Janus Henderson: Moonshot-Projekte in der Medizin

Ethan Lovell, Co-Portfoliomanager des Janus Henderson Global Life Sciences Fund, erklärt, warum Moonshot-Projekte in der Medizin erst nach Jahren der Forschung erfolgreich sind. Das ist auch der Grund, warum eine langfristige Anlagestrategie in diesem Bereich seines Erachtens ein Muss ist.

15.09.2017 | 10:23 Uhr

Für einige tausend Menschen auf der Welt ist das Erreichen des 20. Lebensjahres ein Grund zum Fürchten, nicht zum Feiern.

Wer seit seiner Geburt unter der Erbkrankheit Lebersche Kongenitale Amaurose (LCA) leidet und nicht bereits sein Augenlicht verloren hat, muss damit rechnen, noch vor dem 21. Lebensjahr zu erblinden. Tief liegende Augen und ruckartige Augenbewegungen sind charakteristisch für diese Erkrankung, verursacht durch den Defekt eines oder mehrerer der etwa 14 bisher identifizierten Gene. Bislang gibt es keine Erfolg versprechende Behandlungsmethode. Das aber könnte sich bald ändern.

Ende August erhielt das Biotechnologieunternehmen Spark Therapeutics die Zusage der US-Gesundheitsbehörde FDA für ein beschleunigtes Zulassungsverfahren seines Therapeutikums zur Behandlung von LCA. Es könnte damit zur ersten von der FDA in den USA zugelassenen Gentherapie werden. Das Unternehmen aus Philadelphia wird am 12. Januar wissen, ob die amerikanische Gesundheitsbehörde eine sogenannte Biologics License für die Produktion von Luxturna erteilt, welches das LCA verursachende defekte Gen RPE65 durch eine einwandfrei funktionierende Kopie ersetzen kann. Erhält das Präparat die Zulassung, könnten unter dieser Krankheit leidende Patienten mit nur einer Injektion ihr Augenlicht dauerhaft zurückerhalten.

Erweiterter Nutzen einer Gentherapie

Während sich die traditionelle Forschung üblicherweise auf die Behandlung einzelner Krankheiten konzentriert, können Gentherapien wie Luxturna bahnbrechende Entwicklungen anstoßen, denn sie basieren auf Plattformen, von denen ausgehend Therapien für verschiedene erbliche Erkrankungen entwickelt werden können. Mit vergleichbarer Technik arbeitet Spark Therapeutics überdies an einer Behandlungsmethode für die auch als Bluterkrankheit** bekannte funktionale Gerinnungsstörung. An dieser Krankheit leiden in den USA 20.000 und weltweit 400.000 Menschen. In den USA und der Europäischen Union wird das Marktvolumen auf 8,5 Milliarden USD geschätzt.

Klinische Versuche mit SPK-8011 an Menschen ergaben unlängst, dass das Verfahren von Spark Therapeutics zur vermehrten Bildung des zur Blutgerinnung benötigten Faktor-VIII-Eiweißes führen kann. Kurz, wie bei Luxturna könnten an der Blutgerinnungsstörung leidende Menschen mit einer einzigen Injektion geheilt werden. Das wäre ein echter Durchbruch, denn bisher sind sie auf regelmäßige Infusionen des Faktor-VIII-Eiweißes angewiesen, da nach wenigen Tagen von dem injizierten Eiweiß nichts mehr im Körper vorhanden und die Blutgerinnung erneut gestört ist. Darüber hinaus entwickelt Spark Therapeutics derzeit eine Therapie für den viel kleineren Markt des Typ B der Bluterkrankheit.

Beginn einer neuen Ära

An diese Zeitenwende sind Biotech-Firmen nur deshalb gelangt, weil Forscher heute die genetischen Ursachen für Krankheiten identifizieren und dieses Wissen zur Entwicklung von Therapien nutzen können, mit denen sich defekte Gene gegen funktionierende austauschen lassen.

Voyager Therapeutics hat sich auf Gentherapien für neurologische Krankheiten spezialisiert wie Parkinson, Huntington, ALS***, Friedreich-Ataxie (Zerstörung des Nervensystems), Alzheimer und chronische Schmerzen.

Ergänzend zur Krebsimmuntherapie und der kontroversen Genom-Editierung verfolgt Bluebird Bio acht Therapieprogramme unter anderem zur Behandlung der tödlich verlaufenden Nervenkrankheit Adrenoleukodystrophie (ALD), an der vor allem Jungen und Männer erkranken, der Beta-Thalassämie (Blutkrankheiten) und der Sichelzellenanämie, für die es bisher kein Heilmittel gibt.

Sollten Spark Therapeutics oder ein anderes Unternehmen wie BioMarin Pharmaceutical oder Sangamo Therapeutics, die ebenfalls an einem Heilverfahren für die Bluterkrankheit arbeiten, mit ihrer Gentherapie Erfolg haben, brächte dies Hersteller von Faktor-VIII-Eiweiß-Infusionen in arge Bedrängnis. Zu ihnen gehört Shire, das hiermit im ersten Quartal 2017 einen Umsatz von 870,9 Mio. USD erzielte.

Die Frage der Kosten 

Einer breiten Anwendung der beiden bisher zugelassenen Gentherapien stehen hohe Kosten entgegen. Im April erklärte Fierce Pharma, dass UniQure bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur keine Verlängerung der Marktzulassung für Glybera beantragen werde, wenn diese im Oktober ausläuft. Das mit einer Million US-Dollar teuerste Medikament der Welt wurde in den vier Jahren seit seiner Zulassung zum kommerziellen Vertrieb nach Angaben des Magazins MIT Technology Review nur ein einziges Mal verkauft. Der anderen in Europa zugelassenen Gentherapie erging es nicht besser. GlaxoSmithKline gab im Juli bekannt, dass man einen Käufer für Strimvelis suche. Bei dem Präparat zur Behandlung einer seltenen vererbbaren Immunschwäche dauerte es nach dessen Zulassung ein ganzes Jahr, bis es erstmals einem Patienten verschrieben wurde.

Vielleicht läge hier die Lösung in einem neuen Erstattungssystem für extrem teure, langfristig wirkende Gentherapien, bei dem Zahlungen für jedes zusätzliche Jahr erfolgen, in dem die Therapie wirkt. Aber wie beziffert man die Kosten? Im Dezember erhielt Biogen von der FDA die Zulassung für Spinraza zur Behandlung Spinaler Muskelatrophie (SMA), der häufigsten Genkrankheit mit Todesfolge bei Kleinkindern in den USA. Spinraza kostet im ersten Behandlungsjahr 750.000 USD und danach jedes weitere Lebensjahr 375.000 USD. Dagegen könnte die von AveXis entwickelte, einmal verabreichte Gentherapie für SMA Heilung für einen Patient bringen, der durchaus 80 Jahre oder älter werden kann. Aber welcher Aufpreis wäre für die Therapie von AveXis angebracht?

Für Biotechnologieunternehmen ist der Preis kein Hinderungsgrund. Es gibt über 7.000 genetisch bedingte Krankheiten, und die gesamte Pharma- und Biotechnologiebranche arbeitet fieberhaft an Heilmitteln für jede davon. Deswegen sollten Anleger, die von einem Moonshot-Projekt* in der Medizin profitieren möchten, ihr Kapital langfristig anlegen. Und zwar in gut gemanagte, auf Gentherapien spezialisierte Unternehmen mit transformativen Vermögenswerten, die ihnen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen.

Glossar:

* Moonshot-Projekt in der Medizin = neuartiger Ansatz zur Behandlung eines gravierenden gesundheitlichen Problems bzw. zur Deckung eines dringenden medizinischen Bedarfs mithilfe bahnbrechender wissenschaftlicher Erkenntnisse oder Technologien.

** Bluterkrankheit = Erbkrankheit, bei der die Blutgerinnung gestört ist.

*** Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) auch bekannt als Motoneuron-Erkrankung (MND) oder Lou-Gehrig-Krankheit.

Wichtige Information: 

Dieser Artikel wurde am 5. September 2017 auf MarketWatch veröffentlicht. Seine Verwendung erfolgt mit Genehmigung des Verlags.

http://www.marketwatch.com/story/how-investors-should-play-gene-therapy-stocks-2017-09-05

Diesen Beitrag teilen: