Morgan Stanley: COVID-19 – ein Beschleuniger

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Wenn wir in den nächsten Jahren auf COVID-19 und seine weltweiten Auswirkungen zurückblicken, könnten wir feststellen, dass William Hague (der ehemalige Vorsitzende der britischen Konservative) Recht hatte, als er sagte, COVID-19 würde bestehende Kräfte und Trends stark beschleunigen.

25.05.2020 | 10:07 Uhr

Man nehme nur die Auswirkungen der Pandemie auf die globalen Machtblöcke. In der Europäischen Union ließ die Gesundheitskrise die bestehenden Spannungen darüber, ob die nördlichen europäischen Länder die Schulden Südeuropas zurückzahlen sollen, stärker zutage treten. Gleichzeitig verschärfte sich die Rivalität zwischen den USA und China weiter und rückte die Auswirkungen dieser Konkurrenz auf Handel und Globalisierung sowie auf die zukünftige Rolle des US-Dollars als globale Reservewährung ins Rampenlicht. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beschleunigen den globalen Aufstieg Asiens, zumal es den Ländern dieser Region bald gelang, wirksame Tests einzuführen, die Fälle zurückzuverfolgen und so die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Das führte dazu, dass die Volkswirtschaften der Region scheinbar weitaus weniger Schaden genommen haben als die des Westens. Die zunehmende Arbeitslosigkeit durch COVID-19, die Dutzende Millionen Menschen ohne Job dastehen lässt, könnte zu vermehrten politischen Spannungen, zu einer Vertiefung der Ungleichheit, einer Erhöhung der Schuldenlast und zu autoritäreren Regierungen führen. Dies rückt politische Konzepte wie die Modern Monetary Theory, Schuldenerlass, Harmonisierung von Körperschaftssteuersätzen und staatliches Grundeinkommen in den Vordergrund und führt zu Forderungen, Konzerne sollten mehr Verantwortung gegenüber ihren Interessengruppen an den Tag legen (weniger Schulden/Rückkäufe und mehr On-Shoring/höhere Steuerzahlungen). Dann stellt sich noch die Frage, wem die Daten, die über jeden von uns gesammelt werden, gehören und wie sie genutzt werden dürfen. Dies löst eine Debatte darüber aus, wo die neue Grenze zwischen Staat und Individuum gezogen werden soll.  

Als selektive Aktienexperten konzentrieren wir uns auf die Auswirkungen dieser Trends auf einzelne Aktien und branchenspezifische Trends (d. h. auf die qualitativ hochwertigen, renditestarken Sektoren, die wir halten) sowie auf unsere Aktien.

Der Beschleunigereffekt wird besonders im Technologiebereich stark spürbar. Nach Meinung von Satya Nadella, CEO des großen amerikanischen Technologieunternehmens, das wir in unseren globalen Portfolios halten, hat COVID-19 durch die Umstellung vieler Unternehmen auf Heimarbeit "die digitale Transformation, die normalerweise zwei Jahre in Anspruch nehmen würde, in zwei Monaten bewirkt". Dieser Anbieter von Unternehmenstechnologie hat sich dank seiner Kommunikations- und Kollaborationsplattform und seinen Cloud-Diensten als Gewinner dieser Verlagerung auf Heimarbeit erwiesen. COVID-19 beschleunigt bestehende Trends, so wie zum Beispiel das Wachstum des E-Commerce und die Angst vor Ansteckung die Verlagerung von Bargeld auf Karten als Zahlungsmittel fördert. Dies hilft den Zahlungsunternehmen auf lange Sicht, auch wenn der Einbruch der grenzüberschreitenden Transaktionen vorübergehend für Gegenwind sorgt. Während diese von COVID-19 vorangetriebenen Verschiebungen die wirtschaftliche Dominanz der oligopolistischen Technologieriesen unterstützen dürften, gleich ob bei hyperskalierten Cloud-Diensten oder Social-Media-Netzwerken, steigt gleichzeitig die Besorgnis über Ungleichheit, Staatsverschuldung und den Schutz der Privatsphäre. Das bedeutet, dass diese Technologieunternehmen gut daran tun werden, die politischen und regulatorischen Risiken in den nächsten Jahren sorgfältig zu beobachten.

