Schroders: Was ein Land tun muss, um zu einem Schwellenland hochgestuft zu werden

Emerging Markets

Indexanbieter verstehen unter „Schwellenländern” etwas anderes, als das, was Anleger von einer Investition in einen solchen Index erwarten.

02.10.2018 | 13:56 Uhr

Der Indexanbieter MSCI gab kürzlich bekannt, dass sowohl Argentinien als auch Saudi-Arabien im kommenden Jahr in die Riege der „Schwellenländer” aufsteigen würden. Obwohl sie nur ein geringes Gewicht im Index einnehmen werden, wird davon ausgegangen, dass damit Mittel in Milliardenhöhe (US-Dollar) in die beiden Länder fließen werden. Diese Erwartungen basieren auf dem Vermögen von 1,9 Bio. US-Dollar im MSCI Emerging Markets Index1.

Unterscheidung zwischen Schwellenland und aufstrebende Volkswirtschaft

Viele Anleger investieren einen Teil ihres Vermögens in Schwellenländer, um von deren Wachstumspotenzial zu profitieren. Das Grundprinzip haben Sie möglicherweise schon oft gehört: Junge Bevölkerungen mit rascher wachsenden Volkswirtschaften liefern zwar starke Erträge, weisen jedoch auch höhere Wertschwankungen auf. Anleger sollten den Begriff „Schwellenland” keinesfalls mit einer aufstrebenden Volkswirtschaft gleichsetzen.

Zum Beispiel handelt es sich bei vielen Ländern, die in den MSCI-Indizes für Schwellenländer oder sogar Frontier-Märkte (Grenzmärkte) geführt sind, um wirtschaftlich fortgeschrittene Länder – siehe Abbildung unten. Korea und Taiwan sind ideale Beispiele hierfür. Taiwan ist im Hinblick auf manche Kennzahlen (z. B. das BIP pro Kopf als Kennzahl für den Lebensstandard) beispielsweise höher entwickelt als Länder wie Kanada, Großbritannien, Frankreich und Japan2. Außerdem kann es sein, dass Unternehmen in diesen Ländern auf ihrem Gebiet zu den Weltmarktführern zählen, wie zum Beispiel Samsung Electronics und Taiwan Semiconductor. Trotzdem gelten sie als Unternehmen aus Schwellenländern.

Schwellenländer Status

* Argentinien und Saudi-Arabien werden im Juni 2019 in den MSCI EM Index aufgenommen.

** Die Westafrikanische Wirtschafts- und Währungsunion (UEMOA) umfasst folgende Länder: Benin, Burkina Faso, Republik Côte d’Ivoire, Guinea-Bissau, Mali, Niger, Senegal und Togo. Derzeit sind in den MSCI-Indizes, die die UEMOA abbilden, Wertpapiere aus Senegal, der Republik Côte d’Ivoire und Burkina Faso enthalten.

Quelle: IWF, MSCI und Schroders. Stand der Daten: 30. Juni 2018. 

Dabei wendet MSCI keine besonders drakonischen Regeln im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklungsstufe eines Landes an. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall. Über die Hälfte der 57 Länder im MSCI Emerging bzw. Frontier Markets Index übertreffen bereits die wirtschaftlichen Mindeststandards, um in den MSCI Index für Industrieländer aufgenommen zu werden.

Worum es bei der Indexaufnahme wirklich geht …

In Wirklichkeit geht es bei der Indexaufnahme vielmehr um Marktgröße, Liquidität und Zugänglichkeit als um die wirtschaftliche Lage oder die ökonomischen Aussichten. Im Gegensatz dazu bewertet der IWF Länder nach rein wirtschaftlichen Kriterien wie etwa der Exportdiversifizierung und dem Grad ihrer Einbindung in das globale Finanzsystem. Dieser häufig unterschätzte Unterschied kann differenzierte Auswirkungen auf die Indexzusammensetzung haben (siehe oben).

Die Aufnahmebedingungen berücksichtigen äußerst sinnvolle Aspekte, z. B. die Frage, ob Eigentumsbeschränkungen für ausländische Anleger bestehen, oder die Mühelosigkeit, mit der Investoren dem Markt Mittel zuführen oder aus ihm abziehen können. Auch operationelle Belange werden abgedeckt, zum Beispiel die Fähigkeit, „Leerverkäufe” zu tätigen (Verkauf einer Aktie, die man noch gar nicht besitzt, in der Hoffnung, sie zu einem späteren Zeitpunkt günstiger zurückzukaufen und so einen Gewinn zu erzielen), oder der Komplexitätsgrad des den Finanzmarkt umgebenden Regulierungsrahmens.

Viele Schwellenländer oder Frontier-Märkte verfehlen eine oder mehrere dieser Bedingungen. Einer der Gründe, warum Korea und Taiwan als Schwellenländer und nicht als Industrieländer klassifiziert sind, ist die nicht vollständige Liberalisierung ihrer Devisenmärkte.

Für die Aufnahme in einen Schwellenländerindex muss ein Aktienmarkt über mindestens drei Aktien verfügen, die der Mindestgröße entsprechen und den Liquiditätsanforderungen genügen. Für den Status „Frontier-Markt” müssen zwei Aktien eine abgemilderte Version dieser Aufnahmeschwellen erfüllen. Doch solche Hürden bedeuten oftmals, dass es nach Aufnahme eines Landes nur eine Handvoll Unternehmen in den Index schaffen – die den nationalen Aktienmarkt, ganz zu schweigen von der zugrunde liegenden Wirtschaft, wohl kaum angemessen repräsentieren.

Zum Beispiel wird die Zahl der Indexkonstituenten im MSCI Argentina Index von heute 14 auf 11 fallen, wenn das Land den MSCI Frontier Index verlässt und in den MSCI Emerging Markets Index aufgenommen wird3. Eine der Folgen ist, dass die um den Streubesitz bereinigte Marktkapitalisierung beim Status als Schwellenland um fast 2 Mrd. US-Dollar geringer wäre als bei der Einstufung als Frontier-Markt. Bei genauerer Betrachtung wird eine Hochstufung dazu führen, dass Argentinien nicht mit einem höheren, sondern mit einem geringeren Gewicht in den globalen MSCI-Indizes enthalten sein wird. Aktive Vermögensverwalter könnten sich jedoch weiterhin dafür entscheiden, in Aktien zu investieren, die in Argentinien gelistet sind, nicht jedoch im MSCI Argentina.

Auswirkungen einer Neueinstufung auf das Indexgewicht eines Landes

Wichtig sind zudem die Auswirkungen, die eine Neueinstufung auf das Gesamtgewicht eines Landes im Index haben kann, da dadurch aus einem großen Fisch in einem kleinen Teich schnell ein kleiner Fisch in einem großen Teich werden kann. Argentinien ist derzeit mit einer Gewichtung von 17 % beispielsweise das zweitgrößte Mitglied im MSCI Frontier Market Index. Nach der Hochstufung wird das Land jedoch vermutlich nur 0,5 % des MSCI Emerging Market Index ausmachen4.

Aus Anlegersicht unterstreicht dies die Diskrepanz zwischen dem, was ein Indexanbieter unter Schwellenländern versteht, und der Erwartung der Investoren. Es erfordert jedoch mindestens etwas Verstand bei der Entscheidung, wie man sein Vermögen investieren möchte.

1 MSCI. Stand der Daten: 31. März 2018.
2 IWF. Stand der Daten: 2018 Auf Grundlage des BIP pro Kopf unter Verwendung der Kaufkraftparität (KKP), internationalen Dollars.
3 MSCI. Stand der Daten: 29. Juni 2018.
4 MSCI. Stand der Daten: 29. Juni 2018.


Die hierin geäußerten Ansichten und Meinungen stellen nicht notwendigerweise die in anderen Mitteilungen, Strategien oder Fonds von Schroders oder anderen Marktteilnehmern ausgedrückten oder aufgeführten Ansichten dar. Der Beitrag wurde am 26.09.18 auch auf schroders.com veröffentlicht.

Diesen Beitrag teilen: