BNP Paribas: Keine Lösung für die Türkei in Sicht - fünf Gründe

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Anleihen

Für den Ausverkauf von EM-Anleihen im August war vor allem der Verfall der türkischen Lira verantwortlich. Die Lage in der Türkei bleibt schwierig. Doch wird sie andere Schwellenländer wirklich nachhaltig negativ beeinflussen?

06.09.2018 | 12:10 Uhr

Ausmaß und Auslöser des jüngsten Ausverkaufs

Im Juli hatten sich Emerging-Market-Papiere erholt. Doch in den ersten drei Augustwochen erlitten sie erhebliche Verluste, die an den Kursrutsch im 2. Quartal 2018 anknüpften. Der Ausverkauf hatte mehrere Gründe, vor allem die Verschlechterung der Lage der Türkei.

Abbildung 1 zeigt die enormen Kursverluste von Emerging-Market-Anleihen Anfang August.

Abbildung 1:  Erträge ausgewählter Arten von Emerging-Market-Anleihen

Erträge ausgewählter Arten von Emerging-Market-Anleihen

Hinweis: Daten vom 1. Januar bis zum 20. August 2018. Quelle: JP Morgan, Stand 20. August 2018.

Die Anfälligkeit der Türkei ist keine echte Überraschung. Angesichts der sich verschlechternden Fudamentaldaten betrachten wir die Türkei bereits seit einiger Zeit mit Skepsis (sehr hohe Auslandsschulden, starke Abhängigkeit von Auslandsinvestitionen zur Finanzierung des Wirtschaftswachstums, hohe Inflation, verstärkt durch die immer schwächere Währung, geldpolitische Fehler und politische Probleme durch staatliche Interventionen, hohe Verschuldung des privaten Sektors … etc., etc.).

Zuletzt hatten die USA die Türkei im Zusammenhang mit dem Fall Brunson mit Sanktionen belegt. Der US-Pastor wurde 2016 von den türkischen Behörden festgenommen und befindet sich noch immer in Haft. Durch die Eskalation der Spannungen mit den USA hat sich die Lage in der Türkei weiter verschlechtert, sodass die Lira erheblich abwertete und es zu einem Ausverkauf türkischer Aktien und Anleihen kam. Da die türkischen Behörden nicht auf die lawinenartige Krise reagierten, haben die Bedenken der Investoren zuletzt noch weiter zugenommen.

Aber auch Spannungen in anderen Teilen der Welt trieben den Ausverkauf weiter an. Die USA verhängten neue Sanktionen gegen Russland, woraufhin die Märkte über weitere Maßnahmen bis hin zu einem kompletten Verbot des Erwerbs russischer Staatsanleihen spekulierten.

Auch andere Emerging-Market-Länder mit Anfälligkeit für eine Schuldenkrise, schwachen Leistungsbilanzen, Inflationsängsten und höheren politischen Risiken gerieten unter Druck. Vor allem werteten ihre Währungen ab.

Abbildung 2 zeigt einige Emerging Markets, deren Anleihen im August besonders stark verloren haben.

Abbildung 2:  Kursverluste von Emerging-Market-Lokalwährungsanleihen Anfang August (%)

Kursverluste von Emerging-Market-Lokalwährungsanleihen Anfang August (%)

Hinweis: Daten vom 1. bis zum 20. August 2018. Quelle: JP Morgan, Stand 20. August 2018.

Angst vor Dominoeffekten?

Emerging-Market-Anleihen und -Währungen sind vom 1. bis zum 20. August sehr stark gefallen. Gerechnet in US-Dollar und nicht währungsgesichert verlor der JP Morgan GBI EM Global Diversified Index in diesem Zeitraum 5%. Die größten Verluste entstanden in nur drei Handelstagen.

Auch die Spreads von Fremdwährungsanleihen sind stark gestiegen, durch die Rallye von US-Treasuries waren die Titel jedoch weniger volatil. In den ersten 20 Augusttagen gab der JP Morgan EMBI Global Diversified Index um 1,9% nach.

Asien vom Ausverkauf unbeeindruckt

Wie unsere Asienexperten berichteten, blieben Anleihen aus Asien während des jüngsten Ausverkaufs recht stabil. Gemessen am JPM JACI Index verdiente man mit asiatischen Fremdwährungsanleihen vom 1. bis zum 20. August sogar 0,2%. Auch asiatische Staatsanleihen und Währungen waren stabiler als ihre internationalen Pendants. Zum einen lässt sich das mit der jüngsten Lockerung der chinesischen Geldpolitik erklären. Ein weiterer Grund ist die bessere Kreditqualität in Asien.

Keine Lösung für die Türkei in Sicht

Vor allem in der Türkei zeichnete sich bei Redaktionsschluss keine echte Lösung ab. Die türkische Zentralbank stellte erste Gegenmaßnahmen vor. Unter anderem sollen die Mindestreserveanforderungen gesenkt werden, um für mehr Liquidität zu sorgen. Außerdem sollen Währungsswaps türkischer Banken eingeschränkt werden, um spekulative Short-Positionen in der Lira zu begrenzen. Schließlich versprach die Zentralbank, alles zu tun, um die finanzielle Stabilität zu bewahren.

Diese Schritte verschafften der Lira zwar eine kleine Atempause, an den grundsätzlichen Problemen mit den Fundamentaldaten der türkischen Wirtschaft hat sich jedoch nichts geändert, weshalb die Zentralbank weitere Maßnahmen einleiten muss. Es werden weitere konkrete Schritte erwartet, damit die Marktteilnehmer wieder in der Türkei investieren und sich türkische Wertpapiere nachhaltig erholen können. Die traditionellen Mittel gegen Krisen (Anpassung der Finanzpolitik, restriktivere Geldpolitik und Hilfen des IWF) scheinen für die türkische Regierung nicht in Frage zu kommen.

Die Lage in der Türkei bleibt schwierig, und auch die Marktstimmung dürfte sich nicht bessern. Wir gehen aber nicht davon aus, dass dies nachhaltige Folgen für andere Emerging Markets hat. Unsere Einschätzung beruht auf folgenden Überlegungen:

  1. Emerging-Market-Anleihen sind extrem niedrig bewertet, ein Großteil der schlechten Nachrichten ist bereits berücksichtigt. Vor sechs Monaten war das noch anders.
  2. Das technische Umfeld ist nach den jüngsten Mittelabflüssen aus der Assetklasse erheblich besser. Umfragen und der Entwicklung börsennotierter Derivate zufolge sind die Märkte im US-Dollar nicht mehr untergewichtet (wie im 1. Quartal), sondern übergewichtet, vor allem gegenüber Emerging-Market-Währungen.
  3. Weltwirtschaft und Unternehmensgewinne sind trotz der Störungen im Welthandel recht stabil geblieben. Vor allem das aktuelle Wachstum der Emerging Markets, das wir genau verfolgen, macht uns zuversichtlich, dass die Dynamik anhält. Außerdem ist der Aufschwung in den Emerging Markets noch immer der stärkste seit fast zehn Jahren.
  4. Die jüngste Lockerung der chinesischen Geldpolitik ist ein Richtungswechsel und dürfte für mehr Liquidität an den Märkten sorgen.
  5. Unsere Sorge, dass steigende US-Renditen eine Gefahr für die Emerging Markets sind, lässt nach. Die US-Konjunktur scheint an Dynamik zu verlieren, die Inflation ist noch immer nicht zu hoch, und allmählich zeichnet sich eine Pause der Zinserhöhungen der Federal Reserve ab.

Zwei wichtige Herausforderungen für Emerging-Market-Anleihen bestehen aber nach wie vor: Störungen des internationalen Handels und ein weiterer Anstieg der US-Zinsen. Aus unserer Sicht sind sie aber in den Kursen bereits berücksichtigt, und bis Ende dieses Jahres könnten sich für beides Lösungen abzeichnen.

Der Welthandel ist nach wie vor nicht frei von Konflikten, aber die Rhetorik war zuletzt vor allem in China weniger aggressiv. Im November finden in den USA Zwischenwahlen statt. Da sie allgemein als Referendum über die politische Zukunft Donald Trumps gelten, muss die US-Administration jetzt beim Thema Handel punkten. Ein echter Handelskrieg würde die Wähler wohl kaum überzeugen. Viele von ihnen würden unter Exportzöllen und steigenden Importpreisen leiden.

Positiv sind die jüngsten Gespräche zwischen den USA und Europa: Die USA ließen ihren Plan fallen, die Einfuhrzölle auf europäische Autos zu erhöhen. Auch die NAFTA-Verhandlungen laufen besser, vor allem die Gespräche mit der neuen mexikanischen Regierung.

Zu den US-Zinsen ist anzumerken, dass die US-Löhne noch immer nur schwach zulegen und auch ein nennenswerter Inflationsanstieg auf sich warten lässt. Die Septembersitzung des Offenmarktausschusses der Fed könnte die Märkte verunsichern. Der Ausschuss wird eine aktuelle 12-Monats-Prognose vorlegen und darüber informieren, wie der Zinserhöhungszyklus weitergeht. Wir gehen davon aus, dass die Fed ihre Karten endgültig auf den Tisch legen wird und eine Zinspause näher rückt. Nach der Sitzung wird dieses Thema im Mittelpunkt stehen.

Gut ist, dass die Zentralbanken einiger Emerging Markets bereits auf die bisherigen und erwarteten Leitzinserhöhungen der Fed reagiert haben. Sie haben Maßnahmen getroffen, um ihre Währungen zu schützen, die Inflation zu begrenzen und Kapitalabflüsse abzuwenden. Die Türkei ist hierbei die einzige Ausnahme. Angesichts all dessen sind viele Emerging Markets heute erheblich besser gegen steigende Zinsen gewappnet als beispielsweise während des Taper Tantrums im Jahr 2013.

Fazit

Unter Berücksichtigung aller positiven und negativen Szenarien halten wir die aktuelle Schwäche von Emerging-Market-Anleihen für eine Kaufgelegenheit. Die Assetklasse ist stark unterbewertet.

Die Konjunktur in den Emerging Markets ist günstig für die Kursentwicklung. Das Wachstum der Schwellenländer hat sich stabilisiert, die Unternehmensgewinne sind im Schnitt recht hoch, die Bewertungen sind gefallen, die Anfälligkeit für externe Ereignisse hält sich in Grenzen, und weltweit scheinen die Zentralbanken ihre Geldpolitik sehr vorsichtig zu straffen. Hinzu kommt, dass China mehr Konjunkturprogramme aufgelegt hat.

Am Ende wird die Fed den Startschuss geben, aber wir raten Investoren, schon jetzt zu investieren. Nach der Fed-Sitzung könnte man die Erholung verpassen.

L. Bryan Carter Head of Emerging Markets Fixed Income


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