BNP Paribas: Schwächephase an den Schwellenmärkten eröffnet Chancen

Emerging Markets

Schwellenländeraktien sehen sich 2018 einer Reihe von Risiken gegenüber. Es stellt sich nun die Frage, ob es eine Schwächephase gibt, oder die schnelle Erholung nach der chinesischen Konjunkturabschwächung 2015 fortgeführt wird.

23.10.2018 | 10:19 Uhr

Gemessen am MSCI World Index haben die weltweiten Aktienmärkte seit 2011 keinen Bärenmarkt (d.h. eine Marktkorrektur von mindestens 20%) mehr verzeichnet. Dies hat die Anleger darin bestärkt, dem Mantra „Buy the dip“ zu folgen, indem sie jeden noch so kleinen Rücksetzer für Zukäufe nutzten. Im Jahr 2018 scheint dies nicht anders zu sein. So haben die weltweiten Aktienmärkte seit dem heftigen Ausverkauf im Januar und Februar bereits über die Hälfte ihrer Verluste wieder wettgemacht.

Abbildung 1: Performance des MSCI World Index und des MSCI EM Index (seit 2008 auf 100 indexiert)

Performance des MSCI World Index und des MSCI EM Index (seit 2008 auf 100 indexiert)

Quelle: Bloomberg, BNP Paribas Asset Management, Stand: 03.10.2018

Mit einer kurzen Baisse Anfang September blieben Schwellenländeraktien jedoch weiterhin eine Ausnahme. Es stellt sich nun die Frage, ob die Schwellenländer in ihre 2011 nach Ausbruch des Arabischen Frühlings begonnene Schwächephase zurückfallen oder ob sie die schnelle Erholung, die nach der chinesischen Konjunkturabschwächung im Jahr 2015 begann, fortführen werden.

RATs: ähnlich wie die PIGGS, aber ohne den schützenden Effekt einer gemeinsamen Währung

Um diese Frage zu beantworten, müssen zuerst die wichtigsten Einflussfaktoren des jüngsten Abschwungs bestimmt werden. Eine wahrscheinliche Erklärung ist, dass sich die RATs (Russland, Argentinien und die Türkei) innerhalb des Schwellenländeruniversums ähnlich wie die PIIGS (Portugal, Italien, Irland, Griechenland und Spanien) während der Eurokrise entwickeln werden oder sogar noch schlechter. Im Gegensatz zu den PIIGS profitieren die RATs nämlich nicht von dem schützenden Effekt einer gemeinsamen Währung.

Die Folgen dieses Umstands sind besonders in der Türkei und in Argentinien zu spüren, deren Währungen seit Jahresbeginn um 42% bzw. 50% abgewertet haben, da die Kapitalzuflüsse aus dem Ausland deutlich zurückgegangen sind. Derweil hat der Internationale Währungsfonds seine Kreditlinie für Argentinien auf 70 Milliarden Dollar erhöht, während die argentinische Notenbank die kurzfristigen Zinsen aggressiv auf 60% angehoben hat, um die Währung zu stützen.

Abbildung 2: Wertentwicklung von Schwellenländerwährungen relativ zum US-Dollar 2018 seit Jahresbeginn

Wertentwicklung von Schwellenländerwährungen relativ zum US-Dollar 2018 seit Jahresbeginn

Quelle: Bloomberg, BNP Paribas Asset Management, Stand: 28.09.2018

Im Gegensatz dazu erklärte der türkische Präsident Recep Erdogan die Zinsen seien „die Mutter aller Übel“. Nach der Festigung seiner Regierungsmacht scheint die Unabhängigkeit der türkischen Notenbank mehr als zweifelhaft. Ungeachtet Erdogans Verachtung der Zinsen sah sich die Notenbank aufgrund der galoppierenden Inflation dazu gezwungen, eine deutliche Leitzinserhöhung auf 24% vorzunehmen. Doch unabhängig davon, ob dies der erste notwendige Schritt ist, um die Inflation zu zügeln oder die schwache Währung zu stärken, sollte beachtet werden, dass das Land im MSCI EM Index nur einen Anteil von 0,5% ausmacht und lediglich unbedeutende Finanzverflechtungen zur globalen Wirtschaft aufweist.

Abbildung 3: Zusammensetzung des MSCI EM Index nach Ländern

Zusammensetzung des MSCI EM Index nach Ländern

Quelle: MSCI, BNP Paribas Asset Management, Stand: 28.09.2018

Möglicherweise größeres Risiko in Russland wegen Sanktionen

Völlig unterschiedlich, aber ebenfalls beunruhigend stellt sich die Situation in Russland dar. Die Wirtschaft des Landes schlägt sich im Vergleich zur Türkei oder Argentinien relativ gut, was mit dem jüngsten Ölpreisanstieg zusammenhängt. Die russische Notenbank brauchte den Leitzins dagegen lediglich um 25 Basispunkte im September anzuheben, um die Inflation zu bremsen und die Währung zu stärken. Dabei handelte es sich, angesichts der Tatsache, dass das Land trotz der beträchtlichen geldpolitischen Lockerungsmaßnahmen der vergangenen Jahre weiterhin einen der höchsten Realzinssätze der Welt aufweist, um eine konservative Entscheidung.

Unserer Meinung nach stellen die scheinbar endlosen Sanktionen durch den Westen jedoch das größere Risiko dar. Sorgen bereiten den Anlegern das vorgeschlagene Verbot für den Handel mit neuen russischen Staatsanleihen sowie die beabsichtigten Geschäftsbeschränkungen für russische Staatsbanken, die ca. zwei Drittel des Finanzsektors des Landes ausmachen. Parallel dazu gingen in der ersten Jahreshälfte 2018 die ausländischen Direktinvestitionen um mehr als 50% zurück.

Allerdings lässt sich die allgemeine Schwäche der Schwellenländer in diesem Jahr wohl nur teilweise durch die größtenteils spezifischen Risiken in einzelnen Ländern erklären. Einen stärkeren Einfluss dürfte die derzeitige Konjunkturschwäche Chinas haben, die aus den eskalierenden handelspolitischen Spannungen und dem ohnehin nachlassenden Wirtschaftswachstum resultiert. Erst kürzlich verhängten die USA Strafzölle von 10% auf chinesische Einfuhren im Wert von 200 Milliarden Dollar . Bis Anfang 2019 sollen diese Zölle auf 25% erhöht werden, China hat bereits mit Vergeltungsmaßnahmen reagiert. Noch beunruhigender ist jedoch, dass es bisher von keiner Seite Anzeichen für ein mögliches Einlenken gegeben hat.

Schwacher chinesischer Aktienmarkt und starker Dollar machen Schwellenländeranleger nervös

In den USA wirkt sich der Handelskonflikt derzeit weder auf die Volkswirtschaft noch auf die Finanzmärkte spürbar aus. Dies dürfte sich jedoch ändern, wenn es zu keiner Einigung kommt. Derweil sind in China negative Effekte bisher weitgehend durch die Abwertung des Yuan abgefedert worden. Es ist anzunehmen, dass Präsident Xi Jinping bis nach den Zwischenwahlen in den USA auf einschneidende Maßnahmen verzichten wird. Gemessen in US-Dollar ging der MSCI China Index seit seinem Höchststand im Januar bis Mitte September um über 25% zurück; der Markt für Festlandaktien verlor sogar noch mehr an Wert. Als zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt stellt China die bei weitem wichtigste Komponente im MSCI EM Index dar. Deshalb ist davon auszugehen, dass das Land maßgeblich zur unterdurchschnittlichen Performance der Schwellenländer in diesem Jahr beigetragen hat.

Abbildung 4: Entwicklung des MSCI China Index seit 1. Januar 2015

Entwicklung des MSCI China Index seit 1. Januar 2015

Quelle: Datastream, BNP Paribas Asset Management, Stand: 03/10/2018

Zuletzt ist die Nervosität der Anleger hinsichtlich der Schwellenländer wahrscheinlich auch wegen des starken US-Dollar gestiegen. Der Zinserhöhungszyklus und ein höheres Wachstum in den USA sowie ein Rückgang der US-Dollar-Liquidität haben zu einer kräftigen Aufwertung des Greenback geführt. Die spekulativen Netto-Long-Positionen in US-Dollar befinden sich mittlerweile auf dem höchsten Stand seit über einem Jahr und nähern sich allmählich einem Niveau, das seit den Tagen nach dem Wahlsieg Donald Trumps nicht mehr verzeichnet worden ist. Der jüngste Wachstumsschub ist jedoch teilweise auf vorübergehende Impulse durch die Steuersenkungen und das steigende Haushaltsdefizit in den USA zurückzuführen. Daher halten wir das Aufwärtspotenzial des US-Dollar für begrenzt, zumal mittlerweile der Höhepunkt im Konjunkturzyklus überschritten ist.

Zunehmend attraktives Chance-Risiko-Verhältnis von Schwellenländeraktien

Schwellenländeraktien sehen sich in diesem Jahr einer Reihe von Risiken gegenüber, denen sie im Jahr 2017 nicht ausgesetzt waren. Allerdings sind die betroffenenLänder heute im Allgemeinen besser als noch vor ein paar Jahren gerüstet, um diese Herausforderungen zu meistern. So sind die Leistungsbilanzdefizite seit dem „Taper Tantrum“ von 2013 stark zurückgegangen. Schwellenländeraktien werden im Vergleich zu Industrieländeraktien mittlerweile mit einem beträchtlichen Abschlag gehandelt und liegen deutlich unter ihrem langfristigen Durchschnitt –trotz  der sich verändernden Zusammensetzung des Schwellenländerindex, in dem die wachstumsorientierten Sektoren Konsumgüter und Informationstechnologie heute sehr viel höher gewichtet sind als in der Vergangenheit, zulasten der stärker wertorientierten Energie- und Rohstoffbereiche. Schon alleine deshalb wäre eine Bewertung über dem langfristigen Durchschnitt Bewertung  gerechtfertigt. Auch wenn kurzfristige Marktprognosen nicht zu unserer Kernkompetenz gehören, können wir mit Gewissheit sagen, dass das Chance-Risiko-Verhältnis bei dieser Anlageklasse zunehmend attraktiv aussieht.

Schwächephase an den Schwellenmärkten eröffnet Chancen

Wir sind der Ansicht, dass die Anlageklasse langfristig weiterhin eine positive Wachstumsdynamik aufweist und dass sie in den globalen Indizes hinsichtlich ihrer Marktkapitalisierung im Verhältnis zur Weltbevölkerung und Weltwirtschaftsleistung nur unterdurchschnittlich repräsentiert ist. Zudem werden die Chancen bei dieser Anlageklasse nach wie vor häufig unterschätzt, da sie von den globalen Aktienfonds weiterhin untergewichtet wird. Diversifizierte Anleger haben gute Gründe, in Schwellenländeraktien zu investieren. Für diejenigen, die das langfristige Potenzial dieser Anlageklasse erkennen, stellt die jüngste Schwächephase eine attraktive Chance dar.

Der Wert der Anlagen und die erzielten Erträge können steigen oder fallen, und Anleger erhalten ihr investiertes Kapital möglicherweise nicht in voller Höhe zurück.

Anlagen in den Schwellenländern oder in spezialisierten oder beschränkten Sektoren weisen in der Regel eine überdurchschnittliche Volatilität auf. Gründe dafür sind eine größere Konzentration und eine höhere Unsicherheit, da weniger Informationen verfügbar sind, die Liquidität eingeschränkt ist oder die Anlagen auf gesellschaftliche, politische oder wirtschaftliche Entwicklungen stärker reagieren.

Schwellenländer bieten mitunter weniger Sicherheit als die meisten Industrieländer. Daher können Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Kauf, dem Verkauf oder der Verwahrung von Schwellenmarktanlagen höheren Risiken unterliegen.

* Dieser Artikel wurde am 24. September 2018 geschrieben.

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