Ein Kommentar von Maria Vassalou, Co-Chief Investment Officer, Multi-Asset Solutions
13.02.2023 | 10:12 Uhr
Zentralisiertere Wirtschaftsstrategien sowie sich wandelnde Allianzen und Handelsmuster können die Struktur der Weltwirtschaft verändern. Dadurch entsteht Disruption, möglicherweise verbessert sich aber auch die wirtschaftliche Resilienz in einigen Ländern und Regionen. Anleger erhalten Zugang zu neuen Chancen, allerdings wird ein robustes Risikomanagement in diesem Investmentumfeld für sie unerlässlich sein.
Zunehmende geopolitische Spannungen haben auch zur Deglobalisierung beigetragen
und beschleunigen die Destabilisierung der geopolitischen Ordnung. In vielen
Fällen werden sie unseren Erwartungen nach zu neuen Handelsmustern und
Allianzen führen. Wir gehen vor allem davon aus, dass die Kontrolle von
Rohstoffen jenseits der Energie eine wichtige Rolle bei der Bildung politischer
Allianzen spielen und eine wichtige Quelle wirtschaftlichen und geopolitischen
Einflusses sein wird. Der Krieg in der Ukraine hat gezeigt, dass viele der
Länder, die Russland für die Invasion seines Nachbarlandes nicht laut
kritisiert haben, beträchtliche Kontrolle über die globale Versorgung mit
wichtigen Rohstoffen ausüben. Saudi-Arabien ist wie Russland ein dominierender
Öllieferant, war aber in der Vergangenheit in der Regel ein Verbündeter der
Vereinigten Staaten. Dennoch tat sich Saudi-Arabien Ende 2022 mit Russland
zusammen, um bei der OPEC+ eine Reduzierung der Fördermengen um zwei Millionen
Barrel durchzusetzen. US-Vertreter kündigten daraufhin an, die Beziehung der
USA zu Saudi-Arabien überdenken zu wollen.
Auch China spielt eine sehr große Rolle, wenn es um wichtige Rohstoffe geht.
Das Land ist der größte Produzent der Welt von Aluminium, einem wichtigen
Rohstoff, der für die Herstellung vieler Güter von Autos bis zu iPhones
gebraucht wird. Eine Lieferunterbrechung bei Aluminium hätte Folgen für die
Lieferung von Kupfer und anderen Metallen, was zu mehr globaler Unsicherheit hinsichtlich
Inflation, Handel und Wirtschaftswachstum führen kann. China und Russland sind
zudem beide wichtige Quellen von Kupfer, Zink und Nickel – Mineralien, die für
den angestrebten Umstieg auf grüne Energie gebraucht werden. Für die Erzeugung
von Windkraft wird beispielsweise die sechsfache Menge dieser Rohstoffe als für
ein Kohlekraftwerk und die 13-fache Menge als für ein Gaskraftwerk benötigt.
Russland ist außerdem ein wichtiger Lieferant von Weizen und zusammen mit China
ein Top-Exporteur von Düngemitteln.(1)
Andere Regierungen rund um den Globus – vor allem solche in großen
Industrienationen – werden voraussichtlich versuchen, ihre Rohstoffversorgung
in Bezug auf Energiequellen, Metalle, Mineralien und Getreide zu
diversifizieren. In den USA hat die Biden-Regierung beschlossen, die
einheimische Gewinnung vieler wichtiger Mineralien auszubauen, die für grüne
Energie benötigt werden, und in die Raffinierung wichtiger Batterierohstoffe
wie Lithium, Kobalt und Nickel zu investieren.(2) Derartige Investitionen sind
zwar zu begrüßen, sie werden unserer Ansicht nach aber nicht dazu führen, dass
die Welt vollständig und schnell von fossilen Brennstoffen loskommt. Es wird
voraussichtlich noch eine Weile dauern, bis Länder in der Lage sind, grüne
Energie in ausreichenden Mengen zu speichern. Deswegen müssen sie auf absehbare
Zeit wohl einen Kompromiss zwischen fossilen Brennstoffen und alternativen
Energiequellen in Kauf nehmen. Atomkraft könnte als saubere Energieoption eine
Renaissance erleben, wenngleich die damit einhergehenden Risiken in manchen
Ländern eventuell auf Widerstand stoßen.
Auf lange Sicht wird der Trend hin zu grüner Energie voraussichtlich im
Einklang mit dem von uns bereits erörterten Thema der Dekarbonisierung
anhalten. Batteriespeicher, eine wichtige Lösung für das bei Wind- und
Solarkraft bestehende Problem der Intermittenz, werden wettbewerbsfähiger und
die Investitionen in diesem Bereich werden unseren Erwartungen nach anhalten.
