Dorval AM: Aktien nicht überbewertet

Marktkommentar

Höchste Risikoprämie im Vergleich zu Anleihen seit 2012 - Japan billigster Aktienmarkt der Welt

26.07.2019 | 10:25 Uhr

An den Finanzmärkten kursieren zwei Sichtweisen auf den scharfen Rückgang der langfristigen Zinsen. Die „Bären“ sagen, dass der Einbruch der Anleiherenditen ein hohes Maß an Konjunktur­angst widerspiegle und dass dies mit steigenden Aktienkursen unvereinbar sei. Ein weiteres Risiko bestehe darin, dass die Anleiherenditen zu schnell zu niedrig geworden sind und dass es bald zu einer destabilisierenden Korrektur am Rentenmarkt kommen könnte, wie im Mai 2013 und Mai 2015. François-Xavier Chauchat, Mitglied des Investmentkomitees des zu Natixis Investment Managers gehörenden Investmenthauses Dorval Asset Management, neigt eher der anderen Sicht zu.

Chauchat: „Im Gegensatz dazu ist das bullische Argument, dass sich die Aktienbewertung noch nicht an das außergewöhnlich niedrige Niveau der Anleiherenditen angepasst hat, wie viele Kenn­zahlen für die Aktienrisikoprämie vermuten lassen. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung haben nämlich die ultraniedrigen Zinsen das KGV von Aktien nicht aufgebläht. Sie haben jedoch zu einem zweigeteilten Aktienmarkt beigetragen, indem sie die Anleger dazu veranlasst haben, höhere Preise für hochwertige „Growth“-Werte zu zahlen – zu Lasten von „Value“-Werten. Verglichen sowohl mit Staatsanleihen als auch Unternehmensanleihen hat die Risikoprämie für Aktien den höchsten Stand seit 2012 erreicht. Bezeichnend ist in dieser Hinsicht ein Blick nach Japan: Dort hat die Aktienrisikoprämie neue Höchststände erreicht, während gleichzeitig die Bank of Japan massiv Aktien aufgekauft hat. Japanische Aktien sind jetzt die billigsten in der Welt.

Wie üblich wird die Entwicklung der Finanzmärkte durch das Gleichgewicht zwischen wirtschaftlichen Bedingungen und Geldpolitik geprägt sein. Angesichts der weiteren Verlangsamung der globalen Produktion, der immer noch erheblichen Handelsspannungen und der Anzeichen von Schwäche in der US-Wirtschaft scheint die Argumentation für ein verlangsamtes Wachstum vorerst überzeugend. In anderen Zeiten waren die geldpolitischen Entscheidungsträger froh, dass sich die Wirtschaft in dieser reifen Phase des Zyklus verlangsamt hat, weil sie eine Überhitzung befürchteten. Diese Haltung trug oft dazu bei, den Expansionszyklus zu beenden. Im Gegensatz dazu wird heute jede dauerhafte Wachstumsverlangsamung von den Zentralbanken als eine große Bedrohung angesehen, da die Inflation nach wie vor zu niedrig ist, um sie zu beruhigen. Die EZB hat daher eine neue Runde der monetären Lockerung angekündigt, und die Fed wird die Zinsen voraussichtlich in der nächsten Woche senken. Einige Beobachter halten diese Politik für riskant für die zukünftige Finanzstabilität, aber die Zentralbanken denken anders: Ihre größte Angst ist die Rückkehr von Deflationsrisiken, wenn sich die Wirtschaft weiter verlangsamt. Was sie anstreben, ist eine weiche Landung der Wirtschaft.

Der zusätzliche Rückgang der Zinssätze wird dafür sorgen, dass der spektakuläre Rückgang der Zinslasten anhält. Dies wird den Nettogewinnen der Unternehmen in Europa zugute kommen. Auch könnten am Ende die Unternehmen die extrem niedrigen Zinsen nutzen, um mehr zu investieren. In den öffentlichen Haushalten, zumindest, sind jetzt mehr Ausgaben in Sicht; selbst deutsche Politiker geben zu, dass Investitionen bei negativen Zinsen keine schlechte Idee sein könnten. Ohne in Enthusiasmus zu verfallen kann man mit Fug und Recht sagen, dass fast alles, was heutzutage in der Europapolitik passiert, nicht die Sicht der Europaskeptiker bestätigt.

Sollten Investoren schon jetzt mit dem Erfolg der Politik bei der Stabilisierung der sich abschwächenden Weltwirtschaft rechnen? Nach bereits 18 Monaten des industriellen Abschwungs ist es in der Tat verlockend, den Tiefpunkt auszurufen. In diesem Fall kann es sinnvoll sein, schrittweise zu zyklischen Aktien zurückzukehren und die Tendenz zu Defensiv- und Wachstumswerten zu verringern. Unterdessen sprechen anhaltende politische und zyklische Unsicherheiten und erhebliche Warnungen vor Unternehmensgewinnen im globalen zyklischen Universum zumindest vorerst für Vorsicht. In unseren internationalen flexiblen Portfolios haben wir eine nahezu normale Aktiengewichtung, ohne eine starke Betonung von Growth oder Value. Wir reduzieren die Duration unserer Anleihenbestände, sind aber weiterhin gut in italienischen Anleihen investiert.“

Das englischsprachige Original des Papiers von François-Xavier Chauchat und die entsprechenden Grafiken finden Sie hier im PDF-Format.

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