Morgan Stanley IM: Erhebliche Diskrepanz

Morgan Stanley IM: Erhebliche Diskrepanz
Märkte

Das zweite Quartal war dramatisch. Es begann Anfang April mit einem starken Marktrückgang nach den Zollankündigungen am sogenannten „Liberation Day“.

01.08.2025 | 11:03 Uhr

Eine Neukalibrierung der Zölle im Zuge der Marktturbulenzen verhalf jedoch zu einem anschließend sehr starken Aufschwung, wobei die Aktienindizes auf Allzeithochs stiegen und der MSCI World Index nach Verlusten von mehr als 10% bis zum 8. April für das zweite Quartal letztlich um 11% zulegten und somit das stärkste Vierteljahr seit der Erholung von den pandemiebedingten Niedrigständen im Jahr 2020 hinlegen konnte.

„Die Märkte scheinen derzeit für eine ganz andere Welt als die Realwirtschaft bepreist zu sein.“

Während die Erholung angesichts der Verbesserung des Umfelds seit Anfang April teilweise angebracht sein dürfte, erscheint die gegenwärtige euphorische Stimmung mit überzogenen Bewertungen und Rekordzuflüssen von Privatanlegern vor dem Hintergrund moderater Wachstumsaussichten und zahlreicher Unwägbarkeiten kaum gerechtfertigt. Tatsächlich sehen wir eine erhebliche Diskrepanz zwischen den Märkten und der Realität.

Die wirtschaftlichen Aussichten haben sich seit dem Tiefstand vom Anfang April durchaus verbessert. Während die Wachstumserwartungen in diesem Jahr nachgelassen haben, ist der Bloomberg-Konsens mittlerweile mit einem realen BIP-Wachstum von 1,5% im Jahr 2025 gegenüber rund 2% zu Beginn des Jahres weit von dem Basisszenario der Wall Street unmittelbar nach den Zollankündigungen zum „Liberation Day“ entfernt, in dem von einer Rezession in den USA ausgegangen worden war. Und während die Inflation hartnäckig bleibt und über dem Ziel von 2% der US-Notenbank Fed (US Federal Reserve) verharrt, lässt eine zollbedingte Beschleunigung (der Inflation) weiterhin auf sich warten.

Die positivere Einschätzung ist, dass sich der „Taco-Trade“ bislang ausgezahlt hat und durchaus weiter funktionieren könnte. Dabei handelt es sich um ein von den Medien eingeführtes Schlagwort, das nahelegt, dass die Trump-Administration in Bezug auf politische Maßnahmen, die zu Markterschütterungen führen, dazu neigt, letztlich klein beizugeben. Der „Taco Trade“-Talk betraf vor allem den Rückzieher von den „gegenseitigen“ Zöllen am 9. April, als Trump eine 90-tägige Zollpause ankündigte.

Die „Taco-Anpassungen“ betreffen aber nicht nur das Handelsgeschehen. Denn abgesehen davon haben auch die Ängste der Unternehmen in Bezug auf die Immigration bzw. Rückführung von illegalen Einwanderern in die USA nachgelassen, wobei die Regierung in letzter Zeit von mehr Toleranz gegenüber nicht dokumentierten Arbeitern sprach, insbesondere im Agrarsektor. Darüber hinaus hat die Rhetorik rund um den Defizitabbau nachgelassen, der durch eine angeblich massive Reduzierung der öffentlichen Ausgaben durch DOGE1 angetrieben wurde und drohte, die Nachfrage in den USA zu untergraben. Die endgültige Version des „One Big Beautiful Bill“ soll jedenfalls laut Congressional Budget Office die nationale Verschuldung der USA in den nächsten zehn Jahren um weitere 3 Billionen US-Dollar erhöhen. Dies dürfte die Wirtschaft im Jahr 2026 ankurbeln und die negativen Auswirkungen der Zölle abschwächen.

Die weniger positive Einschätzung besteht hingegen darin, dass Wirtschaft und Märkte in erheblichem Maße nach wie vor politischem Gegenwind ausgesetzt sind, da die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen der jüngsten politischen Veränderungen erst noch umfassend zu Buche schlagen müssen. Die bestehenden Zollvereinbarungen implizieren insgesamt einen effektiven Zollsatz von 15%2, gegenüber vorher 2,5%, der sowohl als effektive Verbrauchersteuer als auch als Inflationsschock wirkt, und das, bevor mit Ablauf der 90-tägigen Pause weitere Zollanstiege drohen. Die umfassenden Auswirkungen dieser bestehenden Zölle auf die Verbraucherpreise haben sich unter Umständen noch gar nicht ganz bemerkbar gemacht. Gleichermaßen dürfte sich das Wachstum am US-Arbeitsmarkt stark verlangsamen. Barclays erwartet für 2026 und 2027 lediglich einen Zuwachs von 0,1% gegenüber einem Anstieg von über 1%, der aufgrund der alternden Bevölkerungen und minimalen Nettoeinwanderung gewöhnlich für die US-Wirtschaft veranschlagt wird, wodurch sowohl die Gesamtnachfrage als auch die Unternehmensmargen nun in Frage stehen. Insgesamt ist die allgemeine politische Unsicherheit nach wie vor sehr hoch, nicht zuletzt rund um das Ende der 90-tägigen Zollpause, was sich sowohl auf das Verbraucher- als auch auf das Geschäftsvertrauen niederschlägt.