Auf kürzere Sicht könnten geopolitische Entwicklungen die Energiewende
verzögern. Diese Verzögerung kann zum Teil darauf zurückgeführt werden, dass
jahrelang zu wenig in die Öl- und Gasproduktion investiert wurde, sodass die
USA und Europa keine klare und verlässliche Politik für den Umstieg von
fossilen Energieträgern auf grüne Energie hatten. Seither hat der Krieg in der
Ukraine viele Länder gezwungen, ihren Kurs zu ändern und die Energieversorgung
auf kurze Sicht ungeachtet der Energiequelle zu gewährleisten, um den akuten
Bedarf zu decken. China hat im letzten Jahr massiv in den Ausbau der
Kohleverstromung investiert, um eine Kapazität zu erreichen, die dreimal so
hoch wie im Rest der Welt zusammen ist.(3) Aufgrund dieser Entwicklungen werden
die Energiepreise auf kurze bis mittlere Sicht voraussichtlich erhöht bleiben.
Öl und andere Rohstoffe notieren in der Regel natürlich in Dollar, wodurch
zusätzlicher Druck auf die Haushalte von Ländern entsteht, deren Währungen
deutlich gegenüber dem US-Dollar abgewertet haben. Ein zunehmender Mangel an sicheren
Anlagen, die liquide genug sind, um dem globalen Bedarf gerecht zu werden,
erschwert die Lage. US-Staatsanleihen sind weiterhin die erste Anlaufstelle für
Anleger, die relative Sicherheit und Risikoreduzierung anstreben, was die
globale Nachfrage nach US-Dollar zusätzlich stützt. Gleichzeitig macht es der
aggressive geldpolitische Straffungskurs der Fed Ländern wie Argentinien und
der Türkei schwerer, die auf USD lautende Schulden in beträchtlicher Höhe zu
bedienen haben.
(Siehe Grafik eins des angehängten PDFs)
Die Dollarstärke ist auch für Industrieländer eine Herausforderung. Sollten
sich der Euro, der Yen und das britische Pfund weiter deutlich abschwächen,
müssen die Zentralbanken eventuell intervenieren und Dollar verkaufen, um
wieder Wechselkursstabilität herzustellen, was auch zur Eindämmung der
Inflation beiträgt. Japans begrenzte Interventionen im Verlauf von 2022 hatten
zuletzt nur minimale Wirkung auf eine Stabilisierung des Yen. Eine weitere
Abwertung kann die Bank of Japan (BoJ) unter Umständen dazu veranlassen, ihre
Politik der Zinskurvenkontrolle aufzugeben, besonders wenn die Inflation
deutlich über das Ziel der BoJ von zwei Prozent hinausschießt. Dies könnte zu
einem plötzlichen Ausverkauf bei US-Dollar mit möglichen Folgen für die
globalen Finanzmärkte führen.
Wenn manche oder alle dieser Risiken zum Tragen kommen, könnte die
Wahrscheinlichkeit einer Finanzkrise steigen. Weniger Liquidität im
Finanzsystem – was zum Teil auf die nach der globalen Finanzkrise eingeführten
höheren Kapitalanforderungen für Banken zurückzuführen ist – könnte die Schwere
einer Krise verschlimmern, gerade für Finanzfirmen, die außerhalb des
traditionellen Bankensystems agieren. Nachdem die britische Regierung vor
einigen Monaten Steuersenkungen ohne Gegenfinanzierung ankündigte, führte ein
sprunghafter Anstieg der Renditen britischer Gilts zu Liquiditätsproblemen bei
britischen Pensionsfonds, sodass die Bank of England (BoE) mit Anleihekäufen
notintervenieren musste, um wieder Stabilität herzustellen. Und ein rapider
Anstieg der Renditen von US-Staatsanleihen hätte angesichts der globalen Rolle
des Dollars breitere Auswirkungen.
Dies unterstreicht die Notwendigkeit des Risikomanagements, das viele Anleger
in den letzten zehn Jahren vernachlässigen konnten, weil die Zinsen und die
Volatilität niedrig und die Liquidität ausreichend waren. Man muss auch
bedenken, dass die Zinsen heute höher sind als bei Eintritt der globalen
Finanzkrise und noch weiter steigen, was bedeuten könnte, dass schon ein
geringerer weiterer Anstieg Stress verursacht.
In der Ära der niedrigen bis Nullzinsen waren in Portfolios erhebliche
Hebeleffekte erforderlich, um die angestrebten Renditen zu erzielen. Heute ist
das nicht mehr in diesem Maß nötig; selbst hochwertige Staatsanleihen bieten
zum ersten Mal seit Jahrzehnten eine attraktive Verzinsung. Das
Renditepotenzial wird unseren Erwartungen nach bei allen Anlageklassen erhöht
bleiben, während sich die Zinssätze auf einem höheren Gleichgewichtsniveau
einpendeln, sodass die Notwendigkeit, hohe Hebeleffekte einzusetzen,
zurückgeht. Wer noch über ausreichend „Dry Powder“ verfügt, kann Gelegenheiten
zum Kauf hochwertiger Anlagen zu attraktiven Bewertungen finden, wenn
überschuldete Anleger verkaufen müssen.
Anlegern, die sich anpassen und flexibel bleiben können, bieten die heutigen
Herausforderungen und Änderungen potenzielle Chancen in vielen Sektoren und
Regionen. Geopolitische Unruhe, angespanntere Finanzierungsbedingungen, eine
zentralisiertere Wirtschaftspolitik – all das wird zu stärkeren Unterschieden
zwischen Anlageklassen, Sektoren und Regionen sowie zwischen Anlagen in
Industrie- und Schwellenländern führen. Die Volatilität der breiten
Aktienindizes verschleiert beispielsweise die enorme Streuung der Ergebnisse
innerhalb eines Index, wodurch ein günstiges Umfeld für die Einzeltitelauswahl
an den öffentlichen Märkten entsteht, wenn die Volatilität nachlässt. Diese
Chancen gehen über die gewöhnlichen Kategorien von Value und Growth oder
bestimmte Branchen hinaus und bieten sich stattdessen bei Unternehmen mit
effektiver Geschäftstätigkeit und gesunden Bilanzen, ganz gleich zu welchem
Sektor oder Anlagestil sie zählen. Das Beimischen von Privatmarktallokationen
kann die Diversifikation sogar noch steigern, denn Anleger haben aufgrund der
Eigentumsstrukturen und der Konditionen von Deals in der Regel die Möglichkeit,
Einfluss auf die Geschäftsführung zu nehmen.
Wir befinden uns in schwierigen Zeiten für die Märkte. Aber die tektonischen
Bewegungen, die die Gestalt und Struktur der Weltwirtschaft verändern, schaffen
auch eine neue und lebendige Investmentlandschaft. Angesichts der
Neueinpreisung von Risiken haben vorsichtige und gut informierte Anleger
unserer Ansicht nach einzigartige Möglichkeiten, ihre Portfolios neu
aufzustellen und neue Chancen zu nutzen.
Quellen
(1) US Department of the Interior, Absolute Strategy Research, Vereinte
Nationen
(2) Das Weiße Haus, FACT SHEET: Securing a Made in America Supply Chain for
Critical Minerals (Sicherung einer Made-in-America-Lieferkette für kritische
Mineralien). Stand: 22. Februar 2022.
(3) Reuters, China starts building 33 GW of coal power in 2021, most since 2016
(China beginnt 2021 mit dem Bau von Kohlekraftwerken mit 33 GW Leistung, so
viel wie seit 2016 nicht mehr) – Research. Stand: 23. Februar 2022.
Glossar
Risikoanlagen sind mit einem hohen Maß an Risiko und Volatilität behaftete
Anlagen, wie etwa Aktien, Hochzinsanleihen, Rohstoffe und Währungen.
„Dry Powder“ bezieht sich auf marktgängige Wertpapiere, die hochliquide sind
und als bargeldnah gelten.
„BIP“ steht für Bruttoinlandsprodukt.
„Grüne Energie“ umfasst Energiearten, die aus natürlichen Ressourcen wie
Sonnenlicht, Wind oder Wasser erzeugt werden.
„Laissez-Faire-Kapitalismus“ ist eine Wirtschaftsphilosophie der freien
Marktwirtschaft, die staatliche Eingriffe ablehnt.
„OPEC“ steht für die Organisation erdölexportierender Länder (Organization of
the Petroleum Exporting Countries).
„Kaufkraftparität (KKP)“ ist eine Methode, um die Währungen verschiedener
Länder anhand eines Warenkorbansatzes zu vergleichen.
Risikoerwägungen
Anlagen sind mit gewissen Risiken verbunden, wozu auch Kapitalverluste zählen.
Aktien sind volatiler als Anleihen und bergen höhere Risiken.
Anleihen sind Zins-, Kurs- und Kreditrisiken ausgesetzt. Die Anleihekurse
bewegen sich in der Regel entgegengesetzt zu den Zinssätzen. Steigen die
Zinssätze, verlieren Anleihen normalerweise entsprechend an Marktwert.
Anlagen in ausländischen Wertpapieren sind mit besonderen Risiken verbunden,
wie zum Beispiel Währungs-, politischen, wirtschaftlichen und
Marktpreisrisiken. In Schwellenländern sind diese Risiken erhöht.
Investments in Rohstoffen können von allgemeinen Marktbewegungen, Volatilität
von Rohstoffindizes, Zinssatzänderungen oder Faktoren betroffen sein, die sich
auf eine bestimmte Branche oder einen bestimmten Rohstoff auswirken.
Private-Equity-Anlagen sind spekulativ und extrem illiquide, bergen hohe
Risiken, sind mit hohen Vergütungen und Kosten verbunden, durch die sich die Renditen
reduzieren können, und können mit einem Teil- oder Totalverlust des angelegten
Kapitals einhergehen. Sie sind daher nur für erfahrene und langfristig
orientierte Anleger geeignet, die diese Risiken in Kauf nehmen können.
Hedgefonds und andere private Investmentfonds (zusammen als „alternative
Investmentfonds“ bezeichnet) sind weniger stark reguliert als andere Arten von
gepoolten Anlageinstrumenten, wie etwa offene Investmentfonds. Alternative
Investmentfonds können Vergütungen in erheblicher Höhe unter anderem in Form
von erfolgsabhängigen Vergütungen verlangen, die auf einem Prozentsatz der
realisierten und nicht realisierten Gewinne basieren, und die Nettorendite
eines Anlegers kann sich erheblich von der tatsächlich erzielten Rendite
unterscheiden. Die Handelsgewinne eines solchen alternativen Investmentfonds
können durch solche Vergütungen ganz oder zu großen Teilen negiert werden.
Alternative Investmentfonds sind nicht verpflichtet, regelmäßige Kurs- oder
Bewertungsinformationen bereitzustellen. Anleger haben in Bezug auf ihre
Investments unter Umständen nur eingeschränkte Rechte, wie etwa begrenzte
Stimmrechte und begrenzte Mitbestimmung bei der Verwaltung dieses alternativen
Investmentfonds.
Alternative Investmentfonds setzen häufig Hebeleffekte und andere
Anlagepraktiken ein, die äußerst spekulativ und mit hohen Risiken verbunden
sind. Diese Methoden können die Volatilität der Wertentwicklung und das Risiko
eines Anlageverlusts – bis hin zum Verlust des gesamten Anlagebetrags –
erhöhen. Es kann im Hinblick auf alternative Investmentfonds und deren
Dienstleistungserbringer, zu denen auch Goldman Sachs und seine verbundenen
Unternehmen gehören, Interessenkonflikte geben. Zudem sind Anteile an
alternativen Investmentfonds in hohem Maße illiquide und können normalerweise
nicht ohne Genehmigung des Betreibers übertragen werden. Ferner werden
Übertragungen durch geltendes Wertpapier- und Steuerrecht begrenzt.
Hochverzinsliche Wertpapiere mit niedrigerem Rating sind mit größeren
Kursschwankungen und höheren Kreditrisiken verbunden als Rentenwerte mit
höherem Rating.
Am Devisenmarkt können Anleger erhebliche Hebeleffekte nutzen. Dieser
Hebeleffekt bietet die Chance auf erhebliche Gewinne, birgt aber auch ein hohes
Risiko, weil es zu erheblichen Verlusten kommen kann. Solche Transaktionen
gelten nur für Anleger als geeignet, die diesbezüglich entsprechende Erfahrung
besitzen. Wechselkursschwankungen wirken sich auch auf den Wert von
Kapitalanlagen aus.
Diversifikation bewahrt einen Anleger nicht vor Marktpreisrisiken und bietet
keine Garantie, dass ein Gewinn erzielt wird.
Allgemeine Hinweise
Die hier geäußerten Auffassungen entsprechen dem Stand vom 13. Dezember 2022
und können sich in Zukunft ändern. Die Einschätzungen, Meinungen und/oder
Anlageentscheidungen einzelner Portfoliomanagement-Teams von Goldman Sachs
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Informationszwecken und stellen keine Empfehlung von Goldman Sachs Asset
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von Annahmen aufgestellt und können erheblich revidiert beziehungsweise
grundlegend verändert werden, wenn sich die Rahmenbedingungen in der Wirtschaft
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Datum der erstmaligen Verwendung: 15. Dezember 2022 299506-OTU-1707632
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