COVID-19 hat die Bedeutung des Gesundheitswesens als Industriezweig offensichtlich gemacht und die Frage aufgeworfen, ob die Gesundheitssysteme im Allgemeinen robust genug sind oder ob eine bessere Infrastruktur erforderlich ist. Wenn mehr Mittel benötigt werden, dürften diejenigen, die Einsparungen vornehmen können, gut abschneiden. Bei unseren Medizintechniktiteln unterstreicht COVID-19 die Wichtigkeit von Daten – nicht nur ihre Verwendung sondern vor allem auch ihren Besitz. Wir glauben, dass dies Anbietern von Diagnose- und Testausrüstung Auftrieb verleihen wird, insbesondere angesichts der Tatsache, dass 70 % der medizinischen Entscheidungen von der Diagnostik beeinflusst werden, auf die weniger als 2 % der Kosten entfallen.1. Die Erkenntnis, dass die Vermeidung unnötiger Krankenhausaufenthalte den Gesundheitssystemen unnötige Kosten erspart, könnte zu einer Beschleunigung von Behandlungen zu Hause mittels Fernüberwachung und Telemedizin, z. B. mittels Heimdialyse, führen.

Am Beispiel der Konsumgüterhersteller hat COVID-19 gezeigt, dass große Marken wichtig sind. Die Einzelhändler verbannen mittlere Marken und die Vielzahl an kleinen Nischenmarken aggressiv aus ihren Regalen, während sich die Verbraucher in den Industrieländern auf preisgünstige und bekannte, vertrauenswürdige Marken konzentrieren. Dies erinnert die CEOs daran, dass Vertrauen das höchste Gut einer Marke ist und mit größtem Respekt behandelt werden muss. Dies wird den Wandel in der Markenkommunikation beschleunigen, von der Vermarktung an die Verbraucher bis hin zu der Bedeutung, die die Marken für die Verbraucher spielen. Dabei wird der Zweck in den Vordergrund gerückt werden, gleich ob die Überlegenheit des Produkts oder seine positiven sozialen und ökologischen Wirkungen hervorgestrichen werden.

Soziale Distanzierung und Ausgangssperren haben Menschen aller Altersgruppen einen Crashkurs zum Thema E-Commerce vermittelt. Verbraucher, die ihre Einkaufslisten einmal online erstellt haben, werden sich unwillig zeigen, wieder die Einzelhandelsgeschäfte zu durchstöbern. Unternehmen, deren Geschäftsleitung frühzeitig in die digitalen Fähigkeiten investiert hat, dürften aus COVID-19 stärker hervorgehen als ihre Konkurrenten. Ein französisches Kosmetikunternehmen und ein britisches Konsumgüterunternehmen, die wir in unseren Portfolios halten, erwirtschaften bereits 20% bzw. 10% ihrer Umsätze durch E-Commerce. Dabei liegen Margen und Marktanteile gleichauf mit denen von Offline-Unternehmen oder sogar darüber.

Auf jeden Fall ist es die Qualität der Geschäftsleitung, die die Widerstandsfähigkeit des Unternehmens und seine Erfolgsaussichten in dieser Krise bestimmt, sei es durch Investitionen in Innovationen, um die Relevanz bei den Kunden aufrechtzuerhalten, oder durch das Verständnis der Anforderungen der Stakeholder und den richtigen Umgang damit. Wir haben stets betont, wie wichtig fähige Managementteams für qualitativ hochwertige Investitionen sind, und das wird angesichts dieser globalen Krise noch deutlicher.

1 Quelle: Point of Care Testing, Abbott Laboratories.

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