Am 20. Januar 2020 begann die Amtszeit von Joe Biden als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Sieben Tage danach war „Klimatag“, so genannt von den Mitarbeitern des neuen Staatsoberhaupts, nachdem dieser eine Reihe von Präsidialdekreten unterzeichnet hatte, um der Energiepolitik von Donald Trump ein Ende zu setzen.
05.03.2021 | 07:10 Uhr
Das Klima: Ganz oben auf der Tagesordnung
Die angekündigten Maßnahmen sind nicht neu. Biden löst seine
Wahlversprechen ein. Die Geschwindigkeit dieser Ankündigungen und der
neue „Whole-of-Government“-Ansatz1 zeugen jedoch von einer
Administration, die nicht nur zu den Praktiken der Obama-Ära
zurückkehren will, sondern auch dem Klima eine viel höhere Priorität
einräumt. Unter den sieben von der Biden-Regierung genannten
Schwerpunkt-Themen steht das Klima an zweiter Stelle, direkt hinter dem
Management der Coronakrise.
Klar ist: Bei Bidens neuem Regierungsansatz wird der Klimaschutz zu einem wichtigen Aspekt der nationalen Politik. Erste Anzeichen dafür sind die Einrichtung eines Büros innerhalb des Weißen Hauses, das für die Koordination der nationalen US-Umweltpolitik zuständig ist, und die Ernennung eines Sonderbeauftragten für ausländische Klimaangelegenheiten.
Ab
jetzt muss das Finanzministerium finanzielle Risiken im Zusammenhang
mit dem Klimawandel berücksichtigen, und die sozialen Kosten der
Treibhausgasemissionen – bis zu etwa 50 Dollar pro Tonne – werden in die
Entscheidungsfindung der verschiedenen US-Bundesbehörden einfließen.
Hinzu kommt, dass die USA wieder dem Pariser Abkommen beitreten und für
April einen Klimagipfel planen, auf dem sie vermutlich ihr Ziel
verkünden werden, bis 2050 CO2-neutral zu werden. Auf Sektorebene definieren die angekündigten Maßnahmen die Marschrichtung für Bidens Amtszeit.
Öl: In Ungnade gefallen
Der naturgemäß am meisten betroffene Sektor ist Öl und Gas. Als Erstes
wird die Ölförderung im Arctic National Wildlife Refuge, dem
nördlichsten Naturschutzgebiet der USA, gestoppt. Dies ist im Grunde
genommen ein symbolischer Akt der Aufhebung der Fördergenehmigung, die
Donald Trump gegen Ende seiner Amtszeit erteilt hatte. Bereits die
Anfang Januar begonnene Auktion für Förderstätten in der Arktis war ein
symbolischer Akt und ist zudem gescheitert. Lediglich zwei kleinere
Unternehmen gaben Angebote ab. Als Nächstes stoppte Biden das
umstrittene Projekt Keystone XL, eine Pipeline für Bitumenöl vom
kanadischen Alberta nach Texas.
Biden kündigte zudem an, dass vorerst keine Bohrgenehmigungen für Land in Staatsbesitz erteilt würden. Zwanzig Prozent des in den USA produzierten Öls und Erdgases stammen aus staatlichen Ressourcen. Die Maßnahme war von den betroffenen Unternehmen erwartet worden. Deshalb hatten sie schon im letzten Jahr zahlreiche Anträge gestellt und sind jetzt unter Beibehaltung der aktuellen Fördermenge für die nächsten fast fünf Jahre versorgt. Die Maßnahme ist allerdings befristet und könnte zu einem späteren Zeitpunkt aufgehoben werden. Und sie erfüllt keineswegs die Forderungen des linken Flügels der Demokraten nach einer Beendigung des Frackings, also des Aufbrechens der Gesteinsschicht unter dem Schieferöl.
All diese Maßnahmen sind weitgehend symbolisch und haben kaum Auswirkungen auf den Sektor. Biden sprach auch darüber, dass die Subventionen des Sektors überprüft und die Regulierung der Methangasemissionen verschärft werden müssten. Der US-Ölsektor profitiert von Steuervorteilen, deren Überprüfung beziehungsweise Verringerung schwerwiegendere Folgen für die Cashflows der Branche hätte. Schärfere Regeln für Methangasemissionen würden dagegen zwar neue, aber sehr geringe operative Kosten verursachen.
Als
Zeichen für den Anbruch eines neuen Zeitalters hat MasTec, ein
Bauunternehmen, das sich auf die Entwicklung und den Bau von
Öl-Infrastruktur spezialisiert hat, kürzlich bekannt gegeben, sein
Geschäft neu auszurichten und in den Bereichen Telekommunikation,
erneuerbare Energien und neue Stromnetze aktiv zu werden.
Transport: Nachholbedarf
Die Verpflichtung der Bundesbehörden, ihre Flotten auf emissionsfreie
Fahrzeuge „Made in America“ umzustellen, ist für die Branche von sehr
großer Bedeutung. Die bundesstaatliche Flotte besteht aus 645.000
Fahrzeugen und verursacht jährlich 4,4 Milliarden Dollar Wartungskosten.2
Die neue Regel garantiert traditionellen Automobilkonzernen wie
General Motors und Ford Umsätze, die gerade ihre ersten Elektrofahrzeuge
auf den Markt bringen. Auch für die vielen US-amerikanischen Start-ups
könnte sie ein wahrer Segen sein.
Außerdem fordert Biden eine Kontrolle der Abgasvorschriften für Verbrennungsmotoren durch die Umweltschutzbehörde (Environmental Regulatory Agency, EPA). Sie waren unter Trump gelockert worden, sodass die USA jetzt zu den Ländern mit den am wenigsten strengen Obergrenzen für die durchschnittlichen Emissionen von Personenkraftwagen gehören und in dieser Hinsicht sogar noch hinter China rangieren.
Apropos
China: Bei der Entwicklung von Elektrofahrzeugen sind die USA weit
hinter den asiatischen Rivalen zurückgefallen. Die enorme
Marktkapitalisierung von Tesla täuscht darüber hinweg, dass der größte
Teil der Wertschöpfungskette in China verortet ist. Unserer Überzeugung
nach profitierten LG Chem und General Motors davon, wenn die Entwicklung
einer lokalen Lieferkette in den USA unterstützt würde, da diese
Unternehmen im Rahmen mehrerer Joint Ventures Batterien und
Elektronikteile in den Vereinigten Staaten fertigen.
Infrastruktur: Warten auf das Wachstumsprogramm
Der Bausektor erwartet eine Überarbeitung der geforderten
Energieeffizienzstandards für Neubauten. Einzelheiten werden im Mai
bekannt gegeben.
Die bislang einzige Überarbeitung der Standards für Neubauten hatte kaum Auswirkungen, aber das für das 2. Quartal erwartete Konjunkturprogramm umfasst andere Maßnahmen zur Unterstützung des Sektors. Vermutlich wird die Renovierung von Verwaltungsgebäuden beschleunigt. Am meisten davon profitieren würden:
Neben den Ankündigungen enthielt Bidens Rede Ende Januar zahlreiche
Hinweise auf eine „gerechte Wende“. Die sozialen Auswirkungen dieser
Maßnahmen werden auf jeden Fall berücksichtigt. Deshalb wird es
vermutlich schwer werden, sich auf Zwangsmaßnahmen oder Steuererhöhungen
zu einigen, die zweifellos auch die Verbraucher beträfen. Die beiden
wichtigsten Instrumente dürften Regulierung und Subventionen sein. Auf
der einen Seite die Peitsche für die fossile Brennstoffbranche, deren
Wachstum eingeschränkt wird; auf der anderen das Zuckerbrot, durch das
man in puncto Technologien wettbewerbsfähiger werden will.
Was mit den Steuern geschieht, die Trump auf chinesische Importe von Solarpanels erhoben hat, bleibt abzuwarten und genau zu beobachten. 62 Prozent aller weltweit verbauten Solarpanels stammen aus China3; US-Produkte sind nicht wettbewerbsfähig. Erst kürzlich hat die US-Firma SunPower ihre letzte Fabrik auf US-amerikanischem Boden geschlossen.
Und genau deshalb ist der Grat zwischen „Made in America“ und der gerechten Wende sehr schmal.
1 Ressortübergreifender Regierungsansatz, bei dem mehrere staatliche Organe an einem Strang ziehen.
2 Quelle: JP Morgan
3 https://www.spglobal.com/en/research-insights/featured/biden-administration-outlook
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