Dr. Mathilde Lemoine, Chef-Volkswirtin der Edmond de Rothschild Gruppe, legt neue Wachstums-, Inflations- und Währungsprognosen für 2021 und 2022 vor:
15.12.2020 | 09:42 Uhr
In ihrer aktuellen Studie erklärt die Chef-Volkswirtin der Edmond de Rothschild Gruppe, weshalb die Wirtschaftslage jetzt ganz anders ist als nach der Finanzkrise 2008. Deshalb rechnet sie – selbst ohne flächendeckende Impfungen – 2021 wieder mit einer anziehenden Konjunktur. Für 2021 erwartet sie 5 Prozent Weltwirtschaftswachstum, für 2022 4 Prozent. Dieses Jahr dürfte sich das Welt-BIP um 3,9 Prozent reduziert haben.
„Natürlich muss man sich der Grenzen der aktuellen Prognosemöglichkeiten bewusst sein. Aber: Wenn wir die gängigen Modelle hinterfragen, mit denen die Auswirkungen der Pandemie geschätzt werden, ist das keine generelle Ablehnung von Modellprognosen. Im Januar 2020 haben wir uns auch bei COVID-19 für Modelle entschieden, die bei Grippepandemien verwendet werden. Auf traditionelle Prognosemodelle, wie sie internationale Organisationen nutzen, haben wir verzichtet“, sagt Dr. Mathilde Lemoine.
Annahmen
Die Erholung Asiens sowie der Nachfragestau in Europa und den USA werden den Welthandel 2021 trotz der Spannungen zwischen China und den USA vermutlich stärken.
„Der designierte US-Präsident Joe Biden dürfte mit seinem neuen Führungsstil und seinem Respekt für internationale Organisationen berechenbarer sein. Er hat allerdings noch nicht entschieden, was aus Trumps Zöllen wird. 2019 ist der World Trade Uncertainty Index auf ein neues Rekordhoch gestiegen. Besonders stark war der Anstieg in den USA, in China dagegen war er nur halb so hoch. Unsicherheit hat aber große Auswirkungen auf den Welthandel, wie aktuelle ökonometrische Studien zeigen. So war ein Drittel des Anstiegs chinesischer Exporte seit dem Beitritt zur Welthandelsorganisation der größeren Sicherheit zu verdanken. Unsicherheit hat auch Auswirkungen auf die Aktienkurse und damit, direkt und indirekt, auf Anlageentscheidungen.“
Die Wechselkursprojektionen in der Studie sprechen für eine höhere Inflation und einen stärkeren Anstieg der Langfristrenditen in den USA als im Euroraum.
„Die
langfristigen US-Staatsanleiherenditen dürften 2021 steigen und 2022
durchschnittlich 1,8 Prozent betragen. Die Fed wird aber die
Zinsstrukturkurve steuern, damit sie nicht zu steil wird. Unterdessen
dürften die Kurzfristzinsen niedrig bleiben. Die US-amerikanische
Zentralbank hat erklärt, dass sie schon bald eine Inflation von 2
Prozent anstrebt.
Außerdem rechnen wir mit sehr viel mehr Forward
Guidance, also viel klareren Hinweisen auf die Richtung der Geldpolitik,
damit die Dreijahresrendite nicht zu stark zulegt. Die verstärkten
Wertpapierkäufe der Europäischen Zentralbank könnten den Euro Anfang
2021 hingegen schwächen.
Sollte der Einsatz der COVID-19-Impfstoffe wesentlich effektiver sein als erwartet und sie schneller flächendeckend verabreicht werden, wäre dies gerade für den Euroraum sehr gut. Denn er ist von Lockdowns und Reisebeschränkungen überdurchschnittlich belastet worden.“
Längerfristig sieht Dr. Mathilde Lemoine einige Risiken. Sie befürchtet aufgrund von Schul- und Universitätsschließungen weniger berufliche Chancen und mehr Ungleichheit. Auch ist sie überzeugt, dass die Investoren einen zu großen Einfluss der Fiskalpolitik und staatlichen Druck auf die Notenbanken mehr fürchten als eine hohe Verschuldung.
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