EdR AM: Bis klare Fakten vorliegen, bleibt die Unsicherheit hoch

Benjamin Melman, Global CIO Asset Management
Kommentar

Die Lage an den Finanzmärkten ist noch immer so unklar, dass wir gegenwärtig keine wesentlichen Allokationsentscheidungen treffen.

08.04.2020 | 08:50 Uhr

Von Benjamin Melman, Global CIO Asset Management

Was sich jedoch verändert hat, sind die faktischen Unsicherheiten: Mitte März wurden die Märkte schwer erschüttert, wobei Staatsanleihen bei geringer Liquidität stark unter Druck gerieten und die Renditen langlaufender Zinspapiere in die Höhe schossen. Doch inzwischen normalisiert sich die Situation bei den wichtigsten Staatsanleihen, und die Liquidität bei Investment-Grade-Papieren verbessert sich allmählich.

In den vergangenen Tagen haben einige Emittenten in den USA und Europa dieses Momentum dazu nutzen können, den Markt wieder als Finanzierungsquelle zu erschließen. Dies ist aus unserer Sicht eine positive Entwicklung in einem wichtigen Marktsegment, die wesentlich von den Maßnahmen der Zentralbanken unterstützt wurde. Die Liquidität innerhalb der Schwellenländer sowie bei hochverzinslichen Anleihen ist jedoch nach wie vor gering, auch wenn beide Segmente von der allgemeinen Normalisierung profitieren.

Die Ankündigungen der Zentralbanken, „was auch immer nötig ist” zu unternehmen, haben in Kombination mit den umfangreichen staatlichen Konjunkturprogrammen in den USA und in Europa die Märkte beruhigt. Die USA beispielsweise haben ihr größtes Stimulus-Paket aller Zeiten aufgelegt und denken bereits darüber nach, ein weiteres zu verabschieden. Die Entschlossenheit der Währungs- und Fiskalpolitik, eine beispiellose Krise zu bewältigen, hat zweifellos die Sichtbarkeit an den Finanzmärkten verbessert.

Höhepunkt und Kosten der Pandemie bleiben ungewiss

Noch immer lässt sich nicht verlässlich abschätzen, wie viel diese Pandemie letztendlich kosten wird. Aktuell konzentrieren sich die Investoren auf die Frage, wann sie ihren Höhepunkt erreichen könnte. Obwohl es einige ermutigende Anzeichen in Europa gibt, müssen wir vorsichtig bleiben. Dennoch zeichnet sich allmählich ein genaueres Bild ab. Einige Versicherungsgesellschaften denken jetzt, dass wir in den kommenden Wochen den Höhepunkt erleben könnten. Solche Meinungen helfen den Marktteilnehmern dabei, Prognosen über die Sperrzeit hinaus zu erstellen.

Zudem gibt es einige, zugegebenermaßen ungenaue Schätzungen der exorbitanten Kosten einer teilweisen Stilllegung der Wirtschaft. Das französische Nationale Institut für Statistik und Wirtschaftsstudien Insee geht davon aus, dass die Wirtschaft auf einem Niveau von 65 Prozent ihrer normalen Aktivität operiert. Das entspricht einer Einbuße von einem Punkt des Bruttoinlandsprodukts für jeden Monat, den diese Situation andauert. In Italien, wo die Abschaltung des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens stärker ausgeprägt ist, könnte der Schaden sogar doppelt so groß sein.

Obwohl die Konjunkturprogramme der Regierungen zwar eine große Unterstützung bieten, werden sie voraussichtlich eine verlängerte Stilllegungszeit nicht ausgleichen können. Die in Italien gewählten Maßnahmen könnten eine Rezession ausgleichen, die aus einer rund fünfwöchigen Stilllegung der Wirtschaft resultierte. Das Problem ist jedoch, dass der Lockdown voraussichtlich mindestens acht Wochen andauern dürfte.

Aktivität kehrt allmählich zurück

Wie in China wird die Normalität auch in den westlichen Volkswirtschaften nach der Stilllegungsphase nur allmählich zurückkehren. Dieser Prozess könnte zwei oder mehr Quartale an Zeit beanspruchen. Die Konjunktur wird sicherlich wieder anziehen, aber der Aufholprozess könnte durch eine Verlängerung der Maßnahmen zur sozialen Distanzierung gebremst werden. Hinzu kommt: Es ist erstens nicht abzusehen, wie schnell die Grenzen wieder geöffnet werden, und zweitens bleibt es vollkommen unklar, ob das Virus im Herbst nicht wieder zurückkehrt. Die Explosion der Staatsdefizite wird nach der Krise bewältigt werden müssen.

Trotz der Rückkehr der Zentralbanken zur quantitativen Lockerung erwarten wir keinen Anstieg der Inflation. Noch vor einigen Wochen sahen wir keine inflationären Anzeichen, obwohl die Produktslücken, die die Spanne zwischen dem tatsächlichen Bruttoinlandsprodukt (BIP) und dem potenziellen BIP bei Vollbeschäftigung und maximalen Produktionskapazitäten darstellen, in den wichtigsten Volkswirtschaften (Europa, USA, Japan) im positiven Bereich lagen. Daher ist es schwierig zu argumentieren, dass die Inflation wieder anziehen sollte, wenn die Produktionslücken inzwischen deutlich negativ sind und gleichzeitig die Arbeitslosenzahlen merklich zugenommen haben. Auf jeden Fall helfen Zentralbanken den Regierungen bei der Kreditaufnahme, aber sie monetarisieren diese Schulden nicht.

Jeder Tag, der vergeht, bedeutet für die Zukunft einen Tag weniger Krise. Dies hilft uns, Prognosen zu erstellen, auch wenn die Volatilität nach wie vor hoch ist. Wir brauchen noch mehr klare Fakten, bevor wir genauere Entscheidungen über die Anlageallokation treffen können. Daher bleiben wir in Bezug auf die Gewichtung von Aktien neutral. Zwar sind die Bewertungen der Papiere aktuell auf ein interessantes Niveau zurückgegangen und die Börse profitiert von der expansiven Geld- und Fiskalpolitik. Trotzdem ist es unserer Ansicht nach jetzt noch zu früh, um eine Übergewichtung vorzunehmen.

Bei Unternehmensanleihen sind wir leicht untergewichtet. Und bei Staatsanleihen haben wir unsere Übergewichtung beendet und sind auf neutral zurückgekehrt, nachdem die Renditen am langen Ende der Zinsstrukturkurve so deutlich gefallen sind. Zudem steigen wir wieder in europäische und US-amerikanische Investment-Grade-Anleihen ein. Ihre Renditen sind höher als diejenigen von Staatsanleihen und die Maßnahmen der Zentralbanken bieten einen erheblichen Schutz.

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