Columbia Threadneedle: Weltweiter Überblick

Brexit, Donad Trump, Nordkorea - wer hätte unter diesen Voraussetzungen gedacht, dass sich Aktien in den letzten eineinhalb Jahren so positiv entwickeln. Doch kann sich dieser Trend halten?

21.11.2017 | 09:36 Uhr

DIE AKTUELLE SITUATION

Wenn wir vor 18 Monaten gewusst hätten, dass uns der EU-Austritt Großbritanniens, Donald Trumps Wahlsieg und geopolitische Probleme wie die Beziehungen zwischen den USA und Nordkorea bevorstehen, hätten Anleger wohl kaum damit gerechnet, dass Aktien ihre aktuellen Kursstände erreichen. Trotz dieser Faktoren war 2017 keine Destabilisierung des Wachstums zu beobachten, sondern wir erfreuen uns auch weiterhin eines stetigen weltweiten Wachstums von 3-4 %, wie es die Welt seit 2010 erlebt. Wir haben vielleicht das Gefühl, als ob jeden Moment alles aus den Fugen geraten könnte, aber de facto ist es bislang noch nicht dazu gekommen.

Abbildung 1: MSCI Index - 31. Dezember 2015 bis 30. September 2017


(Quelle: Bloomberg, Stand: 30. September 2017.)

Im Laufe der letzten zehn Jahre gab es zwar Phasen, in denen die USA, Europa, China und die Schwellenländer einen schweren Stand hatten, doch im Allgemeinen war das Umfeld günstig. Meiner Meinung nach ist das darauf zurückzuführen, dass es angesichts einer niedrigen Inflation und einer vernünftigen Kostenkontrolle keine großen Verwerfungen beim Nominalwachstum gab. Anleger haben den Weg vielleicht als mühselig empfunden, aber in Wirklichkeit sind die Bewertungen und ebenso die Unternehmensgewinne seit einigen Jahren nach und nach gestiegen. Dann kam das Jahr 2017.

Erstmals seit vielen Jahren enttäuschte das Wachstum in Europa zu Jahresbeginn nicht. Es ist schon längere Zeit her, seit das einmal der Fall war. Gleichzeitig zeigten sich die Anleger weniger besorgt über den Renminbi und darüber, wie stark die Abwertung ausfallen würde. Letztendlich ist der Renminbi im Wert eher gestiegen, und die chinesische Wirtschaft wächst nach wie vor kräftig, aber nachhaltiger. All dies hatte einen Dominoeffekt auf die Schwellenländer, die auch durch einen leicht schwächeren Dollar etwas Auftrieb erhielten.

Berücksichtigt man all diese Faktoren, gab es 2017 ein konstruktives Umfeld für die globalen Aktienmärkte, und einige der "ewigen Nachzügler" wie Europa und die Schwellenländer entwickelten sich besonders gut. Zudem stellten sich auch die drohenden geopolitischen Turbulenzen nicht ein - und wir hatten bereits zu Jahresbeginn gesagt, die Überraschung könnte darin bestehen, dass es nicht zum Schlimmsten kommt. Unsere Sorge galt vor allem den Wahlen in den Niederlanden, in Frankreich und ebenso in Italien, wo sich ein möglicher Aufstieg der Fünf-Sterne-Bewegung abzeichnete. Aus gutem Grund, denn eine EU-feindliche und gegen das bürgerliche Lager gerichtete Partei hätte eine ungemein destabilisierende Wirkung auf die Europäische Union und den Euro. Doch die Konjunktur in Italien hat sich eher stabilisiert. Die wirtschaftliche Lage ist nicht schlechter geworden, und sowohl der italienische als auch der europäische Bankensektor insgesamt verzeichnen dieses Jahr eine solide Entwicklung. Hätten italienische Banken vor vier Jahren gerettet werden müssen, als wir in der Eurokrise steckten, wäre die Sache vielleicht anders ausgegangen.

Inzwischen befinden wir uns in einer späteren Zyklusphase. Anleger haben akzeptiert, dass es wahrscheinlich nicht zum Schlimmsten kommen wird, und europäische Banken haben sich in diesem Jahr sogar besser entwickeln als der europäische Gesamtmarkt.

Abbildung 2: Der MSCI Europe Banks im Vergleich zum MSCI Europe - 31. Dezember 2015 bis 30. September 2017


(Quelle: Bloomberg 2017.)

 

INVESTMENTTHEMEN

Rasante technologische Entwicklung

Technologie ist der Schlüssel zu der Welt, in der wir heute leben, und sie ist von maßgeblicher Bedeutung für die Veränderungen, die derzeit in Volkswirtschaften weltweit vor sich gehen. Viele der heutigen Technologien wirken jedoch disruptiv auf bestehende Geschäftsmodelle. Eins der offenkundigsten Beispiele ist der Einzelhandelssektor und das Ausmaß, in dem stationäre Einzelhändler unter E-Commerce leiden. Künftig wird interessant sein, inwieweit sich bahnbrechende Veränderungen bei Autos ergeben, wenn wir von Fahrzeugen mit fossilen Kraftstoffen auf Elektrofahrzeuge (E-Fahrzeuge) umsteigen und letztlich autonome Fahrzeuge menschliche Fahrer überflüssig machen. Vielleicht ist das ein utopischer Wunschtraum, der sich nie erfüllen wird. Wir als Anleger müssen uns aber eine Meinung darüber bilden, ob eine solche Entwicklung realistisch ist und wer zu den Gewinnern und Verlierern gehören wird, wenn es dazu kommt.

Zu diesem Zweck stellen wir Fragen, beispielsweise: Was werden künftig die entscheidenden Wertschöpfungsfaktoren bei der Herstellung eines Autos sein? Werden Automobilhersteller oder Technologieunternehmen alle erforderlichen Bauteile liefern? Wenn man die Wertschöpfung bei einem Auto betrachtet, dann kommt es weniger auf den Autohersteller, sondern eher auf den Hersteller der Autoteile an, wie wir in diesem konkreten Beispiel schon seit acht bis zehn Jahren durchweg betonen. Mit der Markteinführung von Fahrerassistenzsystemen ("Advanced Driver Assistance Systems" oder "ADAS") hat sich die Menge der elektronischen Bauteile in einem Auto nun um ein Vielfaches erhöht, und Forschung und Entwicklung ("F&E") haben einen immer größeren Anteil an der Wertschöpfung. Diese Ausgaben entfallen also auf den Hersteller der Autoteile und nicht auf den Autohersteller selbst. Künftig müssen wir analysieren, ob die Autoteile wahrscheinlich von Michelin, der Continental AG, Denso oder Delphi geliefert werden. Oder vielleicht gar von Unternehmen wie Google oder Mobileye?

Disruptive Technologien werden die Geschäftsmodelle der traditionellen Unternehmen zerstören, in die wir aktuell investieren. Das Positive daran ist: Wenn es uns gelingt, die Technologieunternehmen mit dem Wertschöpfungsmodell für die nächste Generation zu erkennen, dann sind das wahrscheinlich die zukünftigen Gewinner.

Eines der Hauptthemen im Technologiebereich, das wir in den letzten Jahren verfolgt haben, waren sogenannte "Gorillas", die zu marktbeherrschenden Unternehmen werden. Das sind Unternehmen wie Amazon und Alibaba, weil sie den Internethandel in der westlichen Welt und in China beherrschen, oder beispielsweise Google und Baidu als dominierende Anbieter am Suchmaschinenmarkt. Diese Unternehmen haben so großen Einfluss, weil sie enorm hohe Cashflows erwirtschaften, die sie anschließend wieder ins eigene Unternehmen investieren oder zur Übernahme neuer Unternehmen verwenden. Was kann sie aufhalten? Es gibt drei Möglichkeiten: Erstens, das Unternehmen bricht durch ein schlechtes Management zusammen; zweitens, es geht durch Regulierungsmaßnahmen zugrunde oder drittens, es wird durch eine neue Technologie verdrängt.

Abbildung 3: Liquidität und marktgängige Wertpapiere (Stand: 30. September 2017)

(Quelle: Bloomberg 2017.)

