Trotz
einer synchronen wirtschaftlichen Abkühlung in den USA, der Eurozone,
der Schweiz, China und Brasilien hat es die 2019 initiierte Phase der
geldpolitischen Lockerung ermöglicht, eine plötzliche Zunahme der
privaten und öffentlichen Schuldenlast und einen Anstieg der
Risikoprämien zu vermeiden. Die Kehrtwende der Zentralbanken spiegelt
aber auch den Rückgang der nominalen Wachstumserwartungen wider.
2020
könnten die Aussichten für die US-Präsidentschaftswahlen Chinas
Staatschef Xi Jinping dazu veranlassen, jedwede Verstärkung der
wirtschaftlichen Stimuli in China zu begrenzen. Das neue Wachstumsziel,
das in der Regel auf der jährlichen Sitzung des Nationalen
Volkskongresses verkündet wird, wird wieder einmal entscheidend für das
globale Wachstum sein. Unseren Prognosemodellen zufolge schwächt sich
das US-Wachstum auf 1,6 Prozent ab, und das chinesische
Bruttoinlandsprodukt wächst nur um 6 Prozent. Ein Teilhandelsabkommen
zwischen den USA und China dürfte nicht reichen, um die Unsicherheit zu
reduzieren.
Tatsächlich
betreffen die zur Diskussion stehenden Punkte in den Verhandlungen
strukturelle und politische Themen. Daher ist zu erwarten, dass der
Welthandel als Folge der verschobenen Investitionen im privaten Sektor
weiter leidet. Nichtsdestotrotz sollten starkes Lohnwachstum und
fiskalische Unterstützung das Ausmaß der Abkühlung des globalen
Wachstums, die wir für 2020 erwarten, begrenzen – insbesondere in der
Eurozone, wo sich das Wachstum bei 1 Prozent stabilisieren dürfte.
Unsere Hauptargumente, auf denen unser Makro-Szenario basiert:
- Zentralbanken setzen geldpolitische Lockerung fort.
Nach unserer Berechnung könnte die globale Liquidität um 2,9 Prozent
steigen, nachdem sie 2019 um ein Prozent gefallen ist. Zudem werden die
Notenbanken weiterhin die relativen Preistrends für Finanz- und
Immobilienwerte bestimmen und ebenfalls entscheidend für die
Interbankenmärkte sein. Sie werden wieder die Nachfrage nach
Staatsanleihen und die Steigung der Zinskurve beeinflussen, während sie
die relativen realen Erträge von Immobilienwerten gegenüber dem
risikolosen Zins erhöhen. Zusätzlich herrscht in der Eurozone hoher
Druck auf die Zentralbank, ihrer Bilanz einen „grünen Anstrich“ zu
verleihen und ökologische Nachhaltigkeitskriterien in ihre Eingriffe zu
integrieren. Als Vorbild dient die schwedische Notenbank. Die
kombinierte Wirkung aus Niedrigzinsumfeld und steigender
Zentralbankkontrolle über die relativen Preise von Vermögenswerten
könnte die Preise risikoloser Wertpapiere weiterhin stützen und die
Differenz zwischen ihren Erträgen und denen risikoreicherer Anlagen
reduzieren.
- Der Handelskrieg dürfte Investitionen weiter schwächen.
Neben den direkten Auswirkungen auf den Handel belastet der
amerikanisch-chinesische Handelsstreit die Investitionserwartungen –
obwohl sich diese bislang gut gehalten haben. Tatsächlich sind die
Investitionen in den USA in den ersten drei Quartalen 2019 um weitere
2,9 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gewachsen, nach 6,4 Prozent
im Jahr 2018. In der Eurozone legten die Investitionsausgaben um 3,4
Prozent zu, 2018 waren es 4,4 Prozent. Zu verdanken ist der weitere
Anstieg der ausgeprägten Auftriebskraft französischer Unternehmen, die
die negativen Auswirkungen der rückläufigen deutschen
Industrieproduktion wettmachen. Vor dem Hintergrund der strukturellen
Natur der Spannungen zwischen den USA und China sowie der von uns
erwarteten Verlangsamung des globalen Wachstums, könnten sich 2020 die
Unternehmensinvestitionen weiter abschwächen. Selbst wenn Xi Jinping und
Donald Trump sich auf ein Abkommen einigen, wäre dies nur ein
Teilabkommen.
