abrdn: Demografie – Alter ist nur ein weiterer EM-Wachstumsfaktor

abrdn: Demografie – Alter ist nur ein weiterer EM-Wachstumsfaktor
Emerging Markets

Leider kann das Älterwerden mit einem Stigma belegt sein. Viele Menschen versuchen, dem unausweichlichen Alterungsprozess durch regelmäßige Bewegung, eine gesunde Ernährung und eine strenge Hauptpflegeroutine entgegenzuwirken, doch die Zeit lässt sich nicht aufhalten.

10.03.2022 | 06:08 Uhr

Robert Gilhooly,Senior Emerging Markets Research Economist, Research Institute

Die Alterung kann auch ein Problem für Länder darstellen. Viele Industrieländer sehen sich aufgrund alternder Bevölkerungen und den damit verbundenen sozialen und wirtschaftlichen Problemen allmählich Schwierigkeiten gegenüber.

Mit Blick auf die Zukunft könnte sich dies auch für die Schwellenländer als Problem erweisen, in denen es in den nächsten 30 Jahren zu einem langsameren Wachstum der erwerbsfähigen Bevölkerung kommen könnte.

In den meisten Schwellenländern (Emerging Markets, EM) ist die „demografische Dividende“ bereits ausgeschöpft und mit einem Anstieg der Abhängigkeitsquoten zu rechnen, d.h. weniger Arbeitskräfte müssen für immer mehr Pensionäre aufkommen.

„Die demografische Entwicklung in den Schwellenländern im Fokus – Implikationen für das Wachstum und der Aufstieg der globalen Mittelklasse“ ist das erste von drei Research Papers, welche die Art und die Auswirkungen des langfristigen demografischen Wandels in den wichtigsten Schwellenländern und -regionen untersuchen.

Dabei wird zum Beispiel der Frage nachgegangen, ob die Zahl der aktiven Arbeitnehmer in der Erwerbsbevölkerung wichtiger ist als einfache Kennzahlen in Bezug auf die erwerbsfähige Bevölkerung und wie ein steigender Bildungsstand in ärmeren Ländern dazu beitragen könnte, die wirtschaftlichen Negativauswirkungen einer geringeren Anzahl an Arbeitskräften auszugleichen.

In der Gesellschaft müssen wir vor Altersdiskriminierung auf der Hut sein. Dies gilt auch im Hinblick auf das Wirtschaftswachstum.

Die demografische Entwicklung ist wichtig ...

Demografie ist wichtig. Der demografische Wandel wirkt sich über das Verhältnis von Gesamtbevölkerung zu Arbeitnehmern nicht nur auf die Gesamtgröße einer Volkswirtschaft aus, sondern verfügt auch über das Potenzial, diese auf andere Art und Weise zu beeinflussen, beispielsweise über das Investitionsniveau, die Zinsen oder die Inflation.

In vielen Schwellenländern lässt der Schub, den diese durch die zuvor steigende Erwerbsbevölkerung erhalten haben, rasch nach. In den nächsten drei Jahrzehnten ist in beinahe allen Schwellenländern mit einem rückläufigen Beitrag zum Potenzialwachstum seitens des Arbeitsmarktes zu rechnen, wobei sich einige Länder Wachstumseinbußen infolge einer sinkenden Zahl an Arbeitskräften gegenübersehen.

Nur die asiatischen Schwellenländer (ohne China und Thailand), der Nahe Osten und Afrika dürften signifikante Zugewinne durch ihre Arbeitsbevölkerung erzielen.

Abbildung – Nur Nigeria und Pakistan könnten weiterhin von der „demografischen Dividende“* profitieren

EM Demographics Growth Chart.jpg

Quelle: abrdn, März 2021

*Hinweis: Der Zeitraum, über den die demographische Dividende hinweg gemessen wird, beginnt mit einem Rückgang der Abhängigkeitsquote und endet, wenn diese steigt

... stellt aber kein unumstößliches Schicksal dar

Allerdings müssen bei der Betrachtung der demographischen Belastungsfaktoren einige wichtige Punkte beachtet werden.

Der Einsatz einfacher und veralteter Definitionen für die erwerbsfähige Bevölkerung – oftmals als Menschen im Alter von 15 bis 64 Jahren definiert – lässt die zunehmende Erwerbsbeteiligung von Menschen im Alter von 60 bis 70 Jahren (aufgrund der steigenden Lebenserwartung und dem späteren Renteneintritt) außer Acht.

