Robeco: China lässt die politischen Muskeln spielen – aber kann es damit noch etwas bewirken?

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Chinas politisches Muskelspiel zur Behebung seiner Probleme dürfte die Anleger vorsichtig stimmen, bis die Binnenwirtschaft wieder an Fahrt aufnimmt.

12.01.2022 | 07:54 Uhr

In aller Kürze

  • Hartes politisches Durchgreifen soll die Ungleichheit verringern und populistischen Gefahren begegnen
  • Die inländischen Wachstumsmotoren stottern im Umfeld der Immobilienkrise
  • Zunehmende Hinweise auf eine politische Lockerung stellen eine zyklische Stabilisierung im ersten Halbjahr in Aussicht


Chinas Regierung hat mehrere drastische politische Maßnahmen ergriffen und sein Programm des „Gemeinsamen Wohlstand“ aufgelegt, um den wichtigsten Gefahren sowohl für das Wachstum als auch die innenpolitische Stabilität zu begegnen. Allerdings ist noch nicht ausgemacht, ob sich diese Maßnahmen als effektiv erweisen werden, sagt Strategieexperte Peter van der Welle.

Da der Einfluss des Landes weit über seine Grenzen hinausreicht, hat das Multi Asset-Team von Robeco in seinen Portfolios eine neutrale Position gegenüber Aktien aus China und anderen Schwellenländern eingenommen, so Van der Welle.

„Im Jahr 2022 wird China wahrscheinlich die größte Beachtung bei Anlegern finden, selbst wenn man die Olympischen Winterspiele außer acht lässt, die im Februar in Peking stattfinden“, sagt Van der Welle. „In den letzten zehn Jahren hat China für sich genommen rund 30-40 % zum jährlichen Wachstum der Weltwirtschaft beigetragen und 2020 die globale Konjunktur wieder auf den Erholungspfad zurückgebracht.“

Wachstumsmotoren stottern

„Im Jahr 2021 dagegen ging der Beitrag Chinas zum globalen Wachstum infolge einer politisch gewollten Abschwächung der Binnenkonjunktur stark zurück, während die entwickelten Volkswirtschaften aufholten. Die zentralen Motoren des Wachstums der Binnenwirtschaft – die Sektoren Immobilien, Industrie und Infrastruktur – sind in jüngster Zeit ins Stottern geraten.“

„Da im Westen die geld- und fiskalpolitischen Impulse im Lauf des Jahres 2022 nachlassen dürften, wird der Wachstumspfad Chinas umso wichtiger für die Weltwirtschaft werden. Deshalb sollten sich Anleger zu Beginn des neuen Jahres mehr denn je die Frage stellen: „Was steht auf der Agenda der chinesischen Führung für das Jahr 2022?“

Chinas Wirtschaftsmacht ist so bedeutend, dass sich selbst kleinere Schwankungen seines Wachstumspfads auf andere Länder Asiens auswirken. In den vergangenen Jahren haben sich Aktien aus Schwellenländern schwächer entwickelt als solche aus entwickelten Staaten. Dies hat sie für Multi Asset-Portfolios weniger attraktiv gemacht.

Gemeinsamer Wohlstand

Ein Problem besteht darin, dass der Wohlstandszuwachs des Landes nicht gerecht auf seine 1,4 Milliarden Menschen verteilt wurde. Dies hat die Regierung zur Einführung seines Programms „Gemeinsamer Wohlstand“ veranlasst. China strebt auch an, die Wohlfahrt für die Ärmsten zu verbessern, um etwaige soziale Unruhen zu vermeiden, die das Regime bedrohen könnten.

„Im Hinblick auf die ungleiche Verteilung der Vermögen befindet sich die chinesische Gesellschaft annähernd auf dem Niveau der USA. So besitzen die reichsten 1 % der Haushalte ein Drittel des Vermögens des Landes“, sagt Van der Welle. „Präsident Xi Jinping befürchtet, dass es zulasten der Mittelschicht gehen wird, wenn diese Ungleichheit fortbesteht.“

„Dies würde zu einer Polarisierung und einer Art Populismus wie in den USA führen, was die Kommunistische Partei bedrohen könnte. Das politische Establishment in China ist sich dessen bewusst, dass die Hauptprobleme des Landes hausgemacht sind. Dazu zählen eine sehr hohe Verschuldungsquote von 270 % des BIP, die Alterung der Bevölkerung, durch die sich das Verhältnis zwischen Erwerbstätigen und Transferempfängern allmählich verschlechtert, sowie steigende Umweltkosten.“

Die Umsetzung ist entscheidend

Um diesen langfristigen Problemen gerecht zu werden, konzentriert sich das Programm des „Gemeinsamen Wohlstands“ auf die drei problematischsten Sektoren. „Die Umsetzung ist entscheidend. So haben die Politiker die Regulierung in Sektoren verschärft, in denen es erhebliche Konzentrationen von Vermögen und Marktmacht gibt. Dazu zählen die Sektoren Immobilien, Technologie und Bildung“, sagt Van der Welle.

„Beispielsweise hat die Politik der „Drei roten Linien“ der chinesischen Notenbank, die eine Quote aus Verbindlichkeiten und Assets von weniger als 70 %, einen Verschuldungsgrad von unter 100 % sowie eine Relation aus Liquidität und kurzfristigen Verbindlichkeiten von mehr als 1 umfasst, einen Abbau der Verschuldung im Immobiliensektor erzwungen. Das bekannteste Opfer dieser Vorgaben war der Immobilienkonzern Evergrande, bei dem nun eine Restrukturierung der Schulden beginnt.“

Erfolg schwer zu beziffern

Es stellt sich die Frage, ob der regulatorische Zwang erfolgreich war und ob die Anleger eine Lockerung der staatlichen Interventionen im Unternehmenssektor im Jahr 2022 erwarten können. Dies wäre ein gutes Omen für Aktien aus China und anderen Schwellenländern.

„Der Erfolg ist schwer zu beziffern, da die Indizien kein eindeutiges Bild ergeben“, sagt Van der Welle. „Der anhaltende Abschwung bei den Eigenheimverkäufen und den Hauspreisen in China infolge der verschärften Regulierung beeinträchtigt das Wachstum des Binnenkonsums, da der Wohlstandseffekt unterminiert wird.“

„In der Vergangenheit gab es eine ausgeprägte positive Korrelation zwischen dem Wachstum des Konsums in China und den inländischen Häuserpreisen, da der größte Teil des Vermögens der Haushalte auf Immobilien entfällt.“

Das Coronavirus ist nicht vom Tisch

Unterdessen hält die Coronavirus-Pandemie weltweit an. Sie wird nun von der Omikron-Variante angeführt, die zu einer neuen Welle von Lockdowns geführt hat.

„Angesichts der chinesischen Nulltoleranz-Strategie in Bezug auf Corona und zutagetretenden Anzeichen für die mangelnde Wirkung des Sinovac-Impfstoffs gegen die Omikron-Variante (selbst nach einer Auffrischungsimpfung) könnte die Lockdown-Intensität in China auf kurze Sicht wieder zunehmen“, warnt Van der Welle.

„Dies könnte die Binnennachfrage zusätzlich beeinträchtigen, selbst während der näherrückenden Olympischen Winterspiele. Die chinesische Politik muss Agilität und Kompetenz an den Tag legen, um mit all diesen Abwärtsrisiken für das Wachstum zurechtzukommen.“

Bewerkstelligung einer sanften Landung

Alles blickt auf die Reaktion der politischen Führungsspitze. Um seine Glaubwürdigkeit als sozialistischer Führer im Vorfeld des Parteitags im Jahr 2022 zu unterstreichen, wird Präsident Xi wahrscheinlich die soziale Stabilität sicherstellen wollen, indem er kurzfristig eine sanfte Landung der Konjunktur bewerkstelligt“, sagt Van der Welle.

„Eine Lockerung der Geldpolitik durch weitere Senkung der Mindestreserveanforderungen, eine Bodenbildung beim Kreditimpuls im ersten Halbjahr 2022 sowie der Einsatz fiskalpolitischer Anreize und eine Lockerung der Regulierung im Wohnungsbaubereich sind die naheliegendsten politischen Instrumente.“

„Die chinesische Notenbank und das Finanzministerium haben sich bereits Ende Dezember bereiterklärt, ein stabiles Wachstum sicherzustellen. So deuteten sie Steuersenkungen sowie die Bereitstellung angemessener und beträchtliche Liquidität an.“

Das endgültige Urteil steht noch aus

Wird das aber genug sein? „Auch wenn es immer wahrscheinlicher wird, dass die Themen Schuldenabbau, Dekarbonisierung und Bremsen des Immobilienpreisanstiegs im Jahr 2022 in den Hintergrund rücken, ist unsere Haltung noch abwartend“, sagt Van der Welle.

„Während die geopolitischen Spannungen mit den USA zunehmen (speziell im Hinblick auf Taiwan), besteht für Präsident Xi nach wie vor ein Anreiz, die Produktivität der Binnenwirtschaft rechtzeitig zu steigern, indem er seine straffe Interventionspolitik fortführt.“

„Das Programm des Gemeinsamen Fortschritts ist kein vorübergehendes Ereignis. Für Anleger bedeutet dies erhebliche Unsicherheit. Ein weiteres Hemmnis ist die Möglichkeit, dass die Omikron-Variante im Umfeld der Olympischen Winterspiele umfangreiche Lockdowns nach sich zieht.“

„Auch wenn Chinas Politik die Muskeln spielen lässt, ist nicht ausgemacht, ob sie damit noch etwas bewirken kann. Wir bleiben daher vorerst neutral gegenüber Aktien aus China und anderen Schwellenländern positioniert.“

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