- Das US-Wachstum schwächt sich ab.
Trotz eines Teilhandelsabkommens zwischen China und den USA dürfte die
Unsicherheit bezüglich des Handelskriegs 2020 anhalten. Wir
prognostizieren weiterhin eine Abschwächung der Investitionen, was eine
erste Ausprägung für die mangelnde Einschätzbarkeit in Zusammenhang mit
dem Handelskrieg ist – aber auch im Zusammenhang mit den Aussichten für
die US-Präsidentschaftswahlen im November 2020. Außerdem würde sich der
Außenhandel wieder auf das Wachstum auswirken, wenn – wie wir erwarten –
die US-Exporte weiter zurückgehen, ohne dass dieser Trend durch eine
Senkung der Importe ausgeglichen wird. Zudem würde sich die Dynamik bei
der Schaffung neuer Arbeitsplätze abschwächen, während die Auswirkungen
der Steuersenkungen für Haushalte abnehmen und die Inflation sich nur
leicht erholt – insbesondere als Folge der Zölle auf chinesische Waren,
die den Konsum weiter belasten. Die Investitionen in Wohnimmobilien
sollten ihre Erholung in gemächlichem Tempo fortsetzen, da, trotz
niedriger Zinsen, die steigenden Immobilienpreise und das geringere
Wachstum der Haushaltseinkommen die Bezahlbarkeit und den Zugang zu
Immobilien erschweren. Schließlich sollten die öffentlichen Ausgaben
angesichts der Verabschiedung des Bipartisan Act von 2019 weiter leicht
steigen. Wir erwarten, dass sich das BIP-Wachstum 2020 auf 1,6 Prozent
abschwächt, was die US-Notenbank Fed dazu verleiten könnte, den Leitzins
im ersten Halbjahr 2020 erneut zu senken.
- In der Eurozone dürfte sich das Wachstum 2020 bei 1,0 Prozent stabilisieren.
Handelseffekte auf das Wachstum sollten nach und nach abnehmen. Selbst
wenn das Risiko eines No-Deal-Brexit schwindet, würde sich das globale
Wachstum verlangsamen. Es wird erwartet, dass die öffentlichen Ausgaben
um 1,3 Prozent steigen, und die Investitionen mit einer moderateren Rate
von 2,1 Prozent zulegen. Der private Konsum sollte einen beschleunigten
Zuwachs von 1,3 Prozent aufweisen. Treiber ist die Kaufkraft, die 2020
weiter steigen dürfte, obwohl wir mit anziehender Inflation rechnen.
Insbesondere in Frankreich sollen fiskalische Maßnahmen in Höhe von 12
Milliarden Euro die Kaufkraft stützen, nach 10 Milliarden Euro im Jahr
2019. Andererseits könnten sich die Investitionen verlangsamen.
- Chinesische Binnennachfrage bleibt verhalten. 2020
könnte Xi Jinping entscheiden, die Agenda wirtschaftlicher Stimuli in
China nicht deutlich zu verstärken. Erstens kann es sich der chinesische
Präsident, der das Ziel verfolgt, die Finanzmärkte weiterzuentwickeln,
nicht erlauben, bewusst das Bankensystem zu destabilisieren. Zweitens
könnten geldpolitische Lockerungen angesichts der anhaltenden
amerikanisch-chinesischen Spannungen nicht reichen, um die Kreditvergabe
im privaten Sektor anzukurbeln.
Dr. Mathilde Lemoine, Group Chief Economist von Edmond de Rothschild
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