Eine „ältere“ Arbeitsbevölkerung wirkt sich zudem auf die Berechnung der Abhängigkeitsquoten aus. Auf Pro-Arbeiter-Basis wird die Abhängigkeitsquote in den nächsten drei Jahrzehnten in Indien weiter sinken (mehr Arbeitskräfte unterstützen eine geringere Zahl an Rentnern), während sie sich in den asiatischen Schwellenländern und Lateinamerika kaum verändern dürfte.

Die Qualität der Erwerbsbevölkerung ist ebenso wichtig wie ihre Größe ...

Beim Humankapital – der wirtschaftliche Wert der Fähigkeiten und Erfahrung eines Arbeitnehmers – besteht Spielraum für Wachstum, da immer mehr Menschen über längere Zeit in der Ausbildung verbleiben. Dies dürfte die Belastung durch eine geringere Zahl an Arbeitnehmern (oder ein rückläufiges Wachstum der Erwerbsbevölkerung) ausgleichen.

Dies wird einkommensschwächeren Ländern stärker zugutekommen. Beispielsweise dürften viele afrikanische Länder – und in geringerem Maße auch Indien – von einer höheren Zahl an Arbeitnehmern sowie einer kompetenteren Erwerbsbevölkerung profitieren. In China könnte die sinkende Zahl an Arbeitskräften nach wie vor durch besser ausgebildete Arbeitnehmer ausgeglichen werden.

... sowie die Maschinen und Ausrüstung, die ihr zur Verfügung stehen

Darüber hinaus macht der qualitätsbereinigte Arbeitskräfteeinsatz (Arbeitskräfte plus Humankapital) nur selten mehr als ein Drittel des potenziellen Wirtschaftswachstums aus.

Zum Fundament eines langfristigen Wirtschaftswachstum zählen auch Produktivität und Investitionsgüter (d.h. die Gebäude, Ausrüstung und Software, die Arbeitnehmern zur Verfügung stehen, und wie effizient sie diese in ihrer Arbeitszeit nutzen können).

Allgemein betrachtet legen Studien nahe, dass eine ältere Erwerbsbevölkerung etwas weniger dynamisch ist und das Risiko besteht, dass eine alternde Bevölkerung einen Rückgang der Produktivität zur Folge hat.

Dies erfolgt zum Teil indirekt. Beispielsweise könnte mit den Steuereinnahmen sparsamer umgegangen werden, da die Mittel für die steigenden Gesundheitskosten aufgewendet werden; ältere Menschen sparen in der Regel weniger, was die Zinsen in die Höhe treiben könnte. In beiden Fällen wird das Wachstum in Mitleidenschaft gezogen.

Dagegen könnte eine alternde Erwerbsbevölkerung Unternehmen dazu veranlassen, mehr in produktivitätssteigernde Technologien wie Industrieroboter zu investieren (höhere Kapitalintensität). Man sollte diese Entwicklung somit nicht allzu pessimistisch betrachten.

Infrastruktur – Bauprojekte für die Zukunft

Selbst angesichts eines weniger günstigen demografischen Ausblicks weisen die Schwellenländer nach wie vor einen erheblichen Infrastrukturbedarf auf, der ein solides Fundament für künftiges Wachstum darstellt.

Das Wirtschaftswachstum in den Schwellenländern dürfte unseres Erachtens einen wesentlichen Anstieg aller Arten an Kapitalinvestitionen (Gebäude, Anlagen und Maschinen, Fahrzeuge, Software und andere Formen von Informationstechnologie) auf Pro-Arbeitnehmer-Basis erfordern. Dies dürfte die Belastung durch eine geringere Zahl an Arbeitnehmern ausgleichen.

Darüber hinaus ist die Urbanisierung in weniger entwickelten Ländern in der Regel nicht sehr weit vorangeschritten. Wenn diese Länder mehr Städte bauen, wird dies wesentlich zur Bautätigkeit beitragen.

Mittelschicht – vorwärts und aufwärts

Überdies dürfte trotz einer gewissen Verlangsamung des Trendwachstums künftig ein deutlich größerer Teil des globalen Konsums sowie des Wachstums der globalen Mittelschicht auf die Schwellenländer entfallen.

So könnte der chinesische Markt etwa sein US-Pendant bis 2040 überholt und bis 2050 größentechnisch um rund 20% übertroffen haben.

All dies legt den Schluss nahe, dass die demografischen Herausforderungen künftig zwar im Auge behalten werden sollten, die demografische Entwicklung aber nur einen Teil des Schicksals der Schwellenländer darstellt.

Investitionen beinhalten Risiken. Der Wert von Anlagen und die daraus entstehenden Erträge können sowohl fallen als auch steigen, und es ist möglich, dass ein Investor weniger als den investierten Betrag zurückerhält. Die Wertentwicklung in der Vergangenheit lässt keine Rückschlüsse auf zukünftige Ergebnisse zu.

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