Angesichts der Märkte, die einen Anstieg der Zinsen und eine veränderte fiskalpolitische Rhetorik verdauen, haben wir uns mit Olga Bitel, Partnerin und Strategin in unserem globalen Aktienteam, zusammengesetzt, um ihre Einschätzung der globalen Wirtschaft zu überprüfen.
21.05.2025 | 11:31 Uhr
In diesem weitreichenden Gespräch gibt Olga eine ehrliche Einschätzung der Wachstumsaussichten für die Vereinigten Staaten, Europa und die Schwellenländer (EMs) und erklärt, warum die Weltwirtschaft möglicherweise auf eine „Durststrecke“ zusteuert – eine Phase, in der die Belastungen durch Zölle zum Tragen kommen, bevor mögliche politische Gegenmaßnahmen wie Steuersenkungen oder Deregulierungen Zeit haben, zu wirken. Die kommenden Monate, so argumentiert sie, werden die Widerstandsfähigkeit des Aufschwungs nach der Pandemie auf die Probe stellen.
Im vergangenen Herbst haben Sie darüber gesprochen, dass die Vereinigten Staaten und ein Großteil der Welt in der ersten Hälfte des Jahres 2022 eine sanfte wirtschaftliche Landung geschafft haben und dass sich die US-Wirtschaft seitdem in einer Expansionsphase befindet. Wurde diese Expansion durch die Handelsspannungen zunichte gemacht?
Olga: Die Wirtschaftspolitik der aktuellen Regierung – insbesondere im Bereich Handel – scheint das Verhältnis zwischen Wachstum und Inflation zu verschlechtern. Mit anderen Worten: Das Wachstum des US-Bruttoinlandsprodukts (BIP) dürfte sich bis Ende dieses Jahres deutlich verlangsamen, während die Inflation volatiler wird und möglicherweise steigt. Infolgedessen hat sich das Verhältnis zwischen Wachstum und Inflation verschlechtert.
Was erwarten Sie für das zweite Quartal?
Olga: Um diese Frage zu beantworten, ist es hilfreich, zunächst einen Blick auf die tatsächlichen Entwicklungen im ersten Quartal zu werfen. Die private Binnennachfrage hat sich recht gut gehalten. Der Konsum trug 1,2 % zum BIP-Wachstum bei, die Investitionen weitere 1,3 %, sodass das Wachstum der privaten Binnennachfrage insgesamt 2,5 % erreichte. Dies entspricht nur einer leichten Verlangsamung gegenüber den vorangegangenen drei Quartalen (allerdings sind saisonale Anpassungen in den Vereinigten Staaten seit Jahren problematisch, sodass die Daten für das erste Quartal saisonbereinigt tendenziell schwach ausfallen).
Was das erste Quartal diesmal anders machte, war die Belastung durch die Lagerbestände, die das Wachstum der privaten Binnennachfrage im Wesentlichen vollständig ausglich. Die entscheidende Frage lautet: Was hat den Anstieg der Lagerbestände verursacht?
Viele haben behauptet, dass Unternehmen vor den erwarteten Zöllen Waren vorzeitig gekauft haben, aber es gibt kaum Anzeichen für eine breit angelegte Bevorratung. Konkret waren zwei Faktoren für den Lageraufbau verantwortlich.
Erstens gab es einen deutlichen Anstieg der Goldimporte. Unabhängig davon, ob dies von der Regierung angeordnet war oder mit finanziellen Absicherungsgeschäften zusammenhing, stand dies nicht im Zusammenhang mit produktiver Wirtschaftstätigkeit.
Zweitens scheinen die Hersteller die Überprüfungen gemäß Section 232 zu antizipieren, die sich wahrscheinlich auf Halbleiter, Autos, Medikamente und möglicherweise Stahl auswirken werden, und reagierten darauf mit einem Aufbau von Lagerbeständen. Rund 40 % des Lagerbestandsaufbaus entfiel auf die Bevorratung von Arzneimitteln. Darüber hinaus gab es einen kleinen, volatilen Anstieg bei den Kfz-Zulassungen und einigen Anschaffungen von computerbezogener Ausrüstung (hauptsächlich im Zusammenhang mit dem Ausbau von Rechenzentren).
Fazit: Die Binnennachfrage war im ersten Quartal gesund, und etwaige Schwächen in den Schlagzeilen waren auf unproduktive Lagerbestandsverzerrungen zurückzuführen.
Ich gehe davon aus, dass die Auswirkungen der Zölle zwischen Ende Mai und Anfang Juli spürbar werden.
Angesichts der Lieferzeiten von 45 bis 60 Tagen vom Hafen bis zum Verbraucher und der Tatsache, dass einige Schiffe mit Ziel USA Anfang April verspätet waren oder liegen blieben, rechne ich damit, dass die Auswirkungen der Zölle zwischen Ende Mai und Anfang Juli spürbar werden. Dies wird wahrscheinlich zu Preisschwankungen führen, selbst wenn keine neuen Zölle eingeführt werden. Außerdem besteht Unsicherheit hinsichtlich der De-minimis-Ausnahme, die den Versand kleiner Pakete weiter stören und die Preise erhöhen könnte.
Wir treten also in eine Phase ein, in der sich das BIP-Wachstum verlangsamen und die Inflationsschwankungen zunehmen könnten. Ich gehe davon aus, dass sich in diesem Quartal erste Anzeichen für eine Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Wachstum und Inflation zeigen werden.
Nach dem anfänglichen Anstieg Anfang April haben sich die Märkte stabilisiert. Wie würden Sie die aktuelle Lage beschreiben? Befinden wir uns in einer Luftblase?
Olga: Wir befinden uns noch nicht in einer Luftblase, aber wir bewegen uns darauf zu. Mit „Luftblase“ ist die Lücke zwischen den negativen wirtschaftlichen Auswirkungen der Zölle und den potenziellen Impulsen durch Steuersenkungen oder Deregulierung gemeint, sofern diese tatsächlich umgesetzt werden.
Die Störungen durch die Zölle sind bereits zu spüren. Auch wenn wir nicht wissen, wie die Politik letztendlich aussehen wird, wirkt sich allein schon die Unsicherheit auf die Lieferketten und die Preisgestaltung aus. Unterdessen werden fiskalische Ausgleichsmaßnahmen – wie Steuersenkungen – wahrscheinlich erst im Spätsommer oder Frühherbst beschlossen werden. Bis dahin wird der größte Teil des Jahres bereits hinter uns liegen. Was die Deregulierung angeht, ist der Zeitplan noch ungewisser, und es würde einige Zeit dauern, bis sich etwaige Auswirkungen bemerkbar machen würden.
Derzeit befinden wir uns also eher in einer Art Vorstufe zur Luftblase: Die Störungen haben begonnen, aber die politische Unterstützung ist noch nicht da.
Wie hat die jüngste vorläufige Einigung mit China Ihre Einschätzung verändert – und was halten Sie vom starken Wachstum Chinas im ersten Quartal?
Olga: Die USA haben effektiv nachgegeben. Sie haben fast alle Vorbedingungen Chinas akzeptiert, nur um Gespräche aufzunehmen – und diese Gespräche werden zu Chinas Bedingungen stattfinden. Die Schlagzeilen sprechen zwar von einem „Zwischenabkommen“, aber tatsächlich signalisiert es eine umfassendere Veränderung: Die USA rücken von ihrer aggressiven Haltung ab, wahrscheinlich weil sie erkennen, dass sie keine bedeutenden Zugeständnisse erreichen werden. Die Märkte haben aufgrund dieser Entwicklung zugelegt. Derzeit geht man davon aus, dass die Regierung ihre Zollandrohungen zurücknehmen wird, wenn sie keine Vorteile sieht. Diese veränderte Haltung hat die Märkte beflügelt.
Ist das jüngste Handelsabkommen der USA mit dem Vereinigten Königreich ein Vorbote für künftige bilaterale Abkommen?
Olga: Nicht wirklich. Das, was zwischen den Vereinigten Staaten und dem Vereinigten Königreich vereinbart wurde, als „Handelsabkommen“ zu bezeichnen, ist weit hergeholt. Es handelt sich nicht um ein umfassendes, rechtsverbindliches Dokument mit klaren Regeln und Durchsetzungsmechanismen, sondern um eine Reihe von Ausnahmeregelungen zum bestehenden Rahmenwerk. Selbst diese Ausnahmeregelungen werden mindestens ein Jahr bis zur endgültigen Fertigstellung benötigen, sodass die Unternehmen in der Zwischenzeit in der Schwebe bleiben. Und wenn dies erforderlich ist, um eine bestehende Struktur mit einem engen Verbündeten zu überarbeiten, kann man sich vorstellen, wie schwierig es sein wird, gleichzeitig bilaterale Abkommen mit Dutzenden von Ländern auszuhandeln.
Wenn Sie nach einem Hinweis darauf suchen, wohin sich der globale Handel entwickeln könnte, ist das Abkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und Indien der bessere Indikator.
Vergleichen Sie dies mit den anderen Ereignissen derselben Woche: Das Vereinigte Königreich hat ein umfassendes Handelsabkommen mit Indien unterzeichnet. Die Verhandlungen dauerten drei Jahre und umfassen Waren und Dienstleistungen. Zwar sind die Handelsströme zwischen dem Vereinigten Königreich und Indien derzeit noch gering, doch die eigentliche Bedeutung liegt darin, dass Indien – eine der am stärksten protektionistischen Volkswirtschaften der Welt – seine Handelsbarrieren abbaut.
