
Aggressive Liability Management Exercises (LMEs) gewinnen für hochverschuldete Unternehmen und deren Eigentümer stark an Bedeutung - und werden gleichzeitig für viele Anleiheinvestoren zum erhöhten Risiko.
16.12.2025 | 10:15 Uhr
Neue rechtliche Verfahren und kreative Finanzierungswege, oft inspiriert vom US-Markt, führen zu tiefgreifenden Veränderungen bei Anleihebedingungen und Sicherheiten. Für Investoren bedeutet das grundsätzlich erhöhte Risiken, die eine genaue Analyse und schnelles Handeln erfordern, aber eben auch Chancen auf attraktive Renditen.
In der Vergangenheit hat beispielsweise ein europäisches Internet- und Telekommunikationsunternehmen mit hoher Verschuldung eine umfassende Liability Management Exercise (LME) durchgeführt. Für bestimmte Anleiheinvestoren bedeutete dies spürbare Eingriffe in bestehende Strukturen – etwa in Form von verlängerter Laufzeit, veränderten Konditionen oder einer nachteiligen Behandlung einzelner Gläubigergruppen. Dieses Beispiel zeigt, wie schnell sich Risiken für High-Yield-Investoren materialisieren können und warum es sich lohnt, genauer hinzuschauen: Was genau sind LMEs – und weshalb gewinnen sie gerade jetzt an Bedeutung?
Was sind LMEs und was zählt als „aggressive“ LME?
Liability Management Exercises (kurz: LMEs) sind außergerichtliche Maßnahmen
zur Anpassung der Kapitalstruktur von Unternehmen, die in
Refinanzierungsschwierigkeiten geraten können oder bereits geraten sind. Mit
ihnen können hochverschuldete Emittenten Liquidität beschaffen, Fälligkeiten
strecken, Covenants umgehen oder die Rangfolge ihrer Verbindlichkeiten neu
ordnen. Das Instrument ist nicht neu, jedoch gewinnt die Bandbreite kreativer
Strukturen momentan deutlich an Dynamik.
„Aggressiv“ werden LMEs dann, wenn die Transaktion nicht‑pro‑rata wirkt und gezielt Teilnehmer bevorzugt und Nichtteilnehmer benachteiligt werden. In der Praxis wird hier von „creditor‑on‑creditor violence“ gesprochen.
Warum LMEs gerade jetzt an Dynamik gewinnen: drei
strukturelle Treiber
LMEs beschäftigen den Markt aktuell stark, doch neu sind sie keineswegs. Was
neu ist, ist die Aggressivität. Warum aber sind sie gerade so dominant?
Die USA legen vor, Europa zieht nach
Die USA verzeichneten bereits 2023 eine Welle aggressiver LMEs. Dort haben
spezialisierte Anwaltskanzleien damit begonnen, die Spielräume dieser
Anleihedokumentation gezielt für Unternehmen, deren Eigentümer oder bestimmte
Bondholder auszunutzen. Einige haben dabei sehr aggressive Konstruktionen
gewählt: Werthaltige Vermögenswerte, wie etwa profitable Tochtergesellschaften
oder wichtige Markenrechte, wurden aus der ursprünglichen Anleihestruktur
herausgelöst und in neue Vehikel übertragen. Auf diese neuen Gesellschaften
wurde dann eine frische, oftmals besicherte Anleihe aufgelegt. Das hat bereits
zu zahlreichen Konflikten geführt, teils mit dem Ergebnis, dass ganze
Bondholder-Gruppen verdrängt oder „nahezu enteignet“ wurden.
Besonders bekannt wurde der Fall eines Schweizer Automatenbetreibers, der ein LME-Modell nach US-Vorbild einsetzte. Beispiele wie dieses zeigen, dass auch europäische Emittenten zunehmend den Trend aus den USA adaptieren, obwohl rechtliche und kulturelle Unterschiede bestehen. Beispielsweise sind LMEs in Europa oft komplexer, da die Gläubigerstrukturen fragmentierter sind und lokale Rechtsrahmen zusätzliche Hürden schaffen. Dennoch nutzen Eigentümer aggressive Strukturen, um Eigenkapitalwerte zu schützen.