Die letzte Möglichkeit wird oft von denen abgetan, die meinen, die riesigen Technologiekonzerne besitzen all die kleineren Start-ups, und daher sei die Vorstellung abwegig, dass ein disruptives Unternehmen einmal selbst durch Neuerungen vom Markt verdrängt werden kann. Bei einer neuen disruptiven Technologie kann es sich aber um eine völlig andere Technologie handeln, die wir uns jetzt noch nicht einmal vorstellen können. Wenn wir einmal zurückdenken, wer hätte schon gedacht, dass Google seine heutige Marktstellung erreichen würde? Auch branchenverändernde Unternehmen können durchaus durch neue Technologien in Schwierigkeiten geraten. Das ist nicht auszuschließen.

Wenn wir uns die Bewertungen im Technologiesektor anschauen, dann fällt uns auf, dass viele dieser riesigen Technologiekonzerne rasant wachsen und deshalb höher bewertet werden. Besteht unserer Meinung nach jedoch ein größeres Risiko, dass disruptive Technologien existieren, können wir nicht sicher sein, ob diese riesigen Technologiekonzerne in fünf oder vielleicht zehn Jahren noch Cashflows liefern. Denn wir wissen nicht, welche alternativen Technologien es möglicherweise künftig geben wird, und wir wissen auch nicht, wie die aufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen einmal aussehen werden.

Als beispielsweise Alibaba in China an den Markt ging, war klar, dass die Ziele des Unternehmens mit den Wünschen der Regierung übereinstimmten, die dafür sorgen wollte, dass die chinesische Volkswirtschaft konsumorientierter wird. Über den Internethandel eröffnete Alibaba Konsummöglichkeiten in Bereichen und Regionen des Landes, die nur unzureichend vom stationären Einzelhandel bedient wurden, und trug somit zur Förderung des Konsumwachstums bei. Aus diesem Grund waren kaum Regulierungsmaßnahmen zu befürchten, die Alibaba am Erreichen seiner Wachstumsziele gehindert hätten. Aber ob die Unternehmensgewinne künftig durch Regulierungsmaßnahmen beschnitten werden, lässt sich unmöglich vorhersagen, und zwar nicht nur in China.

 

WAS ALS "DEFENSIV" GILT, ÄNDERT SICH

Versorger sind heute nicht mehr der Inbegriff eines defensiven Sektors. Ein Beispiel aus der Energiewirtschaft, an dem sich das gut veranschaulichen lässt, sind Kraftwerke. Wir stellen uns die Frage, ob elektrischer Strom 2030 noch von den bestehenden Kraftwerken oder aus alternativen Energiequellen (wie Solarenergie) erzeugt wird. Beim herkömmlichen Verfahren zur Bewertung eines Versorgungsunternehmens wird eine Discounted-Cashflow-Analyse durchgeführt, die mindestens zehn Jahre in die (Vergangenheit bzw.) Zukunft reicht. Da Versorger reguliert werden, wissen wir in etwa, wie die Renditen ausfallen werden. Wir können uns somit bei der Bewertung des Unternehmens auf die von den Aufsichtsbehörden genehmigten Preise und den Abzinsungssatz stützen. Bei einer disruptiven Technologie wie der Solarenergie sieht die Situation allerdings etwas anders aus. Solarenergie musste zunächst subventioniert werden, aber diese Art von Energie ist so effizient, dass sie nun zur Bedrohung für konventionelle Kraftwerke wird. Diesen fällt es inzwischen schwer, die früher üblichen Renditen zu erwirtschaften und das Niveau ihrer Dividendenzahlungen aufrechtzuerhalten.

