Die Europäische Kommission hat ihren „Fit für 55“-Fahrplan bekannt gegeben, der die vorzunehmende Umstellung beschreibt, um das von der EU-Kommission ausgegebene Ziel einer Senkung der Nettotreibhausgasemissionen um mindestens 55 % bis 2030 zu erreichen.
18.10.2021 | 08:38 Uhr
Mit diesem wichtigen Schritt stellt die EU sicher, dass sie auf Kurs ist, bis 2050 klimaneutral zu werden
Das Paket enthält detaillierte Angaben darüber, wie diese Verringerung der Treibhausgasemissionen erreicht werden kann. Das Europäische Parlament und die EU-Mitgliedstaaten werden vor der Verabschiedung darüber debattieren und abstimmen. Daher werden möglicherweise nicht alle Vorschläge letztlich Gesetzeskraft erhalten. Trotzdem bilden sie jedoch einen soliden Ausgangspunkt.
Das CO2-Grenzausgleichssystem (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) gilt anfangs für Zement, Düngemittel, Eisen und Stahl, Aluminium und die Stromerzeugung sowie für direkte Emissionen der Scope-1-Kategorie. Importeure müssen eine Abgabe für den mit ihren Produkten verbundenen CO2- Ausstoß entrichten, die sich am geltenden CO2-Preis in der EU bemisst. Diese Maßnahme wird innerhalb von drei Jahren ab 2023 umgesetzt und könnte nach 2026 auf andere Sektoren ausgeweitet werden. Für diese übrigen Sektoren werden die kostenlosen Zertifikate bis 2035 schrittweise reduziert.
Ihre Zahl soll jährlich um 10 % bis auf null am genannten Datum sinken. Dies ist positiv für die Bauindustrie, denn die kostenlosen Zertifikate hätten auch bereits 2023 abgeschafft werden können. Das vorgeschlagene Datum bedeutet jedoch, dass die Branche die vollständigen CO2-Zusatzkosten erst ab 2035 tragen muss. Damit hat sie mehr Zeit, um die Pläne für die Reduzierung der CO2-Emissionen schneller voranzutreiben und die Preise auf ein höheres Niveau anzupassen.
Der vielversprechendste und folgenreichste Aspekt des CBAM ist, dass es erst den Einstieg darstellt, dem deutlich striktere weltweite CO2-Vorschriften folgen dürften. Im Zuge der verzögerten Umsetzung könnte das CBAM zu einem wirkungsvollen Instrument werden, das andere Länder dazu antreibt, ihre eigenen Dekarbonisierungspläne zu forcieren. Dies könnte zu verstärkten Debatten rund um globale Dekarbonisierungs- und Klimaziele anregen.
Die Europäische Kommission schlägt vor, dass in den nächsten Jahren bei Flügen, die von einem EU-Flughafen aus starten, dem normalen Flugkraftstoff mehr und mehr nachhaltiger Flugkraftstoff (Sustainable Aviation Fuel, SAF) beigemischt werden muss, um die Reduzierung von Emissionen zu unterstützen. Dieses Thema haben wir bereits vor Kurzem in einem Blickpunkt behandelt.2 Vorgeschlagen wird nun ein SAF-Anteil von 2 % bis 2025, von 5 % bis 2030 und von 25 % bis 2035. Derzeit liegt das SAF-Niveau bei rund 0,1 %.Die Luftfahrtbranche wurde zudem in den Geltungsbereich des EU-Emissionshandelssystems (Emissions Trading Scheme, ETS) einbezogen. Die Sektoren, die vom überarbeiteten EU ETS erfasst werden, das eine weitere Marktverknappung zur Verteuerung von CO2-Emissionen vorsieht, müssen ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um 61 % unter das Niveau von 2005 senken. Damit wird die für den Sektor geltende Zuteilung kostenloser Zertifikate ausgehend vom Flugaufkommen des Jahres 2010 um 4,2 % pro Jahr verringert.Mit diesen Vorschlägen kommen zusätzliche Kosten auf die Luftfahrtindustrie zu, sodass es Gewinner und Verlierer geben wird. Die Fluggesellschaften werden den Einsatz von SAF und den Kauf von CO2-Zertifikaten einkalkulieren müssen, und ihr Erfolg wird davon abhängen, inwieweit sie diese Kosten an ihre Kunden weiterreichen können. Für ein Unternehmen wie Neste sind das sehr gute Nachrichten: Neste ist der weltweit größte Hersteller von Öko- Diesel und nachhaltigen Flugkraftstoffen, die aus Abfall und Reststoffen gewonnen werden. Das Unternehmen will bis 2024 die SAF-Produktion von aktuell rund 0,1 Millionen Tonnen pro Jahr (Mtpa) auf fast 1,5 Mtpa steigern.3Auch der Schifffahrtssektor wurde in den Geltungsbereich des EU ETS einbezogen. Betroffen davon sind Reisen innerhalb der EU, 50 % der Emissionen von Reisen außerhalb der EU und Emissionen, die am Liegeplatz in einem EU-Hafen entstehen. Die Branche muss ihre Treibhausgasintensität (gegenüber einem noch festzulegenden Referenzwert) bis 2025 um 2 %, bis 2030 um 6 %, bis 2035 um 13 %, bis 2040 um 26 %, bis 2045 um 59 % und bis 2050 um 75 % senken.Weder das in der Luftfahrtbranche verbrauchte Kerosin noch das in der Schifffahrt genutzte Schweröl werden bei Reisen innerhalb der EU vollständig von einer Energiesteuer befreit werden. Die Mindeststeuersätze für diese Kraftstoffe werden über einen Zeitraum von zehn Jahren angehoben, während nachhaltige Kraftstoffe von einem Steuersatz von null profitieren, um die Akzeptanz und Einführung dieser Kraftstoffe zu fördern.
Ab 2035 sollen in der EU nur noch Elektrofahrzeuge gebaut werden. „Fit für 55“ schlägt in diesem Zusammenhang vor, die Emissionen neuer Fahrzeuge bis 2030 um 55 % und bis 2035 um 100 % zu reduzieren. Das bedeutet, dass Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor ab 2035 in der EU nicht mehr zugelassen werden dürfen. Damit würden die Emissionen schneller sinken als ursprünglich angenommen, was eine raschere Umstellung auf Elektrofahrzeuge erfordert.Diese Ziele könnten jedoch für Automobilhersteller eine Herausforderung darstellen und verlangen außerdem einen beschleunigten Ausbau der flächendeckenden Ladeinfrastruktur. Dabei müsste die Zahl der Ladestationen bis 2025 auf eine Million und bis 2030 auf drei Millionen steigen.Für Halbleiterfirmen sind das sehr gute Nachrichten, spielen sie bei diesem Ausbau doch eine entscheidende Rolle. Die Firma Infineon, die unserem Portfolio angehört, ist im Bereich Leistungshalbleiter branchenweit führend. Dieser Markt dürfte erhebliches Wachstum verzeichnen, da die Zahl der Elektrofahrzeuge auf den Straßen aufgrund dieser Vorschläge zwangsläufig steigen muss. Unternehmen im Bereich elektrische Ausrüstung wie Schneider werden ebenfalls profitieren, denn sie sind für die Installation von Ladenetzwerken unverzichtbar.
Laut dem Fahrplan der Europäischen Kommission soll der Energieverbrauch von Gebäuden bis 2030 nun nicht mehr wie ursprünglich vorgesehen um 32,5 %, sondern um 36 % verringert werden. Zudem gilt ein neues verbindliches Ziel, das einen jährlichen Anstieg der Nutzung erneuerbarer Energien für die Heizung und Kühlung um 1,1 % verlangt. Bis 2030 sollen 49 % des Energieverbrauchs von Gebäuden auf erneuerbare Energien entfallen.Wir hatten dieses Thema bereits Ende 2020 in einem Blickpunkt behandelt,4 aber diese Vorschläge gehen nun noch weiter. Bisher galt das Sanierungsgebot nur für Regierungsgebäude. Doch jetzt wird der öffentliche Sektor jedes Jahr 3 % seines Gebäudebestands renovieren müssen, darunter auch Schulen und Krankenhäuser. Um diese Effizienzziele zu erreichen, ist jedoch eine weitere politische Förderung in Form von Geld, Anreizen und anderen Vorschriften erforderlich.Die CO2-Regulierung bleibt kurzfristig eine Belastung für die Baubranche. Langfristig stellen die neuen EU-Vorschriften jedoch einen Positivfaktor dar und könnten den Unternehmen, die in puncto Dekarbonisierung führend sind, einen besseren Kapitalzugang und eine potenziell niedrigere relative Kostenbasis bescheren. Bauunternehmen dürfte dies zu einem anhaltend starken organischen Wachstum bei hoher Preisgestaltungsmacht verhelfen. Elektrounternehmen werden ebenfalls zu den Nutznießern gehören, da Geschäftsund Wohngebäude als Energielieferanten in die Netze eingebunden werden.
Den vollständen Beitrag inklusive Grafik finden Sie hier als PDF zum Download
1https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_21_3541
2 „Nachhaltiger Flugkraftstoff ist startklar“, Mai 2021.
3https://www.neste.com/about-neste/who-we-are/
business#9507dabd
4„Von Europas Renovierungswelle profitieren“, Dezember 2020.
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