Columbia Threadneedle: Märkte im Jahr 2024 - Übertriebener Konjunkturpessimismus und teure Aktien

Steven Bell, Chefvolkswirt bei Columbia Threadneedle Investments
Marktkommentar

Die Aussicht auf niedrigere Zinssätze macht Anleihen attraktiv und verbessert die Aussichten für Aktien. Trotzdem lassen die Wirtschaftsprognosen Pessimismus erkennen – dieser ist laut Steven Bell, Chefvolkswirt bei Columbia Threadneedle Investments, übertrieben.

17.01.2024 | 12:10 Uhr

Seine Einschätzung zum Markt, was er von den einzelnen Regionen erwartet und wie es um die lange erwartete Disinflation steht, erklärt er in seinem Marktkommentar:

Die Wirtschaftsprognosen für das Jahr 2024 sind derzeit übertrieben pessimistisch, wohingegen die Aktienmärkte eine Rally einpreisen. Wir erwarten, dass das Wirtschaftswachstum die Erwartungen übertrifft – den Optimismus der Märkte teilen wir jedoch nicht. 

Wir gehen davon aus, dass die USA sich als Erstes das offizielle Siegel der „makellosen Disinflation“ verdienen, indem sie die Zinsen senken. Das Vereinigte Königreich und Europa werden dagegen wahrscheinlich noch auf weitere Belege warten, dass vor allem die Lohninflation gebändigt ist. Das Gros der Experten scheint die Verlangsamung, die für das vergangene Jahr erwartet wurde, auf 2024 verschoben zu haben – ich glaube jedoch, dass sie zu pessimistisch sind. Denn die sinkende Inflation schafft einen positiven Kreislauf aus steigenden Realeinkommen und Zinssenkungen – so wird das Wirtschaftswachstum unterstützt. 

Die Aussicht auf niedrigere Zinssätze macht Anleihen attraktiv und verbessert die Aussichten für Aktien. Der übermäßige Pessimismus bei den Wirtschaftsprognosen spiegelt sich jedoch nicht an den Märkten wider: Diese sind deutlich optimistischer. Das größte Risiko ist daher ein kurzfristiger Rückschlag aufgrund enttäuschter Anlegererwartungen, wenn die guten Nachrichten über die Wirtschaft und Zinssenkungen länger auf sich warten lassen.

USA: Erste Zinssenkungen Anfang 2024 und „makellose Disinflation“

In den USA stieg die Inflation als Erstes und erreichte dort auch als Erstes ihren Höhepunkt. Wir gehen davon aus, dass die Fed als erste den Erfolg der „makellosen Disinflation“ anerkennen wird, indem sie die Zinsen Anfang 2024 senken wird. Die US-Verbraucher nutzten das Ersparte aus ihren „Covid-Sparschweinen“ für Konsum und stützten so das Wachstum im Jahr 2023. In diesem Jahr ist das Ersparte zwar größtenteils aufgebraucht, stattdessen erholen sich jedoch die Realeinkommen. Der Schlüssel zu sinkender Inflation und nachhaltigem Wachstum ist eine umgekehrte Lohnspirale: Die sinkende Inflation hat dazu geführt, dass das reale Einkommen zunimmt – aber auch dazu, dass die Lohnforderungen geringer werden. Ermöglicht wurde dies durch eine Entspannung auf dem Arbeitsmarkt, denn die Arbeitgeber sind nicht mehr dazu gezwungen, ihren Angestellten mehr zu zahlen, um sie nicht an Konkurrenten zu verlieren. 

Schon vor den Zinssenkungen haben sich die sinkenden Anleiherenditen in niedrigeren US-Hypothekenzinsen niedergeschlagen. Das hat bereits dazu geführt, dass der Immobilienmarkt stärker wird. Dies ist ein weiterer Faktor, der die US-Wirtschaft in diesem Jahr unterstützen wird.

Vereinigtes Königreich: Das Vereinigte Königreich wird an allen Fronten überraschen

Die britische Wirtschaft ist im Jahr 2023 nur knapp einer Rezession entgangen und kämpft immer noch mit der Inflation – und laut Konsenserwartungen dürfte auch im Jahr 2024 kaum eine Verbesserung eintreten. Doch der Wind scheint sich zu drehen: Die Inflation hat endlich begonnen, rasch zu sinken, und die Einkaufsmanagerindizes deuten nun auf einen Aufschwung bei der Wirtschaftstätigkeit hin. 

Unserer Meinung nach gab es im Jahr 2023 einmalige Faktoren, die die Inflation aufrechterhalten haben: Einerseits erhöhte ein schwaches Pfund Sterling die Importpreise, andererseits berücksichtigten die offiziellen Zahlen nicht die Rabatte in den Geschäften. Da diese Faktoren im Jahr 2024 aus der Berechnung herausfallen, dürfte die Inflation überraschend abklingen. Dies würde es der Bank of England ermöglichen, die Zinssätze in diesem Jahr zu senken. Angesichts der Aussicht auf ein Haushaltsgeschenk und eine weitere 10-prozentige Anhebung des Mindestlohns im Frühjahr, werden die Währungshüter mit großer Wahrscheinlichkeit jedoch auf eindeutige Beweise für eine sinkende Lohninflation warten, bevor sie Zinssenkungen nachdenken. 

Nachdem die Realeinkommen im Vereinigten Königreich einige Jahre lang miserabel ausgefallen waren, nehmen sie nun zu. Auch hier kommt es zu einer positiven Lohnspirale, sogar mit noch größerer Wucht: Die Ersparnisse der britischen Verbraucher nahmen nach dem Ende der Covid-Lockdowns weiter zu – und wir gehen davon aus, dass sich das Verbrauchervertrauen und die Ausgaben dank der Steuersenkungen in einem Wahljahr erholen werden. Die Umstellung auf Hypotheken mit fester Laufzeit bedeutet zudem, dass der britische Verbraucher auch nicht auf Zinssenkungen warten muss, denn die Hypothekenzinsen sind bereits gefallen. Früher dachte ich, dass die Hauspreise um 10 Prozent sinken würden. Davon haben wir jetzt die Hälfte erreicht – und ich denke, dass es damit getan ist.

Auch Nachzügler Eurozone erlebt „makellose Disinflation“

Fast jeder, auch ich, hatte erwartet, dass die aggressive Straffung der Geldpolitik zu einem deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit führen würde. Doch diese blieb sehr niedrig, insbesondere für die Eurozone, wenn man die historisch hohen Werte bedenkt. Dank der geringen Arbeitslosigkeit hat sich das Vertrauen der europäischen Verbraucher verbessert und ist nur noch miserabel – zuvor war es extrem bedrückt. Dieser Faktor erklärt fast den gesamten Unterschied zwischen dem europäischen und dem amerikanischen Wirtschaftswachstum im vergangenen Jahr. Wenig hilfreich war auch die Fokussierung auf Deutschland, das in eine leichte Rezession abgerutscht ist. Aber Deutschland ist nicht ganz Europa; Spanien zum Beispiel hat sich viel besser entwickelt.

In der Eurozone ist die Inflation stark zurückgegangen – und die Realeinkommen steigen wieder. Um die Europäische Zentralbank zu einer Zinssenkung zu bewegen, muss die Lohninflation jedoch deutlich abflauen. Alles deutet darauf hin, dass die Lohnverhandlungen in diesem Frühjahr deutlich niedrigere Zahlen ergeben werden. Infolgedessen erwarten wir, dass Europa die pessimistischen Erwartungen übertreffen wird.

Die Märkte, insbesondere die Aktienmärkte, haben einige der erwarteten Verbesserungen nicht berücksichtigt. 

Eine ungebremste Disinflation, eine ausbleibende Rezession sowie Zinssenkungen sind für Aktien gute Nachrichten. Dabei gelang es dem US-Aktienmarkt im Jahr 2023 sowohl widerstandsfähig zu sein, als auch kräftig zuzulegen, als sich die Nachrichtenlage verbesserte. Das führte zu hohen Bewertungen – US-Aktien sind teuer. Ungeachtet dessen dürften gute Nachrichten über die Zinssätze und die Wirtschaft den Markt noch weiter nach oben treiben, doch das dämpft unseren Enthusiasmus und wir setzen unseren Schwerpunkt auf andere Regionen. So sind beispielsweise der britische und der japanische Markt besser bewertet und damit attraktiv. Das gilt vor allem für Japan, wo eine Verbesserung der Corporate Governance weiteres Potenzial freisetzen dürfte. 

In unserer Asset-Allokation bevorzugen wir Anleihen, da die Inflation zurückgeht und die Zinssätze sinken werden. Zwar sind Haushaltsdefizite eine Herausforderung, doch wir glauben, dass dies erst in einem anderen Zyklus an Relevanz gewinnt. Die Risikoaufschläge für Unternehmensanleihen haben sich verringert, aber diese Assetklasse könnte in einem günstigen Umfeld dennoch teurer werden und profitiert immer noch vom positiven Zinsumfeld. 

Bei sinkenden Zinssätzen dürfte Gold eine glänzende Performance hinlegen. Seit ein erheblicher Teil der russischen Devisenreserven eingefroren wurde, hat das Edelmetall die Erwartungen übertroffen. Wenn dies andere Zentralbanken dazu veranlasst, den Anteil des Goldes an ihren Reserven zu erhöhen, könnte dies ein wichtiger langfristiger Faktor sein.

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