Robeco: Ende der Nullzinspolitik – strukturell positiv für Finanztitel

Robeco: Ende der Nullzinspolitik – strukturell positiv für Finanztitel
Anlagestrategie

Nach mehr als einem Jahrzehnt der Nullzinsen und enger regulatorischer Überwachung ist der wenig populäre Finanzsektor trotz des Rezessionsumfelds für eine Outperformance positioniert.

14.12.2022 | 10:48 Uhr

In aller Kürze

  • Gut geführte Finanzunternehmen dürften 2023 die heimlichen Gewinner sein
  • Ausweitung der Zinsspanne sollte Gewinnwachstum der Banken beflügeln
  • Versicherungssektor profitiert von gestiegenen Langfristrenditen

Nachdem die Ära der Nullzinspolitik vorbei ist und langfristige Trends während der Corona-Krise beschleunigt wurden, ist unseres Erachtens eine aktive Anlagestrategie mit Fokus auf die am besten geführten Banken und Versicherer der richtige Weg, um von diesen Chancen zu profitieren.

Das traditionelle Bankgeschäft profitiert bereits von der Ausweitung der Zinsspannen im Zuge steigender Leitzinsen. Dies sollte das Ertragswachstum im Verlauf des Jahres 2023 und darüber hinaus unterstützen, sofern die Leitzinsen für längere Zeit auf erhöhtem Niveau bleiben. Nachdem die besten Banken ihre Kapitalstruktur gestärkt und während der Corona-Krise 2020 und 2021 eine beschleunigte digitale Transformation durchlaufen haben, sind sie nun gut auf die wohl unvermeidliche Konjunkturabschwächung vorbereitet.

Die höheren Zinsen werden auch die Anlageerträge von Versicherungsunternehmen steigen lassen. Damit sind sie imstande, ihre Assets und Verbindlichkeiten effizienter zur Deckung zu bringen und ihre Solvabilitätsquoten zu verbessern. Höhere Renditen in Zukunft können die Preisgestaltung der Produkte und die Profitabilität gleichermaßen stützen. Zudem erscheint angesichts attraktiver Dividenden eine Übergewichtung von Lebensversicherern in der gegenwärtigen Phase des Konjunkturzyklus sinnvoll.

Um dieses günstige Szenario zu relativieren, sind wir uns bewusst, dass der Finanzsektor drei großen Risiken ausgesetzt ist. Erstens besteht die Möglichkeit, dass die globale Rezession gravierender ausfällt als erwartet. Dies könnte die Gebührenerträge der Banken beeinträchtigen, den Anteil notleidender Kredite erhöhen und die Prämieneinnahmen von Versicherern drücken. Zweitens gibt es die Sorge um eine Ansteckung durch einen anderweitigen Marktschock im Zusammenhang mit der Straffung der Geldpolitik, was wiederum den Finanzsektor allgemein in Mitleidenschaft ziehen würde.1 Drittens könnten selbst bei guter Entwicklung der besten Titel im Sektor regulatorische Vorgaben die Möglichkeit der Ausschüttung von Kapital an die Aktionäre einschränken, insbesondere in Europa.2 Allerdings glauben wir, dass der Saldo aus Risiken und Chancen unter dem Strich unser Anlageszenario begünstigt, insbesondere da die weitere Entwicklung der Leitzinsen klar vorgezeichnet ist.

Krisenabschläge nicht länger gerechtfertigt

Im Hinblick auf die Bewertungen hat sich das Nullzinsumfelds seit 2009 negativ auf Finanzwerte ausgewirkt. Vieles spricht dafür, dass sich das Vertrauen der Anleger in den Sektor nie von der Krise erholt hat. Abbildung 1 zeigt, dass die durchschnittlichen Bewertungskennziffern der Aktien aus unseren Trends Emerging Finance und Aging Finance durchgängig niedrig geblieben sind. Zwar stiegen die Bewertungen innerhalb des Trends Digital Finance während der Corona-Krise auf das Niveau einer Blase. Doch nach starkem Rückgang im Jahr 2022 liegen die Bewertungen jetzt auf weit realistischeren Niveaus. Während wir die Nullzinsära hinter uns lassen und eine globale Konjunkturabschwächung im Jahr 2023 wahrscheinlich ist, stellt sich die Frage, ob die anhaltende Vorsicht gegenüber dem Finanzsektor noch gerechtfertigt ist. Unseres Erachtens ist das nicht der Fall.

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Quelle: Robeco

Erstens befindet sich der Sektor in einer weit besseren Ausgangsposition, um einen Abschwung zu durchstehen, als das 2008 der Fall war. Zu Beginn der Finanzkrise waren die Banken zu hoch verschuldet und verfügten über unzureichende Liquiditätspuffer. Doch seither hat ein konservativere Ansatz beim Risikomanagement zu einer stetigen Verbesserung der Bilanzqualität geführt. Die Maßnahmen zur angemessenen Kapitalausstattung spiegeln das wider. So befindet sich die Tier-1-Eigenkapitalquote im gesamten Euroraum deutlich über dem von der Basel III-Regulierung3 verlangten Mindestwert von 10,5 % (siehe untenstehende Abbildung 2).

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Quelle: ECB Statistical Data Warehouse (europa.eu)

Zweitens haben die Banken gerade erst im Jahr 2020 eine Art Stresstest absolviert, als die ersten Lockdowns während der Corona-Pandemie die Konjunktur haben einbrechen lassen. Die Vorsorge für einen wirtschaftlichen Abschwung, der letztlich nicht so lang anhielt wie erwartet, hat dazu geführt, dass die Banken gut dafür positioniert sind, einer erwarteten Rezession zu widerstehen. Gleichzeitig wurde ein Großteil der Verschuldung, der im Zusammenhang mit der Pandemie aufgebaut wurde, von den Regierungen getragen. Dies spiegelt sich in den ebenfalls auf historischen Tiefs liegenden Quoten notleidender Kredite in Abbildung 3 wider.

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Quelle: EZB

Hinzu kommt, dass sich während der Corona-Pandemie die Digitalisierung einiger traditioneller Kreditinstitute beschleunigt hat. Diese waren gezwungen, sowohl ihre internen Abläufe als auch kundenbezogene Funktionen einer schnelleren Transformation zu unterziehen, als zuvor geplant war. Dies dürfte den Anstieg der operativen Kosten unter der Inflationsrate halten und die Erträge insgesamt stützen.

Auswahl der Gewinner: Performance-Streuung und Netto-Zinsspannen

In unserem Basisszenario werden sich die Netto-Zinsspannen bis in das Jahr 2023 ausweiten, da die Marktzinsen weiter steigen (siehe Abbildung 4) – zumindest zu Beginn des Jahres – und möglicherweise für längere Zeit auf erhöhtem Niveau verharren werden. Damit geht die Erwartung einher, dass die Finanzierungskosten der Banken wie in früheren Zyklen langsamer steigen als die Kreditzinsen.4

Abb-4-14-12-22

Quelle: Bloomberg, Robeco, change 12m ahead, based on money market futures and forwards; 19 October 2022

Dieser Zusammenhang zwischen den Leitzinsen und der Veränderung der Ertragslage der Banken im Verlauf des Konjunkturzyklus und den entsprechenden Auswirkungen ist stets recht komplex. Beispielsweise spielt bei den Banken das Einlagen-Beta eine wichtige Rolle. Wenn die (kurzfristigen) Zinsen steigen, können Sparer auch einen höheren Einlagenzins verlangen. Wettbewerber könnten Bankeinlagen dadurch abwerben, dass sie dafür eine höhere Verzinsung bieten. Ist das Einlagen-Beta hoch, müssen die Vorteile höherer Zinsen fast vollständig an die Sparer weitergereicht werden. Großbanken mit sehr guter Marke und breiter Einlagenbasis verfügen typischerweise über geringere Einlagen-Betas. Aktuell scheint der Anstieg der Einlagen-Betas vor allem für US-Banken ein Problem zu sein. In den Schwellenländern oder in Europa steht ein Anstieg erst noch bevor. In den Vereinigten Staaten konzentriert sich das Problem auf mittelgroße Banken. Doch selbst für die größten Banken könnte das Einlagen-Beta eine Belastung darstellen, wenn die Leitzinsen allmählich ansteigen.

Es wird voraussichtlich auch zu einer gewissen Performance- Streuung kommen, da bei einigen Banken der Anteil der Nettozinseinnahmen am Gesamtertrag höher ist als die Einnahmen aus Gebühren und Kommissionen. Wir legen den Fokus auf die Auswahl der Gewinner in diesem Bereich, die von einem Anstieg der Nettozinserträge profitieren dürften. Hohe Nettozinserträge sollten einen soliden Puffer darstellen und in Kombination mit umfangreicher Vorsorge für Kreditausfälle dürften die operativen Ergebnisse bei diesen ausgewählten Aktien im Rahmen unserer Trends Digital Finance und Emerging Finance das Jahr 2023 über besser als erwartet ausfallen.

Eine entsprechende Entwicklung war bereits in früheren Phasen der Konjunkturabschwächung zu beobachten. Während der durch die Geldpolitik ausgelösten US-Rezession der Jahre 1980-82 wuchs das durchschnittliche EBITDA des amerikanischen Finanzsektors tatsächlich um 22 %. Damit war dieser der einzige Sektor mit steigenden Erträgen in diesem Zeitraum.5 Wie heute wurde die Rezession in den Jahren 1980-82 durch eine Anhebung der Leitzinsen ausgelöst, mit der die anhaltend hohe Inflation in den entwickelten Ländern gestoppt werden sollte.

Ergänzende Übergewichtung von Lebensversicherern

Eine ergänzende Strategie neben der Ausnutzung der Sensitivität von Banken gegenüber der Leitzinsentwicklung stellt eine Übergewichtung von Lebensversicherern dar, wie sie im Rahmen unseres Trends Aging Finance erfolgt. Die Lebensversicherer werden voraussichtlich von höheren Langfristzinsen profitieren, was sich auf mittlere Sicht in steigenden Erträgen niederschlagen sollte. Derzeit spiegeln die Bewertungen von Lebensversicherern den auf kurze Sicht negativ wirkenden Wertrückgang ihrer Anleihen- und Aktienportfolios im Lauf des Jahres 2022 wider, welcher deren Buchwert beeinträchtigt hat. Die Bewertungen sind mit dem Kurs/Buchwert-Verhältnissen von unter 1 bei europäischen Banken vergleichbar. Unseres Erachtens ist das langfristige Risiko/Ertrags-Verhältnis einer Übergewichtung dieses Sektors noch attraktiver.

Die Solvabilitätsquoten des Lebensversicherungssektors sind sehr gut (siehe untenstehende Abbildung 5). Gleichzeitig ist der Sektor gut auf eine Konjunkturabschwächung im Jahr 2023 vorbereitet. Höhere Langfristzinsen lassen die Solvabilitätsquoten steigen, da die Duration der Assets von Versicherern allgemein geringer ist als die Situation ihrer Verbindlichkeiten. Höhere Solvabilitätsquoten bedeuten, dass mehr Kapital zur Ausweitung des Neugeschäfts und zu Dividendenzahlungen oder zur Durchführung von Aktienrückkäufen zur Verfügung steht. Angesichts gestiegener Langfristrenditen (auch wenn diese möglicherweise ihren Höhepunkt bereits überschritten haben) und verbesserter Solvabilitätsquoten bei vielen Pensionsfonds von Unternehmen verfügen Lebensversicherer über erheblich mehr Möglichkeiten für Pensions-Buyouts. Wir haben bereits registriert, dass es in dieser Hinsicht entsprechend mehr Geschäft in den USA, Großbritannien und den Niederlanden gibt. Wir rechnen damit, dass die ausgewählten Lebensversicherer, in denen wir engagiert sind, davon erheblich profitieren werden.

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Quelle: Morgan Stanley

Trotz der allgemeine düsteren Konjunkturerwartungen sollte man sich bewusst sein, dass die Leistungen einer Lebensversicherung bei Abschluss definiert werden, sodass die Sensitivität gegenüber der Inflation im Vergleich zu anderen Versicherungsektoren begrenzt ist. Nach Angaben der Swiss Re werden die Prämien im Jahr 2023 voraussichtlich um real 1,9 % steigen. 6

Das ausschlaggebende Argument für ein Engagement in Lebensversicherung ist zudem, dass höhere Erträge voraussichtlich direkt in Form von Dividenden an die Aktionäre weitergereicht werden und es unwahrscheinlich ist, dass die Regulierung dagegen vorgeht. Dieser Effekt ist länderunabhängig zu beobachten. So lagen im Jahr 2022 die Dividendenrenditen der 50 größten Lebensversicherer weltweit im Schnitt bei fast 5 %. 7

Fazit

Mit dem Ende der Nullzinspolitik hat sich das Umfeld für den Finanzsektor fundamental geändert. Wie sich das letztlich auswirkt, hängt davon ab, welche gesamtstaatliche Entwicklung man erwartet. Wir sind allerdings der Ansicht, dass der positive Effekt höherer Zinsen sich noch nicht in den Kursen widerspiegelt. Anlass zur Vorsicht gibt vor allem die drohende Rezession. Allerdings hat der Finanzsektor bereits früher Konjunktureinbrüche überstanden, und die am besten geführten Unternehmen befinden sich in einer weit besseren Position als im Jahr 2008. So bestehen Chancen bei Engagements in Unternehmen mit wachsenden, hochwertigen und langfristigen Ertragsströmen, bevor es zu einer Neubewertung von Finanzwerten kommt. Das eigentliche Risiko könnte in einer abwartenden Haltung bestehen. Unseres Erachtens sind wir mit Investments in führenden Banken, Lebensversicherern und Assetmanagern auf der ganzen Welt sehr gut positioniert.


1https://www.bloomberg.com/opinion/articles/2022-11-17/why-banks-need-to-worry-about-shadow-banks
2https://www.reuters.com/business/finance/shareholder-payouts-risk-ecb-tells-banks-hold-capital-sources-2022-11-09/
3https://www.bis.org/bcbs/history.htm
4 „Nach verbreiteter Auffassung hat sich der Medianwert der Netto-Zinsspanne tendenziell ausgeweitet, wenn die kurzfristigen Zinsen steigen, während er bei rückläufigen Kurzfristzinsen schrumpft.” https://www.fdic.gov/analysis/quarterly-banking-profile/fdic-quarterly/2021-vol15-2/article1.pdf
5https://www.mckinsey.com/capabilities/strategy-and-corporate-finance/our-insights/mapping-decline-and-recovery-across-sectors
6 Projection published in April 2022 - https://www.swissre.com/institute/research/sigma-research/sigma-2022-04.html
7http://www.dividendsranking.com/sector-Life+Insurance.html


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