Schroders: Divergierende Notenbankpolitik erschwert die Marktbedingungen

Mit Blick auf die globale Wirtschaft sieht es aus, als ob der Konjunkturzyklus 2016 weiter in der Aufschwungphase bleibt. Dies hat der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) den Weg für die erste Zinserhöhung seit 2006 geebnet.

29.12.2015 | 16:30 Uhr

Aktuell hat die Fed die Leitzinsen auf 0,25 % angehoben. Doch die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Erhöhung im Anschluss wird auf unter 50 % eingeschätzt! Vielleicht verständlich, da die Wirtschaft in den USA zurzeit Mühe hat, ein reales Wachstum von über 2 % zu erzielen und die Inflation kaum über null liegt.

Bei Wachstumsrate und Inflation sieht es in Europa ganz ähnlich aus. Doch hier schlägt die Europäische Zentralbank (EZB) einen völlig anderen geldpolitischen Weg ein und öffnet die Geldschleusen noch weiter. Unlängst hat man den entsprechenden Kurs bekräftigt und die Lockerungsmaßnahmen bis März 2017 verlängert. Bis dahin wird sich die Bilanz der EZB um 1,4 Billionen Euro erweitert haben. Diese transatlantische Divergenz der Geldpolitik macht die Prognose für 2016 sehr schwierig.

"Bei einem realen Lohnzuwachs und einem weiteren Rückgang der Arbeitslosenzahlen dürften sich Konsumgütertitel 2016 wieder als Gewinner herausstellen."

Noch verwirrender werden die politischen Maßnahmen mit den aktuellen Konjunkturdaten, die in den USA negativ und in Europa positiv überraschten. Die Gewinnprognosen für Europa dürften insgesamt profitieren: von der geldpolitischen Lockerung, dem dadurch schwächeren Euro sowie von der stärkeren Kreditnachfrage. Doch nach der letzten Ankündigung der EZB legte der Euro zu – und eine Umfrage der Bank unter Kleinunternehmen ergab: Die besagte Verfügbarkeit ist kein Thema mehr. Stattdessen ist einfach keine Nachfrage mehr vorhanden. Auch wenn sich die Geldmenge um rund 11 bis 12 % pro Jahr erhöht, hält die Kreditnachfrage nicht mit. Und angesichts negativer Zinssätze für Geld, das bei der EZB nicht abgerufen wird, haben die Banken Schwierigkeiten, in diesem Zyklus ihre Gewinne zu steigern.

Konsum: der Motor für einen wiederbelebten europäischen Binnenmarkt

Die Wiederbelebung des europäischen Binnenmarkts mag daher in diesem Zyklus von den Banken nicht am besten vorgespielt werden. Das gilt besonders dann, wenn sich der Kreditzyklus¹ in den USA bei geldpolitischer Straffung durch die Fed weiter verschlechtert. Ironischerweise geht der US-Dollar in der Regel in die Höhe, sobald die USA den Zinssatz anheben. Daher könnte es sein, dass auch der europäische Exportsektor dieses Jahr keine Unterstützung durch einen schwächeren Euro erhält.

Bei einem realen Lohnzuwachs und einem weiteren Rückgang der Arbeitslosenzahlen dürften sich Konsumgütertitel 2016 wieder als Gewinner herausstellen. Damit setzt sich der Trend der letzten Jahre weiter fort. Allerdings stehen für 2017 auch Wahlen in Italien und Frankreich an. Dadurch könnten weniger Regierungen vorgeben, ihre Haushaltsziele zu erreichen. Und damit könnte der Konsum in beiden Ländern wieder anziehen; schließlich hinkten sie jahrelang ihren deutschen und spanischen Nachbarn hinterher. Vor diesem Hintergrund könnte das Binnenwachstum in der Eurozone gleiche oder höhere Zahlen als 2015 erreichen.

Konsumgüter möglicherweise im Aufwind, Rohstoffe weiter nicht prognostizierbar

Der unkalkulierbare Faktor 2016 ist die weitere Entwicklung der Rohstoffpreise. Diese befinden sich zurzeit durch ein Überangebot und den Abschwung in China am Boden. Allerdings dürften sie wieder anziehen, wenn den Chinesen der Abbau ihrer Überschussbestände gelingt. Dazu müsste jedoch zunächst das Angebot deutlich sinken, denn erst dann könnten die Preise wieder steigen. Öl ist mit hoher Wahrscheinlichkeit der erste Rohstoff, bei dem das der Fall sein wird. Doch da außer in einigen Bereichen der US-amerikanischen Schieferöl- und Gasbranche keine echten Zeichen einer Not zu spüren sind, könnten die Kurse noch eine Zeit lang dahindümpeln.

"Wir haben unsere Präferenz verlagert: weg von Banken, wo die niedrigen Zinssätze hinderlich sind. Stattdessen blicken wir auf zyklische Konsumgütertitel mit ihren steigenden Gewinnprognosen."

Grund für diesen ungewöhnlich langen Zyklus ist das langsame nominale (d. h. nicht inflationsbereinigte) Wachstum. Es hat die Bewertungen der Wachstumswerte² in die Höhe getrieben. Die Trends dürften auch im nächsten Jahr anhalten. Wachstumstitel können nur dann ins Straucheln geraten, wenn die Anleiherenditen wieder steigen. Die Fed hat diesen Prozess eingeleitet, doch damit hat sich die Wahrscheinlichkeit eines noch schwächeren Wachstums erhöht. Eine flachere Renditekurve in den USA würde Substanzwerte weiter unter Druck setzen und das Kurs-Gewinn-Verhältnis bei Wachstumswerten erweitern. Andererseits dürfte die lockerere Geldpolitik in Europa zu einer steileren Kurve und niedrigeren Bewertungsmultiplikatoren bei Wachstums- und Defensivwerten führen³.

Aus diesem Grund bevorzugen wir weiter nationale zyklische Werte gegenüber den globalen Titeln. Dabei haben wir aber unsere Präferenz verlagert: weg von Banken, wo die niedrigen Zinssätze hinderlich sind. Stattdessen blicken wir auf zyklische Konsumgütertitel mit ihren steigenden Gewinnprognosen sowie auf einige ausgewählte Industrietitel. Wir haben die Übergewichtung bei Rohstoffen über Öl verlagert, doch mit geringen Erwartungen einer schnellen Rendite.

1) Der Kreditzyklus ist die Zu- und Abnahme der Kreditverfügbarkeit über die Zeit. 
2) Unter Wachstumswerten versteht man Aktien mit aktuell und prognostiziert hohen Erträgen. Substanzwerte sind hingegen solche Titel, die unterbewertet sind und zugleich Wachstumspotenzial aufweisen
3) Defensivwerte sind Aktien, die nur eine geringe Korrelation mit dem Marktzyklus haben und sich daher in der Regel bei einem Wirtschaftsabschwung überdurchschnittlich entwickeln. Zyklische Werte sind die mit der größten Konjunkturanfälligkeit.

Die hierin geäußerten Ansichten und Meinungen stammen von Steve Cordell, Fondsmanager europäische Aktien, und stellen nicht notwendigerweise die in anderen Mitteilungen, Strategien oder Fonds von Schroders ausgedrückten oder aufgeführten Ansichten dar.

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