Indien beschleunigt auch die Handelsgespräche mit der Europäischen Union (EU), was auf eine umfassendere Veränderung hindeutet. Wenn dieser Kurs beibehalten wird, könnte Indien bis zum Ende des Jahrzehnts weitaus offener für den globalen Handel sein.
Wenn Sie also nach Anzeichen dafür suchen, wohin sich der globale Handel entwickeln könnte, ist das Abkommen zwischen Großbritannien und Indien – und nicht das zwischen den USA und Großbritannien – der bessere Indikator.
Optimistische Prognosen für die Wirtschaft unter Trump basierten oft auf Hoffnungen auf Deregulierung und Steuerpolitik. Sind diese Prognosen angesichts der bisherigen Entwicklungen realistisch?
Olga: Das ist schwer zu sagen, da noch nichts konkret beschlossen wurde. Der am häufigsten diskutierte Steuervorschlag ist die vollständige Abschreibung von Ausrüstung, Fabrikgebäuden und Anlagen – eine Maßnahme, die Kapitalinvestitionen ankurbeln soll. Es werden auch populistischere Elemente in Betracht gezogen, wie die Abschaffung der Steuern auf Trinkgelder und Überstunden. Diese würden jedoch wahrscheinlich nur vorübergehend gelten. Möglicherweise gibt es auch mildere Steuererleichterungen, beispielsweise für Autokredite für in den USA hergestellte Fahrzeuge. Bis etwas gesetzlich verabschiedet ist, handelt es sich jedoch um reine Spekulation.
Glauben Sie, dass diese Kombination zu Wirtschaftswachstum führen wird?
Olga: Nein. Wenn das Ziel darin besteht, langfristiges Wirtschaftswachstum anzukurbeln, greift dieser Ansatz zu kurz. Er könnte zwar kurzfristig das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte erhöhen und den Konsum vorübergehend ankurbeln, was im Wesentlichen einen milden Ausgleich für die Kaufkraftverluste durch die Zölle darstellen würde. Diese Effekte sind jedoch nur von kurzer Dauer. Gleichzeitig würde das Paket die Haushaltsdefizite erheblich erhöhen, ohne die Produktivität oder die Investitionsanreize nennenswert zu verbessern. Es könnte also zwar zu einem kurzfristigen Nachfrageschub kommen, aber das schafft keine Grundlage für ein dauerhaftes Wachstum auf der Angebotsseite.
Wie sehen die Aussichten für die Schwellenländer aus? Sind sie beispielsweise aus Sicht der Zölle etwas abgeschirmt?
Olga: Nicht wirklich. Ein pauschaler Basiszoll von 10 % ist die Untergrenze, nicht die Ausnahme. Es gibt keine Sonderregelungen für Schwellenländer. Länder wie Costa Rica oder Madagaskar, die keinen Einfluss haben und keine wichtigen Handelspartner in politisch sensiblen Sektoren sind, sind einfach ungeschützt. Wer nicht produziert, was die USA wollen, oder keine Vergeltungsmaßnahmen ergreifen kann, hat keinen Schutz.
Wenn es überhaupt einen relativen „Schutzschild“ gibt, dann käme er von einem möglichen Abwärtsdruck auf den US-Dollar, der die Auslandsverschuldung verringern oder die Exporte der Schwellenländer wettbewerbsfähiger machen könnte.
Allgemein gesagt geht es bei der Reaktion auf Zölle darum, wer genügend Binnennachfrage generieren kann, um den Schlag abzufedern. Ein stärkeres Konsumwachstum in China oder höhere Investitionen in der EU sind die relevantesten makroökonomischen Ausgleichsfaktoren.
Sie haben kürzlich auf die transformativen Veränderungen in Europa hingewiesen und darauf, dass sich das Wachstum dort beschleunigt, was Europa kurzfristig zu einem attraktiven Investitionsziel macht. Was ist der wichtigste Grund für Vorsicht in Bezug auf Europa?
Olga: Der größte Grund zur Vorsicht ist die Regierungsführung. Man hat es mit mehr als 20 Ländern zu tun, die sich demokratisch auf Ausgabenprioritäten einigen müssen. Das ist nicht gerade eine Formel für Schnelligkeit oder Effizienz.
Allerdings ist die jüngste Kehrtwende in Deutschland vielsagend. Ein Land, das sich lange gegen fiskalische Ausgaben gewehrt hat, stellt plötzlich 500 Milliarden Euro – und wahrscheinlich noch mehr – bereit. Das zeugt von einer Dringlichkeit, die nicht ignoriert werden sollte.
Strukturell gesehen neigt Europa (und in geringerem Maße auch Japan) jedoch zu langsamen Veränderungen. Entscheidungen brauchen Zeit. Die Richtung der Veränderungen ist zwar ermutigend, aber das Tempo und die Koordinationsrisiken bleiben erheblich.
Olga Bitel, Partnerin, ist globale Strategin im globalen Aktienteam von William Blair.
Diesen Beitrag teilen: