Erste Frühlingssignale nach dem Börsenwinter

Christian Koch, Leiter des Portfolio Management Teams bei BB Biotech
Biotech

Nach der kräftigen Korrektur der letzten Jahre liegt die Bewertung von Biotechaktien auf historischen Tiefständen. Christian Koch, Leiter des Portfolio Management Teams bei BB Biotech, erläutert im Interview, wie der Erfolgsdruck in der Pharmabranche und der Einsatz von Künstlicher Intelligenz das Renditepotenzial für den Biotechsektor beflügelt.

22.08.2025 | 10:45 Uhr

Während Technologieaktien in den letzten Monaten immer neue Höchststände erreichten, kommen die meisten Biotechtitel nach dem Kursrutsch der letzten Jahre nicht vom Fleck. Wie erklären Sie sich diesen Trend?

Der Biotechsektor befindet sich seit der Spitze des letzten Höhenflugs von 2021 in einer Korrektur. Das liegt zum einen an den gestiegenen Zinsniveaus, die vor allem bei niedrig- oder mittelkapitalisierten Firmen zu deutlich höheren Kapitalkosten führten. Ein weiterer Faktor ist die nach der Börseneuphorie während der Coronapandemie übertriebene Erwartungshaltung der Märkte hinsichtlich des kommerziellen Potenzials von neuen Technologien.

Nun trägt die aktuelle Unsicherheit hinsichtlich der künftigen Preispolitik der US-Regierung für Medikamente nicht dazu bei, dass der Gesundheitssektor Boden gut macht.

Wie auch immer die Entscheidung der Trump-Administration am Ende aussieht: Die gesamte Branche hängt von der Preisbildung auf dem US-Markt ab. Dort sind die Gesundheitskosten pro Kopf doppelt so hoch wie in Europa. Die US-Politik zielt darauf ab, dass Arzneien für die USA vor Ort produziert werden und dann kostengünstiger zu haben sind. Wir sprechen hier vom Most-Favored-Nation-Pricing für Medikamentenhersteller, die ihren Kunden in den USA dieselben Konditionen anbieten wie in anderen Ländern. Zugleich werden 80 Prozent der in den USA lancierten Arzneien auch in Europa lanciert. Für Europa bedeutet das: Die Tendenz geht dahin, dass für innovative Arzneien in Zukunft höhere Preise bezahlt werden.

Das betrifft vor allem Pharmakonzerne und die stehen auch durch Patentabläufe unter Druck.

Der Return on Research & Development sinkt seit 30 Jahren kontinuierlich. Mit anderen Worten: Für Big Pharma wird es immer teurer, innovative Medikamente zu entwickeln. Wir reden hier mittlerweile von ein bis zwei Milliarden US-Dollar an nicht-risikoadjustierten Kosten, bis ein neues Produkt den Sprung auf den Markt schafft. Dazu kommt die neue Welle von Patentabläufen. Auf Sicht der nächsten fünf Jahre droht hier die größte Patent Cliff aller Zeiten. Wir gehen davon aus, dass in diesem Zeitraum weltweit Arzneien mit einem Gesamtvolumen von 200 Milliarden US-Dollar ihren Patentschutz verlieren werden. Innerhalb der nächsten zehn Jahre kann sich diese Summe auf bis zu 400 Milliarden US-Dollar verdoppeln.

Welche Lösungen gibt es für dieses Dilemma?

Um in Zukunft ein jährliches Umsatzwachstum im niedrigen bis mittleren einstelligen Bereich zu schaffen, müssen die Pharmakonzerne das organische Wachstum durch Zukäufe ergänzen. Idealerweise haben diese Übernahmekandidaten zugelassene Produkte mit einem Potenzial von mehreren Milliarden US-Dollar bei den jährlichen Spitzenumsätzen. Wir beobachten in diesem Jahr eine wieder steigende Zahl an Übernahmeaktivitäten. An zwei der bislang drei größten Transaktionen von 2025 war BB Biotech beteiligt.

In welchen Krankheitsfeldern hat sich Big Pharma dabei verstärkt?

Im Juni wurde Blueprint Medicines, eine neue Beteiligung mit dem Fokus auf seltene immunologische Erkrankungen, von Sanofi für 9,5 Milliarden US-Dollar übernommen. Blueprint hat mit Avaprinitib das bislang einzige zugelassene Arznei gegen eine seltene Immunerkrankung auf dem Markt. Generell zielen die meisten Kandidaten in der klinischen Pipeline auf die Behandlung von Funktionsstörungen der Mastzellen, also den Zellen des Immunsystems, die Botenstoffe freisetzen, um bei Allergien, Entzündungen sowie der Abwehr von Krankheitserregern zu helfen. Im ersten Quartal dieses Jahres hat Johnson&Johnson unsere langjährige Beteiligung Intra-Cellular Therapies für 14,6 Mrd. US-Dollar übernommen und sich damit die Vermarktung von Caplyta zur Behandlung von Schizophrenie und bipolarer Depression gesichert. Ein Präparat gegen Angststörungen und in Verbindung mit Alzheimer auftretende Psychosen und Unruhezustände durchläuft gerade die Wirksamkeitsstudien in der klinischen Phase 2.

Sieht man von ihrer Kernbeteiligung ArgenX und der britischen Firma Macrogenics ab, besteht das aktuell 23 Firmen umfassende Beteiligungsportfolio aus US-Unternehmen. Was sind die Gründe dafür und wie sehen Sie die Entwicklung in Deutschland?

BioNTech ist eine der großen Ausnahmen unter den börsennotierten deutschen Biotechs, außerdem sehen wir einige interessante private Firmen. Aus Sicht der Finanzmärkte spielt die Musik aber in den USA. Die fiskalen Anreize und das zur Verfügung stehende Kapital könnten aus unserer Sicht dazu führen, dass die USA ihre Position als weltweit größtes Innovationslabor und weltweit größter Medikamentenmarkt weiter ausbauen. Aktuell werden 50 Prozent der Umsätze und 80 Prozent der Profite mit neuen Arzneien dort erwirtschaftet. China versucht aufzuholen, aber bei einem Großteil der Innovationen handelt es sich noch im Kosteninnovationen. Beispielsweise, wenn die Kosten für Zulassungsanträge zu klinischen Studien um bis zur Hälfte unter den zehn Millionen US-Dollar liegen, die Firmen in den USA dafür zahlen müssen.

Welche neuen Therapieansätze sind für Sie gerade besonders spannend?

Es sind nicht mehr die Gentherapien oder mRNA-basierten Therapien wie Covid-19-Impfstoffe, die bei den Investoren vor fünf Jahren hoch im Kurs standen. Statt mRNA ist unser Fokus jetzt stärker auf RNA-Therapien, etwa den Antisense-Oligonukleotiden. Damit lässt sich die Synthese von bestimmten krankheitsauslösenden Proteinen blockieren. Das besonders Spannende an diesem Ansatz ist, dass er es geschafft hat, nach der Zulassung der ersten Therapien gegen seltene genetische Erkrankungen mit kleinen Patientengruppen in Krankheiten mit größeren Patientengruppen vorzustoßen. So hat Novartis durch die Akquisition von The Medicines Company den Cholesterinsenker Leqvio erworben, der einmal in sechs Monaten gespritzt werden muss. Für die Patienten ist das ein großer Vorteil gegenüber der Standardbehandlung mit Statinen, die täglich erfolgen muss. Überhaupt ist dieser neue Ansatz patientenfreundlicher, weil für die Behandlung eine subkutane Injektion innerhalb von sechs oder zwölf Monaten ausreicht.

Die Anwendung von Künstlicher Intelligenz (KI) ist auch in der biopharmazeutischen Industrie ein heißes Thema. Welche positiven Effekte erwarten Sie?

Die Medikamentenentwicklung greift bereits seit zwei Jahrzehnten auf maschinelles Lernen bei der Identifizierung der geeigneten Moleküle für präklinische und klinische Studien zurück. Entgegen der teilweise euphorischen Einschätzungen an den Märkten hinsichtlich einer möglichen Verkürzung des Zeitrahmens für klinische Studien vertrete ich die Auffassung, dass die agentische KI den Auswahlprozess bei der Identifikation der geeigneten Moleküle signifikant optimieren wird, nicht aber die Dauer der klinischen Entwicklung.

Was bedeutet, dass die Datenauswertung per KI die Suche nach Kandidaten mit dem optimalen Wirkprofil vereinfacht.

Genau, aber nicht nur das. In-Silico-Verfahren in der präklinischen Entwicklung bringen dank KI bessere Moleküle im Sinne einer höheren Erfolgswahrscheinlichkeit in den klinischen Studien hervor. Das ist schon ein großer Fortschritt. Aber KI verbessert auch im Team von BB Biotech die Investmentprozesse. Die Informationsverarbeitung vertieft und beschleunigt bei uns den Due-Diligence-Prozess für die Werthaltigkeit von Biotechfirmen.

Der Börsenwert von BB Biotech beträgt aktuell rund 1,9 Milliarden Euro und trotz des Aufschwungs in den letzten drei Monaten ist die Aktie noch im Abwärtstrend gefangen, den sie vor vier Jahren eingeschlagen hat. Was spricht dafür, ausgerechnet jetzt Biotechaktien zu kaufen?

Die niedrige Bewertung im Verhältnis zum Wachstumspotenzial. Die Aktie von BB Biotech notiert seit 18 Monaten mit einem Discount von zehn Prozent zum Inneren Wert aller Beteiligungen. Von der Marktpsychologie betrachtet bewegt sich der Biotechsektor am unteren Ende seines langjährigen Bewertungskorridors. Quer durch die gesamte biopharmazeutische Industrie gibt es Aktien, die sich bewertungstechnisch auf dem tiefsten Stand der letzten 20 bis 30 Jahre stehen.

Fakt aber bleibt, dass Biotech aktuellen an den Börsen zu den Underperformern zählt.

Wann der nächste Aufschwung Fahrt aufnimmt, lässt sich noch nicht sagen, aber persönlich nehme ich nach dem Börsenwinter der letzten Jahre die ersten Frühlingssignale wahr. So haben unsere drei Top Holdings bei den letzten Quartalszahlen sehr gute Umsatzzahlen geliefert. Und natürlich sprechen vier Faktoren mittel- bis langfristig für das Renditepotenzial von Biotech: neben der zunehmenden Alterung der Erdbevölkerung sind es die laufenden Fortschritte auf medizinischer Seite und bei der Informationsverarbeitung sowie der zunehmende Druck auf Big Pharma, durch Übernahmen von Biotechfirmen drohende Umsatzeinbußen zu verhindern.

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