Die gängigsten aggressiven LME-Strukturen mit Beispielen
aus Europa:
Uptiering (Priming / Pari-Plus): Beim Uptiering führt der
Emittent neue, ranghöhere („super‑senior“) Kredite ein und stellt damit
ökonomisch bestehende gleichrangige Gläubiger schlechter. Teilnehmende
Gläubiger erhalten bessere Sicherheiten und Konditionen, während
Nichtteilnehmer faktisch nachrangig werden. In Europa war diese Technik lange
seltener als in den USA, gewinnt aber seit 2024/25 sichtbar an Bedeutung. Als
Beispiel für eine derartige europäische Strukturierung wird häufig ein
europäischer Dessous-Konzern genannt, bei der selektive Teilnahme und neu
priorisierte Sicherheiten den Ausschlag gaben. Zudem hat der bereits genannte
Schweizer Automatenbetreiber 2025 eine besonders aggressive LME vollzogen, das
Uptier‑Elemente mit weiteren Bausteinen kombinierte und in New York sogar
kartellrechtliche Klagen ausgelöst hat.
Asset Drop-Down (J. Crew-Style): Beim Drop‑Down werden werthaltige Vermögenswerte aus dem Kreis der Besicherung in unbesicherte Tochtergesellschaften übertragen und dienen dort als Sicherheit für neue Finanzierungen. Dadurch wird das ursprüngliche Sicherheitenpaket aus Sicht der Altgläubiger schwächer, während bestimmte Investoren exklusiven Zugriff auf hochwertige Sicherheiten erhalten. In Europa gilt ein großer französischer Telekommunikationsanbieter als prominentes Beispiel: Der Konzern nutzte Asset‑Transfers, band gleichzeitig Gläubiger durch Kooperationsabkommen zusammen und erreichte später eine einvernehmliche Schuldenreduktion mit Laufzeitverlängerungen gegen Eigenkapital‑Zugeständnisse.
Double-Dip / Double Lien: Bei Double‑Dip‑Strukturen werden über unternehmensübergreifende Darlehen und Garantieketten doppelte Ansprüche auf denselben Sicherheiten-Pool konstruiert. Neue Gläubiger partizipieren gleich zweifach an Cashflows und Assets. In Europa ist der Einsatz bislang punktuell, doch das Instrument gewinnt an Relevanz bei grenzüberschreitenden Kapitalstrukturen mit mehreren Rechtsordnungen.
Extend-& -Exchange (nicht-pro-rata): Bei Extend‑&‑Exchange werden bestehende Schuldtitel selektiv gegen neue mit längeren Laufzeiten und angepassten Covenants/Sicherheiten getauscht. Diese werden allerdings nur einem exklusiven Kreis an Investoren angeboten.
Welche Risiken LME-Strukturen für Gläubiger bergen
Aggressive LMEs bergen für Anleiheinvestoren eine Reihe von Risiken, die weit
über die unmittelbare Transaktionsstruktur hinausgehen. Das erste und wohl
gravierendste Risiko ist die Rang- und Sicherheitenverwässerung. Bestehende
Gläubiger können plötzlich nachrangig gestellt werden, während neue
Finanzierungen bevorzugt werden. Dies führt zu einer erheblichen Schwächung der
Sicherheitenbasis und kann die erwarteten Rückzahlungswerte drastisch
reduzieren. Für Investoren, die nicht aktiv teilnehmen, bedeutet dies eine
signifikante Verschlechterung ihrer Position im Insolvenzfall. Ein weiteres
zentrales Risiko sind „Mark-to-Market-Schocks.“
Die Ankündigung einer aggressiven LME löst häufig sofortige Kursverluste bei bestehenden Schuldtiteln aus. Diese Preisreaktionen spiegeln die veränderte Risikostruktur wider und können zu erheblichen Bewertungsverlusten in Portfolios führen. Für Portfolio- und Fondsmanager bedeutet das eine erhöhte Volatilität und potenziell negative Auswirkungen auf die Performance, insbesondere, wenn Positionen nicht schnell angepasst werden können.
Ein weiterer Faktor ist die Dokumentationskomplexität. Aggressive LMEs greifen oft auf vertragliche Schlupflöcher in Kreditverträgen zurück, wodurch die Risikoanalyse für Investoren erheblich anspruchsvoller wird. Fehlinterpretationen oder mangelnde Transparenz können dazu führen, dass Risiken unterschätzt werden und strategische Entscheidungen auf unvollständigen Informationen basieren. Die Fähigkeit, Dokumentationen präzise zu prüfen und rechtliche Implikationen zu verstehen, wird damit zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor.
Ein strukturelles Problem ist das Selektionsrisiko und die Fragmentierung der Gläubigergruppen. Aggressive LMEs begünstigen häufig eine Spaltung in Teilnehmer und Nichtteilnehmer. Dieses „Prisoner’s Dilemma“ kann dazu führen, dass einzelne Investoren taktisch benachteiligt werden, wenn sie nicht rechtzeitig handeln oder überhaupt handeln können.
Darüber hinaus besteht ein erhebliches operatives Risiko. LMEs sind primär finanzielle Maßnahmen, die Zeit verschaffen sollen. Sie lösen jedoch keine fundamentalen operativen Probleme des Unternehmens. Wenn die zugrunde liegende Geschäftsentwicklung schwach bleibt, drohen trotz LME weitere Restrukturierungen oder Insolvenzen, was die langfristige Werthaltigkeit der Investition gefährdet. Investoren müssen daher nicht nur die Struktur, sondern auch die operative Sanierungsfähigkeit des Emittenten kritisch bewerten.
Doch LMEs bergen nicht nur Risiken, sondern auch
selektive Chancen
Grundsätzlich entstehen durch (aggressive) LMEs nicht nur Risiken, sondern auch
Chancen. So eröffnen sie attraktive Renditechancen für Investoren, die aktiv
und dokumentationssicher agieren. Ein typisches Beispiel hierfür ist die
Senioritäts-Arbitrage: Die Investitionen in neue Anleihen aus einer aggressiven
LME-Transaktion kann eine ranghöhere Stellung, oft mit starker Besicherung
verschaffen. Dadurch entsteht ein asymmetrisches Risiko‑Rendite‑Profil, das
Altpositionen deutlich überlegen sein kann.
Zudem können LMEs eine Brücke zu einem operativen Turnaround bilden. Sie verlängern die finanzielle Laufzeit des Unternehmens, stabilisieren Investitionen und entlasten das Working Capital. Richtig eingesetzte LMEs können somit ein strukturierter Hebel sein, um Werte neu zu ordnen und Investitionen abzusichern.
Ausblick: Welche Entwicklungen bei LMEs absehbar sind und
was das für Investoren bedeutet
In den kommenden 12 bis 24 Monaten dürfte die LME-Aktivität hoch bleiben. Auch
das aktuelle Zinsninveau wird voraussichtlich anhalten und den
Refinanzierungsdruck für Eigentümer weiter erhöhen. Somit entsteht ein Umfeld,
das außergerichtliche Lösungen begünstigt. Für High-Yield-Investoren bedeutet
dies, sich intensiv mit den rechtlichen Strukturen und Auslegungsspielräumen
von Anleihedokumentationen auseinanderzusetzen und potenzielle Risiken
frühzeitig zu erkennen. Grundsätzlich sollten Fondsmanager, die nicht über ein
rechtliches Setup verfügen, hohe Positionsgrößen bei einzelnen Anleihen halten
können und zur Not Eigenkapital zur Verfügung stellen können, entsprechende
Anleihen von potentiellen LMEs-Kandidaten meiden.
Gleichzeitig verdichten sich Anzeichen für sogenannte „Next‑Gen‑Blocker“. Das sind neuartige Klauseln in Anleihedokumentationen, die zukünftig bestimmte Arten von LMEs verhindern sollte. Der Gläubigerschutz wird somit langfristig gestärkt und die Qualität von High-Yield Anleihen (Hochzinsanleihen) verbessert.
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