1999 vertraten einige Analysten die Ansicht, dass Lebensmittelhersteller zu den weniger sicheren Unternehmen zählen und gewiss nicht defensiv seien. Stattdessen wurden die Unternehmen als defensiv betrachtet, die "neue" Technologien anboten, denn die ganze Welt befand sich im Umbruch und die Digitalisierung begann. Folglich lautete die Empfehlung, nicht in Lebensmittelhersteller zu investieren (unter Umständen wurden diese sogar als gefährlich dargestellt), da ihre Geschäftsmodelle veraltet und zu riskant seien. Wenn wir aus heutiger Sicht zurückblicken, lässt sich leicht feststellen, dass die Renditen vieler dieser Unternehmen gestiegen und nicht gesunken sind (und ob diese Analysten richtig lagen). Essen müssen wir immer (selbst wenn die Art der Lebensmittel, die wir essen, Veränderungen unterworfen ist). Es liegt somit auf der Hand, dass diese Basiskonsumgüter tatsächlich defensiv sind. Der Telekommunikationssektor hingegen steht vor Herausforderungen, weil sich unsere Art zu kommunizieren rasant verändert. Auch hier spielt Regulierung eine Rolle: So hätten Mobilfunkanbieter angesichts der immens steigenden Nutzung von Mobiltelefonen wohl eine noch stärkere Outperformance verzeichnen können. Aber die Aufsichtsbehörde hat - von der Telekommunikationsbranche selbst (durch Pauschaltarife und Ähnliches) unterstützt - die Geschäftsmodelle untergraben und somit das Umfeld für diese Unternehmen verschlechtert.

 

ZUKUNFTSAUSBLICK

Es steht zu befürchten, dass es mittelfristig irgendwann zu einem Ereignis kommen wird - sei es ein geopolitisches Problem, eine Bedrohung für die Globalisierung oder geldpolitischer Art - das die Märkte erschüttert. Auf kurze Sicht ist unserer Ansicht nach jedoch nicht damit zu rechnen. Das bedeutet allerdings nicht, dass wir blind für mögliche exogene Ereignisse sind, die sich am Horizont abzeichnen.

In gewisser Weise wäre es naheliegend, von einer nun steigenden Inflation auszugehen, doch die Technologie hat dazu beigetragen, die Inflation durch Effizienzsteigerungen in der Produktion auf einem niedrigen Niveau zu halten. Obgleich die Produktivität anhand traditioneller Kennzahlen weiterhin als niedrig eingestuft wird, ist die Exaktheit dieser Kennzahlen schwer zu beurteilen, denn die Technologie hat eine Reihe von Produkten hervorgebracht, die vor zehn Jahren noch nicht verfügbar waren.

Die große Frage lautet: Was geschieht, wenn die quantitative Lockerung aufgehoben wird? Aktienmärkte gehören zu den größten Nutznießern der Politik des leichten Geldes. Deshalb achten wir sehr genau darauf, wie die Weltwirtschaft reagiert, wenn die expansive Geldpolitik zurückgefahren wird und Zentralbanken von einer quantitativen Lockerung zu einer quantitativen Straffung übergehen. In den USA haben wir die ersten Schritte bereits getan, aber in Großbritannien und Europa liegt der Weg noch komplett vor uns.

Es ist jedoch ermutigend zu sehen, wie die Zentralbanken die Botschaft vermitteln. Im Mai 2013 hielt Ben Bernanke (der damalige USNotenbankchef) eine Rede, in der er über die Drosselung des Anleihekaufprogramms der Fed sprach. Darauf folgte eine drastische Reaktion: Allein in diesem Quartal stiegen die Renditen zehnjähriger US-Staatsanleihen von 1,5 % auf 3 %. Seitdem fallen die Reaktionen jedoch wesentlich zurückhaltender aus, wenn Zentralbankvertreter eine Drosselung der Anleihekäufe ansprechen.

China ist nach wie vor ein Sorgenkind, insbesondere das Schattenbankensystem des Landes, notleidende Kredite in den Bilanzen der Banken oder die Fremdfinanzierungsquote in China. Einer oder alle dieser Bereiche könnten zum Problem werden. Das "Katastrophenpotenzial" mag jetzt vielleicht höher sein bzw. ist jetzt höher als zuvor, aber wir sehen es als ermutigendes Zeichen, dass die Behörden das Richtige tun, um die Schwierigkeiten anzugehen.

Wir beurteilen die Zukunftsaussichten für globale Aktien zuversichtlich und behalten diese möglichen Hürden im Hinterkopf. Dabei vergessen wir allerdings nicht, dass die Bewertungen inzwischen noch ein Stück höher geklettert sind, während die Besorgnis an den Märkten langsam weiter zunimmt. Ohne eine solche systemische Störung der Weltwirtschaft, eine Beeinträchtigung der Gewinne oder des Abzinsungssatzes halten wir die aktuellen Bewertungsniveaus aber für angemessen und sehen sogar noch weiteres Steigerungspotenzial.

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