EdR AM: Marktausblick 2. Halbjahr 2021 - Regimewechsel für Fed und Märkte

Benjamin Melman, Global Chief Investment Officer, Edmond de Rothschild Asset Management
Marktausblick

Allmählich zeichnet sich ein Regimewechsel ab. Einstweilen gibt es aber keinen Zweifel daran, dass risikobehaftete Wertpapiere weiter zulegen können.

09.07.2021 | 07:02 Uhr

Selbst Staatsanleihen, die seit Jahresbeginn stark unter Druck standen, haben sich seit April wieder erholt – obwohl die Konjunktur große Fortschritte macht und die US-Inflation überraschend hoch war.

  • Alle Augen sind auf die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) gerichtet.
  • Aktienmärkte bleiben attraktiv.
  • Wir bevorzugen Europa und Japan


EINE VERGLEICHSWEISE KLUGE KORREKTUR


Die ungewöhnliche Kombination aus Konjunkturerholung und massiven Liquiditätshilfen hat dazu geführt, dass die Märkte heute anders bewertet sind und sich generell anders entwickeln als sonst in solchen Marktphasen. Auch das neue geldpoli­tische Konzept der Fed ist nicht ohne Folgen. Weil sich die US-Notenbank jetzt stärker an den tatsächlichen Konjunkturdaten statt an Prognosen orientieren will, scheinen abruptere Entscheidungen möglich. Solange die Fed aber klarstellt, dass sie bei einer expansiven Geldpolitik bleibt, funktioniert dieser Ansatz, und die Zinserwartungen werden auch weiterhin unabhängig von der Realwirtschaft sein.

Die Frage ist jetzt, ob die Fed die Erwartungen genauso stark beeinflussen kann, wenn sie sich zu einem Regimewechsel, also einer strafferen Geldpolitik, entschließt. Dieser könnte nach der Offenmarktausschusssitzung am 16. Juni bevorstehen. Vor diesem Hintergrund könnte die Diskussion darüber, ob der Anstieg der Inflation vorübergehend oder dauerhaft ist, noch lange dauern. Da die Fed wesentlich zur Markterholung auf dem Höhepunkt der Krise beigetragen und einen entscheidenden Anteil an den zurzeit hohen Bewertungen hat, ist dies von großer Relevanz. Auch beim neuen Konzept können die Zinsen schließlich sehr schnell erhöht werden, wenn der Inflationsanstieg von Dauer ist:

INFLATION BLEIBT NOCH LÄNGER EIN THEMA

Im Sommer dürften Weltkonjunktur und Inflation ihren Höhepunkt erreichen, wenn auch vermutlich nur aufgrund von Basiseffekten und weil die Fed wohl bald ankündigt, ab 2022 ihre Liquiditätshilfen zu verringern. Bei der Inflationsentwicklung geht es aber um mehr als Basiseffekte. Investoren müssen nach dem kurzfristigen Inflationsanstieg aufgrund von Lieferengpässen abschätzen, ob in den USA eine dauerhaft höhere Teuerung droht, vor allem ein stärkerer Lohnanstieg. Tatsächlich beklagen sich US-Unternehmen schon jetzt darüber, dass sie keine Mitarbeiter finden können.

EIN GÜNSTIGES, ABER VOLATILES UMFELD


Unsere Konjunkturprognosen sprechen dafür, dass das Umfeld für risikobehaftete Wertpapiere auf absehbare Zeit günstig bleibt. Die Märkte könnten aber stärker schwanken, wenn die Fed Investoren auf weniger Liquiditätshilfen vorbereitet. Vielleicht passiert aber auch kaum etwas, weil eine solche Ankündigung allgemein erwartet wird. Dennoch könnte sie die Unruhe unter den Anlegern verstärken, wenn die Inflation überraschend hoch ausfällt. Wir rechnen deshalb damit, dass das Marktumfeld zwar grundsätzlich günstig bleibt, allerdings auch volatiler werden kann. In unseren Portfolios haben wir darauf mit einer Verringerung der Risiken reagiert.

AKTIEN STATT ANLEIHEN

In dieser Zeit mit starkem Wachstum, größeren Inflationsschwankungen und Unklarheit über die möglichen Auswirkungen des Regimewechsels der Fed gibt es keinen Zweifel daran, dass Aktien attraktiver bleiben als Anleihen. Da es am Aktienmarkt zurzeit vor allem auf die Faktoren ankommt, halten wir ein gutes Gleichgewicht zwischen Wachstum, Qualität und günstiger Bewertung weiterhin für wichtig. Wir setzen auf die wichtigsten Wachstumsthemen, die von der Krise profitiert haben, vor allem aber auf Humankapital, Gesundheit, Big Data und die Energiewende.

Auf Länderebene bevorzugen wir Europa und Japan gegenüber den USA, da europäische und japanische Aktien in Zukunft wohl stärker von der Erholung profitieren, die bis Ende nächsten Jahres andauern dürfte.

Chinesische Aktien, die in der ersten Jahreshälfte eher schwach waren, scheinen uns ebenfalls interessant. Im Vergleich zu anderen Ländern ist China jetzt recht günstig bewertet. Die Behörden versuchen, überzählige Ersparnisse in die Finanzmärkte umzuleiten, damit nicht mit anderen Aktiva wie Bitcoins, Rohstoffen und Immobilien spekuliert wird. Hinzu kommt, dass zurzeit viel über eine straffere Geldpolitik in den USA und Europa diskutiert wird, aber in China kaum mit einer Straffung zu rechnen ist. Während der Coronavirus-Krise hatte die chinesische Notenbank nämlich auf expansive Maßnahmen verzichtet. Da der chinesische Markt nicht durch große Liquiditätshilfen gestützt wurde, kann er auch nicht unter ihrer Verringerung leiden, was in den kommenden Monaten durchaus relevant werden kann. Sicher, der Aufschwung der Weltwirtschaft geht an China zurzeit vorbei. Wir würden uns aber nicht wundern, wenn die Fortschritte bei den Impfkampagnen die Konjunktur stärken und die Behörden die Regulierung wieder lockern, wenn sich der Finanzsektor beruhigt hat.

ANLEIHEN IM PORTFOLIO MÄSSIG ATTRAKTIV

Anleihen sind generell weniger attraktiv. Da uns die Inflation erhalten bleibt und die Fed ihre Geldpolitik normalisieren dürfte, bieten Staatsanleihen und Investmentgrade-Unternehmensanleihen weder hohe Renditen noch hohe Coupons. Bei Inflationsängsten oder Liquiditätssorgen würden sich diese Papiere nicht als sicherer Hafen eignen. Für weiter attraktiv halten wir allerdings nachrangige Finanzanleihen. Sie bieten noch immer eine gewisse Rendite und sind weniger zinssensitiv, da die Konjunkturerholung gut für den Finanzsektor ist.

Diesen Beitrag teilen: