BNP Paribas: Sieben wesentliche Merkmale des aktuellen US-Konjunkturzyklus

Foto: BNP Paribas
Konjunktur

Der Aufschwung der US-Wirtschaft geht in sein zehntes Jahr. Zeit zum Feiern oder Grund zur Sorge? Ist das Ende nah? In diesem Beitrag werden einige wesentliche Merkmale des aktuellen Konjunkturzyklus anhand von Abbildungen skizziert.

25.07.2018 | 14:29 Uhr

Hatte die San-Francisco-Fed 2016 Recht, als sie verneinte, dass der aktuelle Aufschwung schließlich an Altersschwäche sterben werde, während sie auf Peter Pan verwies, der ebenfalls nie älter wird?[1]

Ein langer Aufschwung

Lassen Sie uns die Länge des derzeitigen Aufschwungs an einigen Zahlen festmachen. Im September 2010 stellte das National Bureau of Economic Research (NBER) fest, dass die große Rezession nach der Subprime-Krise im Juni 2009 zu Ende gegangen war.

Abbildung 1: BIP-Wachstum in % z.Vj. und Rezessionen

BIP-Wachstum in % z.Vj. und Rezessionen

Quellen: NBER, BEA, BNP Paribas Asset Management, Stand 28. Juni 2018

Das NBER misst Konjunkturzyklen mit einem strengen Verfahren.[2] Sie beschränkt sich dabei nicht auf die übliche Vorgehensweise, bei zwei aufeinanderfolgenden Quartalen mit einem schrumpfenden BIP von einer Rezession zu sprechen.

Die Abbildung unten zeigt die Rezessionen in den USA seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Breite der Säulen gibt die Dauer der Rezession an, also nicht deren Intensität. Man erkennt deutlich den Übergang von einer Industriewirtschaft, in der sich Expansionen und Kontraktionen schnell abwechseln – weil das verarbeitende Gewerbe nun einmal sehr konjunktursensitiv ist – zu einer stärker dienstleistungsorientierten Wirtschaft mit naturgemäß geringeren Schwankungen. Natürlich gibt es auch andere Faktoren, die wir heute aber nicht thematisieren möchten.

Abbildung 2: Geschichte der Rezessionen in den USA

Geschichte der Rezessionen in den USA

Quellen: NBER, BNP Paribas Asset Management, Stand 28. Juni 2018

Sollte die Wirtschaft im 1. Quartal 2018 weiter gewachsen sein, wovon angesichts der bisher verfügbaren Indikatorwerte aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszugehen ist, dauert die Expansion seit Juli 2009 jetzt 108 Monate an. Damit ist sie die zweitlängste Expansion.

Abbildung 3: Dauer der Expansion (jeweils seit dem Ende der letzten Rezession)

Dauer der Expansion (jeweils seit dem Ende der letzten Rezession)

Quellen: NBER, BNP Paribas Asset Management, Stand 28. Juni 2018

Die einzige Expansion, die länger als 120 Monate dauerte, war die Zeit von April 1991 bis März 2001.

Die Volkswirte internationaler Organisationen, Banken und US-Institutionen prognostizieren kurzfristig keine Rezession. Die derzeitige Expansion hat gute Chancen, im nächsten Sommer ihren zehnten Jahrestag zu erreichen. Dann würde sie dem bisherigen Rekord nahekommen oder ihn vielleicht sogar brechen.

Die Zeit wird zeigen, ob dieser Optimismus gerechtfertigt ist. Wir wollen nicht extrapolieren, aber man sollte doch einiges beachten. Die Analyse geht weit über die Antwort auf die Frage, ob das Wachstum anhält, hinaus.

Untypisches Wachstum

1. Schwächeres Wachstum

Das Wachstum war nicht so stark, wie in den bisherigen Expansionsphasen seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Wachstumsrate liegt bis jetzt nur knapp halb so hoch wie im Durchschnitt.

Die Abbildung unten zeigt das kumulierte Wachstum während der letzten vier Expansionsphasen (November 1982 bis Juli 1990, März 1991 bis März 2001, November 2001 bis Dezember 2007 und Juni 2009 bis heute). Angegeben sind die Jahre, in denen sie begannen.

Abbildung 4: Kumuliertes BIP-Wachstum seit dem Tiefststand (%)

Kumuliertes BIP-Wachstum seit dem Tiefststand (%)

Quellen: BEA, NBER, BNP Paribas Asset Management Stand 28. Juni 2018

2. Langsameres Wachstum

Es brauchte einige Zeit, bis die Wirtschaft wieder auf ihren „natürlichen“ Wachstumspfad, also zum Potenzialwachstum, zurückkehrte. Das Potenzialwachstum scheint aber auch niedriger zu sein, als frühere Schätzungen nahelegen.

Die Abbildung unten zeigt die Daten in logarithmischer Form, um den Anstieg im Zeitablauf besser zu visualisieren. Man sieht, dass die Wirtschaftsaktivität während der großen Rezession 2008-2009 tatsächlich stark zurückging, aber keineswegs mehr als während der Rezession in den frühen 1980er- Jahren. Auch fällt auf, dass sich das Potenzialwachstum erst spät im Betrachtungszeitraum änderte.

Abbildung 5: Reales BIP: Potenzial und tatsächliche Werte (logarithmische Skala)

Reales BIP: Potenzial und tatsächliche Werte (logarithmische Skala)

Quellen: FRED, CBO, BNP Paribas Asset Management, Stand 28. Juni 2018

Die Abbildung unten zeigt einen kürzeren Zeitraum, sodass man das BIP in Milliarden US-Dollar darstellen kann, ohne dass sich ein verzerrtes Bild ergibt. Das bestätigt, dass die Rückkehr zum Potenzialwachstum mehrere Jahre gedauert hat, auch wenn es nach unten revidiert wurde.

Abbildung 6: Tatsächliches und potenzielles BIP (in Mrd. USD, 2009)

Tatsächliches und potenzielles BIP (in Mrd. USD, 2009)

Quellen: FRED, BNP Paribas Asset Management Stand 28. Juni 2018

Die Berechnungen des Congressional Budget Office (CBO) zeigen eine der vielen Schwierigkeiten für die Fed und die meisten anderen großen Zentralbanken in den letzten Jahren auf. Wer geldpolitische Entscheidungen treffen will, muss sich, in welcher Form auch immer, ein Bild von der erwarteten Kapazitätsauslastung der Volkswirtschaft machen.

Die Taylor-Regel formalisiert diesen Ansatz, indem sie den Leitzins in Abhängigkeit von der Differenz zwischen Inflation und Inflationsziel sowie der Differenz zwischen BIP und potenziellem BIP ausdrückt. Dies ist nicht nur eine Wirtschaftstheorie für Industrieländer[3], sondern auch eine Möglichkeit, das doppelte Mandat der Fed zu formulieren – Preisstabilität und Vollbeschäftigung. In einer alternativen Version der Taylor-Regel wird nämlich die Abweichung vom Potenzial durch die Abweichung von der natürlichen Arbeitslosenquote ersetzt.

Abbildung 7: Entwicklung der Federal Funds Target Rate und des theoretischen Leitzinses gemäß Taylor-Regel, in %

Entwicklung der Federal Funds Target Rate und des theoretischen Leitzinses gemäß Taylor-Regel, in %

Quellen: Bloomberg, BNP Paribas Asset Management, Stand 28. Juni 2018

Bei einer strengen Auslegung der Taylor-Regel hätte die Fed ihren Leitzins in den letzten Jahren früher und häufiger anheben müssen.

Die Notenbanken sind (zum Glück) pragmatisch

Angesichts der Unsicherheiten über das zukünftige Wachstum und die „natürliche“ Wachstumsrate traten die Fed-Vorsitzenden Ben Bernanke und Janet Yellen für Pragmatismus ein – und haben den Aufschwung damit vermutlich verlängert. Mit dem Ansatz, das Inflationsziel als „symmetrisch“ zu betrachten, tritt Jerome Powell, der im Februar den Vorsitz von Janet Yellen übernahm, in die Fußstapfen seiner Vorgängerin.

Nathalie Benatia, Macroeconomic Content Manager bei BNP Paribas

[1] https://www.frbsf.org/economic-research/publications/economic-letter/2016/february/will-economic-recovery-die-of-old-age/
[2] http://www.nber.org/cycles/recessions.html
[3] Vgl. etwa eine Studie der Bank de France, die die Grenzen der Taylor-Regel zeigt: https://www.banque-france.fr/fileadmin/user_upload/banque_de_france/archipel/publications/bdf_bm/etudes_bdf_bm/bdf_bm_45_etu_1.pdf


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