Außerhalb des Regierungsgeschehens gab es seit Anfang April zwei weitere positive Entwicklungen für die Märkte. Eine besteht darin, dass die Investitionsprognosen rund um Hyperscaler-Rechenzentren trotz des DeepSeek-Schocks Anfang des Jahres unvermindert im Anstieg begriffen sind, da die Technologieriesen nach wie vor von einer massiven Nachfrage nach Rechenleistung ausgehen. Die andere betrifft den Rückgang des US-Dollars, wobei der ICE Dollar Index seit Jahresbeginn (YTD) um mehr als 10%3 nachließ. Dies kommt insgesamt den Umsatz- und Gewinndaten in US-Dollar entgegen, da andere Währungen rund die Hälfte der Umsätze im MSCI World und sogar 40% der Umsätze im S&P 500 Index ausmachen.

Während einige der Extremrisiken des Monats Aprils scheinbar nachgelassen haben, deutet der Gesamtausblick auf ein Umfeld mit einem lediglich gewöhnlichen Wachstum hin, wobei für die USA in den Jahren 2025 und 2026 ein Wachstum von nur 1,5% prognostiziert wird, was unter dem noch zu Jahresbeginn erwarteten Niveau liegt, während die Europäische Union mit ca. 1% nach wie vor hinterherhinkt. Angesichts der zunehmenden geopolitischen Spannungen und des instabilen politischen Umfelds in den USA besteht zudem eine ungewöhnlich hohe Unsicherheit in Bezug auf diesen unspektakulären Ausblick, was dazu führt, dass die Wirtschaftsexperten in den nächsten zwölf Monaten mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit von 38% eine Rezession in den USA erwarten. Wenngleich sich die schlimmsten Ängste von Anfang April nicht bewahrheitet haben, lässt sich zugleich nicht unbedingt behaupten, dass das Umfeld im Vergleich zum Jahresbeginn mittlerweile besser ist.

Stattdessen scheinen die Märkte für eine ganz andere Welt bepreist zu sein, die sich offenbar von der Realwirtschaft entkoppelt hat. Die Aktienbewertungen erscheinen im historischen Vergleich deutlich erhöht. Der MSCI World Index weist ein Forward-KGV von beinahe 20x auf, während der S&P500 Index zum 22-Fachen der künftigen Gewinne bewertet ist. Diese erweiterten Bewertungsmultiplikatoren beziehen sich indes auf künftige Unternehmensgewinne, die den Prognosen zufolge durch Margenverbesserungen gegenüber bereits bestehenden Rekordhochs im zweistelligen Bereich wachsen sollen. Unterdessen sind die Unternehmensgewinne in den USA in der Tat rückläufig, wobei die Erwartungen für den S&P 500 für 2025 und 2026 im bisherigen Jahresverlauf jeweils um 4% gesunken sind, selbst gemessen anhand des zügig abwertenden US-Dollars. Auch die Anleihemärkte scheinen recht optimistisch zu sein: Der ICE BofA BBB US Corporate Index Spread verengte sich auf 110 Basispunkte4 und erreichte damit beinahe das zu Jahresbeginn markierte Allzeittief.

Es gibt viele weitere Hinweise darauf, dass die Märkte je nach bevorzugter Lesart über die erweiterten Gesamtbewertungen hinaus als ausgelassen, euphorisch oder überbordend zu beurteilen sind. Der Equity Euphoria Indicator von Barclays hat sich auf über 10% erholt und kratzt damit an den während der Dotcom-Blase zur Jahrtausendwende und des sogenannten „Meme Stock Frenzy“ von 2021 erreichten Niveaus, was angesichts der Tatsache, dass Privatanleger in der ersten Jahreshälfte ihre Aktienbestände um einen Rekordwert von 155 Milliarden US-Dollar aufgestockt haben, kaum überraschen dürfte5. Ein Blick auf die für diese Steigerungen am Aktienmarkt verantwortlichen Faktoren zeigt, dass sich mehr als 50% des zweistelligen Wertzuwachses des MSCI World im zweiten Quartal auf lediglich zwei der 26 Branchen, namentlich Halbleiter und Software & Services, konzentrierten, während 85% auf insgesamt nur fünf Branchen zurückzuführen waren, nimmt man die zyklischen Komponenten Medien & Unterhaltung, Banken und Investitionsgüter hinzu.

Zusammenfassend gestalten sich die Annahmen für den realwirtschaftlichen Ausblick unseres Erachtens folglich nur mittelmäßig, wobei ein großes Maß an Unsicherheit herrscht. Im Widerspruch dazu scheinen die Märkte ein Szenario mit höherem Wachstum bei einem hohen Maß an Sicherheit einzupreisen. Es gibt zahlreiche Hinweise auf euphorisches Verhalten von Privatanlegern, die sich aktuell noch mehr darin bestärkt sehen dürften, bei jedem Kursabschwung hinzuzukaufen. Angesichts dieses Marktoptimismus ist es keine Überraschung, dass das zweite Quartal für erstklassige Unternehmen mit geringem operativen Hebel und niedriger finanzieller Verschuldung enttäuschend war; in schwierigen Zeiten dürften sich diese indes robust entwickeln. Schließlich scheint der Markt jegliche Möglichkeit eines schwierigen Umfelds derzeit von der Hand zu weisen. Wenn unsere Ansicht der großen Diskrepanz zwischen den Märkten und der Realität jedoch annähernd zutrifft, dürften erstklassige Unternehmen bald die Chance erhalten, ihre Vorzüge unter Beweis zu stellen.

1 U.S. Department of Government Efficiency
2 Das Budget Lab in Yale, Stand: 17. Juni 2025
3 Bloomberg DXY Index
4 Die Federal Reserve Bank of St Louis
5 Financial Times, VandaTrack

Risikohinweise

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