agriculture Alliance verweist darauf, dass landesweite Schulungsprogramme zur Verhinderung von Infektionen, wie #ColustrumIsGold und #VaccinesWork, entscheidend zum Erfolg der Antibiotikakampagne beigetragen haben.

Was den Pharmasektor betrifft, so haben viele wissenschaftliche, wirtschaftliche und aufsichtsrechtliche Barrieren dazu geführt, dass Pharmakonzerne ihre Investitionen in Innovationen rund um Antibiotika einschränken oder aufgeben. Der Pew Charitable Trusts hat ermittelt, dass sich nur zwölf Antibiotika in der Entwicklungsphase befinden, mit der die gefährlichsten Bakterienfamilien auf der schwarzen Liste der WHO behandelt werden können. Ferner wird nur eines von fünf Medikamenten, die in Phase-I-Studien getestet werden, tatsächlich auf den Markt kommen.

Weltweit kam es auch zu regelmäßigen Knappheiten der Antibiotika-Lieferkette. Die AMR Industry Alliance umfasst eine Koalition von mehr als 100 Biotech-, Diagnostik-, Forschungs- und forschungsbasierten Pharmaunternehmen, die daran arbeiten, den Zugang zu gegenwärtigen und neuen Antibiotika und ihren Einsatz zu verbessern, Umweltkontamination in der Herstellung zu verringern und die Forschung und Entwicklung zu intensivieren.“ 

Nein, das tut sie nicht

Cóilín Nunan, Kampagnenmanager, Alliance to Save Our Antibiotics

„Die Hühner- und Schweineindustrie hat endlich akzeptiert, dass der übermäßige Einsatz von Antibiotika nicht länger haltbar ist, da die Antibiotikaresistenz neue Höhen erreicht und der Druck zum Handeln vonseiten der Wissenschaft und Politik immer stärker wird.

Während der Antibiotikaeinsatz deutlich reduziert wurde (rund 50 Prozent in der Schweineindustrie und 80 Prozent in der Geflügelindustrie), werden andere Medikamente in Rekordmengen eingesetzt. Einige dieser Medikamente können ebenfalls zur Antibiotikaresistenz führen und sind wahrscheinlich umweltschädlich.

Die Industrie sollte sich verstärkt auf eine Verbesserung der Landwirtschaft und Tiergesundheit konzentrieren.

Zumindest gehen Landwirte inzwischen dieses Problem an, während die Pharmaindustrie weitaus weniger geleistet hat. Einige Unternehmen verkaufen Antibiotika als präventive Massenmedikation. Kritik weisen sie von sich und betonen, dass sie sich an die Gesetze halten und die letztendliche Verantwortung bei den Aufsichtsbehörden liegt.

Die gute Nachricht ist, dass die EU kurz davorsteht, ein wichtiges Gesetz zu verabschieden, das die präventive Massenmedikation verbietet. Allerdings tritt dieses Gesetz erst 2022 in Kraft, also nach dem Brexit. Die britische Regierung weigert sich, ein derartiges Verbot auch in Großbritannien durchzusetzen. Das Land könnte einen der lockersten regulatorischen Standards in Europa aufweisen, was Fragen dazu aufwirft, welche Handelsvereinbarungen wir mit Ländern außerhalb der EU schließen werden – Länder, die oft deutlich mehr Antibiotika in der Landwirtschaft verwenden.“

Auf Renditejagd

John Bowler, Fondsmanager bei Schroders mit Schwerpunkt auf das Gesundheitswesen, glaubt, dass die Pharmaindustrie einen Weg finden muss, um ausreichende Renditen auf der Suche nach neuen Antibiotika zu erwirtschaften.

„Da sich so wenige Produkte in der Pipeline befinden, könnte man zweifelsohne argumentieren, dass die Pharmaindustrie der Herausforderung der zunehmenden Resistenz nicht begegnet. Zwischen den 1940er und 1960er Jahren entwickelte die Industrie rund 20 Antibiotikaklassen. Seitdem wurden jedoch nur noch zwei weitere Klassen entwickelt. Als Grund dafür sind drei Aspekte zu nennen.

Erstens fehlt es an der Grundlagenforschung. Es fehlt an neuen Erkenntnissen, die den Weg für die Entwicklung neuer Medikamente ebnen. Zweitens sind die aufsichtsrechtlichen Hürden hoch. Die US-Arzneimittelbehörde FDA war in den zurückliegenden zehn Jahren sehr konservativ, was die Zulassung neuer Medikamente betrifft. Drittens ist das wirtschaftliche Argument für Investitionen in neue Antibiotika schwierig, da die Gesundheitsversorger die neuen, teuren Medikamente nur in Notfällen verwenden möchten, insbesondere in den USA, wo sich Krankenhäuser um die Margen sorgen.

Dennoch gibt es einige positive Anzeichen für Innovationen. Pfizer beispielsweise besitzt einen Impfstoff im späteren Entwicklungsstadium, der Patienten vor einer Infektion im Anschluss an eine Operation schützen würde. Bislang müssen hierfür Antibiotika eingesetzt werden. Genentech entwickelt derzeit einen neuen Antikörper, der den Bestand an Bakterien angreift, die im Körper nach einer Infektion verbleiben.

Aus Anlegersicht haben diese Innovationen ein echtes Potenzial, auch wenn sie für ihre Entwickler kaum bahnbrechend sein werden.“


Die hierin geäußerten Ansichten und Meinungen stellen nicht notwendigerweise die in anderen Mitteilungen, Strategien oder Fonds von Schroders oder anderen Marktteilnehmern ausgedrückten oder aufgeführten Ansichten dar. Der Beitrag wurde am 10.1.19 auch auf schroders.com veröffentlicht.

Diesen Beitrag teilen: