BNP Paribas: Die dritte Phase der Globalisierung

Anlagestrategie

Vor der industriellen Revolution war der Agrarsektor entscheidender Wachstumstreiber. Nun, in der dritten Phase der Globalisierung spielen Offshoring und Outsourcing, als nächstes Telekommunikation und Telemigration eine entscheidende Rolle.

25.02.2019 | 10:38 Uhr

Richard Baldwin, Professor für Internationale Ökonomie am Graduate Institute in Genf, wies auf dem BNPP AM Investment Forum [Video] darauf hin, dass die Wirtschaft in den 800 Jahren vor der industriellen Revolution vor allem vom Agrarsektor getragen wurde. Die Produktion und der Konsum waren örtlich nicht voneinander getrennt und es gab zwischen den verschiedenen Teilen der Welt nur geringe Produktivitätsunterschiede. So war die Wirtschaftsleistung eines Landes vor allem von seiner Bevölkerungszahl abhängig, weshalb China und Indien damals den größten Teil zum globalen Wachstum beitrugen.

Mit der industriellen Revolution gelang es den Ländern Westeuropas – und später auch den USA –, ihre Produktion ab den 1820er Jahren erheblich zu steigern.Das hatte zur Folge, dass der Anteil der heutigen G7-Länder am globalen Bruttoinlandsprodukt bis 1990 von 20% auf über 60% stieg, während derjenige Chinas von 50% auf gerade einmal 5% sank. Das massive Wachstum der chinesischen Wirtschaft in den letzten 30 Jahren hat jedoch zu einer neuen Austarierung der Kräfteverhältnisse geführt: Heute tragen China und Indien wieder 20% zur globalen Wirtschaftsleistung bei, während der Anteil der G7-Länder auf 40% gefallen ist.

Was kommt nach Offshoring und Outsourcing?

Die Globalisierung durchlief bislang zwei Phasen:

  • Die erste – geprägt von einem signifikanten Rückgang der Transportkosten – ermöglichte eine zunehmende geografische Entkopplung von Produktion und Konsum. Die Herstellung konnte seither dort erfolgen, wo der größte komparative Kostenvorteil gegeben war, und der Verbrauch dort, wo die stärkste Nachfrage herrschte. Als Folge davon explodierte der Handel, die Einkommen stiegen global an, und der wirtschaftliche Wohlstand verteilte sich weltweit.
  • Die zweite Phase – getrieben von Innovationen in der Informations- und Kommunikationstechnologie – schaffte dann die Voraussetzungen, diese Entkopplung schon eine Stufe früher einzuleiten, d.h. geistiges Kapital an jedem beliebigen Ort zu entfalten, seine Umsetzung hingegen räumlich unabhängig davon an effizientere, kostengünstigere Produktionszentren zu verlagern (Stichworte: Outsourcing und Offshoring). Die daraus entstehenden Vorteile kamen allerdings vor allem den Unternehmen und den Kapitalgebern zugute

Neuaufstellung der Kräfte: globale Telearbeit und „Telemigration“

In der dritten Phase der Globalisierung spielen digitale Technologien und Robotertechnik die Hauptrolle, indem sie die grenzüberschreitende Erbringung persönlicher Dienstleistungen ermöglichen. Dabei leben die Menschen in einem Land und arbeiten virtuell in einem anderen Land, so Baldwin [Video]. Aufgrund der beträchtlichen Lohngefälle zwischen den einzelnen Ländern sind dadurch enorme Kosteneinsparungen möglich. Dabei spielen Sprachbarrieren dank der Fortschritte bei maschinellen Übersetzungen immer weniger eine Rolle.

Welche Tragweite die Folgen dieser „Telemigration“ haben, ist schwer abzuschätzen. Massive Umbrüche sind beispielsweise in den Bereichen Bildung, Medizin und Recht denkbar, nicht nur durch die wachsende Verbreitung von grenzüberschreitenden Dienstleistungen, sondern auch als Folge des Kostendrucks, der mit dem zunehmenden internationalen Wettbewerb einhergeht.

Klar ist, dass diese disruptiven Kräfte ganze Branchen auf den Kopf stellen, einen massiven Innovationsschub auslösen und etablierte Unternehmen herausfordern werden. Dabei dürften die Schwellenländer ihren Rückstand zu den Industrieländern verringern, da sie sich der Globalisierung insgesamt offener gegenüber zeigen und darin weniger eine Bedrohung als eine Chance sehen. Zudem bieten sie höhere Wachstumspotenziale als die Industrieländer. Dagegen wächst in den Industrieländern der Widerstand gegen die Globalisierung – aus Angst vor dem Verlust von Arbeitsplätzen und ihrer wirtschaftlichen und politischen Vormachtstellung.

Wer sind die Gewinner der Globalisierung, und wer die Verlierer?

Die Frage, wer zu den Gewinnern und wer zu den Verlierern dieser dritten Globalisierungsphase zählt, wird in den kommenden Monaten und Jahren ein wesentlicher Aspekt unserer Analysen sein. Denn für Anleger könnten sich durch Fehlbewertungen neue Gelegenheiten eröffnen – wenn beispielsweise erstklassige Wachstumsunternehmen wegen kurzlebiger Trends oder Exportgesellschaften aus übertriebenen Sorgen um Handelskonflikte abverkauft werden. Weitere Kaufgelegenheiten könnten sich ferner durch die zunehmende Konsolidierung in einzelnen Branchen ergeben.

Wir glauben, dass die Globalisierung aufgrund der Notwendigkeit von Auslagerungsmöglichkeiten sowohl im Produktions- als auch im Dienstleistungsbereich unumkehrbar ist. Denn die Vorteile und Effizienzsteigerungen, die sich daraus ergeben, sind schlicht und ergreifend zu groß. Während bei digitalen Technologien mit einer strengeren Regulierung zu rechnen ist, dürfte der grenzüberschreitenden Daten- und Informationsfluss nicht aufzuhalten sein. Und auch die globale Anwerbung von Fachkräften ist ein Trend, der von Dauer sein wird.

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