ASI: Growth oder Value? Die Kluft zwischen den beiden Anlageansätzen

ASI: Growth oder Value? Die Kluft zwischen den beiden Anlageansätzen
Anlagestrategie

Derzeit ist das Anlageuniversum scheinbar in zwei Lager gespalten. Die entscheidende Frage lautet: Sind Sie ein Qualitäts-/Wachstumsanleger oder ein Substanzanleger? Entweder oder. Sie müssen sich entscheiden.

17.05.2021 | 07:10 Uhr

Andrew Millington, Head of UK Equities

Müssen die Anleger sich wirklich für eine Seite entscheiden? Gibt es keine Alternative?

Die Geschichte zweier Anlageansätze

Seit dem Einbruch der Zinsen während der globalen Finanzkrise wurde der qualitäts-/ wachstumsbezogene Anlageansatz von verschiedenen Faktoren begünstigt. Diese verstärkten sich in den letzten Jahren zusätzlich, da der Brexit und die Covid-19-Krise die Märkte belasteten. Angesichts der seit Langem extrem niedrigen Zinsen, des zähen globalen Wirtschaftswachstums und des ständig präsenten Risikos konjunktureller Krisen erfuhren Unternehmen mit signifikantem Wachstumspotenzial eine deutliche Neubewertung.

Es handelt sich um eine logische Entwicklung, die allerdings die Ausbildung von Blasen unterstützen kann, wenn sich ein Anlagestil lange Zeit im Aufwind befindet. Dabei verbuchen Aktien, welche die Kriterien von Qualitäts-/Wachstumstiteln erfüllen, naturgemäß einen Großteil der Kapitalzuflüsse. Dies treibt ihre hohen Bewertungen weiter nach oben, sodass sich folglich auch Momentumanleger für diese Werte interessieren.

Zwischenzeitlich hatten substanzorientierte Anleger mit Gegenwind durch wirtschaftliche Verwerfungen zu kämpfen, die zahlreiche traditionelle Geschäftsmodelle und zyklische Branchen betrafen. Eine Reihe von Sektoren erlebt darüber hinaus weitere dramatische strukturelle Veränderungen. So verlagert sich beispielsweise der Einzelhandel von der Fußgängerzone in den Online-Bereich und die Energieversorger müssen Strategien zur Verringerung ihres CO2-Fußabdrucks entwickeln. Für die Anleger in jenen Sektoren verloren traditionelle Bewertungskennzahlen wie Kurs-Gewinn-Verhältnis, Dividende oder Free-Cashflow-Rendite scheinbar ihre Bedeutung als Ertragstreiber.

Zeit für eine Wende

Doch seit im November 2020 die Entwicklung wirksamer Impfstoffe gemeldet wurde und die langfristigen Zinsen eine Aufwärtsbewegung einleiteten, hat sich das Blatt gewendet. Einige Aktienmarktgewinner der letzten Jahre gerieten ins Straucheln und mussten Abschläge hinnehmen. Unterdes trieben die zuvor vernachlässigten zyklischen Werte die Märkte als Ganzes nach oben. Erleben wir somit derzeit eine fundamentale Wende bei den Spitzenreitern am Markt? Oder handelt es sich lediglich um eine Delle innerhalb des strukturellen Outperformancetrends von Qualitäts-/Wachstumstiteln?

Unserer Meinung nach trifft eine dritte Möglichkeit zu. Nach einer durch besondere Anomalien geprägten Phase, in der einzelne Aktienbewertungen extreme Niveaus erreichten, ist dies möglicherweise die unvermeidliche Korrektur, bevor eine Rückkehr zu einem auf der „guten alten Titelauswahl“ basierenden Anlagestil stattfinden wird.

Die Wirtschaftsdaten und die Unternehmensergebnisse werden in den kommenden Quartalen voraussichtlich zyklische Aktien unterstützen, während wir den langen konjunkturellen Winter des letzten Jahres hinter uns lassen. Jedoch sind Entwicklungen wie eine plötzliche Rückkehr der Zinsen auf 5% unwahrscheinlich. Die Faktoren, die in den letzten zehn Jahren die Inflation in Schach gehalten haben, sind nach wie vor stark, und zudem wird die Covid-Krise auch langfristig ihren Tribut fordern. Demnach dürfte das Trendwachstum innerhalb des nächsten Zyklus nicht viel besser ausfallen als in den 2010er-Jahren.

"Wir sehen ein weniger klares, aber interessanteres Umfeld für Aktien voraus, in dem sich weder Anleger in Qualitäts-/Wachstumstitel noch Substanzanleger durchsetzen können."

Auswahl auf Grundlage der Wertentwicklung

Die einseitige Anlagestrategie, Qualitäts-/Wachstumstitel zu jedem Preis zu kaufen, scheint nunmehr der Vergangenheit anzugehören. Dieser Ansatz konnte nur funktionieren, als die Zinserwartungen kontinuierlich fielen und „schnelles Kapital“ keine Umkehrung der Marktdynamik fürchtete. Dies bedeutet allerdings nicht, dass solche Aktien keine attraktiven Erträge mehr erzielen können. Wenn die zugrunde liegende Geschäftsentwicklung der Unternehmen ein überdurchschnittliches und – wichtiger noch – ein über den Erwartungen liegendes Wachstum unterstützt, bleiben sie attraktiv. Eine Aufwärtskorrektur der Markterwartungen bildet immer einen starken Ertragstreiber, ob es sich nun um ein hoch bewertetes Technologieunternehmen an einem wachsenden Markt handelt oder um einen niedrig bewerteten zyklischen Titel, der von einer Konjunkturerholung profitiert.

Selbst im Jahr 2020 waren Anleger, welche die Wertentwicklung der Unternehmen in ihrem Portfolio richtig einschätzen konnten, in der Lage, eine Outperformance zu erzielen, ohne sich für die Wachstum- oder die Substanzseite entscheiden zu müssen, wie zum Beispiel ein Blick auf den britischen Aktienmarkt zeigt. Bei Anlagen in GlaxoSmithKline, Imperial Brands und Centrica war keine defensive Positionierung gefragt. Aus sehr spezifischen Gründen konnten die Anleger in Just Eat Takeaway, Boohoo oder sogar AstraZeneca infolge von Covid-19 nicht die Erträge verzeichnen, die sie möglicherweise erwartet hatten. Jedoch konnte ein Stock Picker, der in Asos anstatt in Boohoo, in United Utilities anstatt in Centrica und in ein britisches Bauunternehmen anstatt in eine große britische Immobiliengesellschaft wie Land Securities anlegte, hervorragende relative Erträge erzielen. (Die Unternehmensauswahl dient lediglich Illustrationszwecken und als Beispiel für den beschriebenen Anlagestil, sie stellt keinerlei Anlageempfehlung oder Hinweis auf die künftige Entwicklung dar.)

Im weiteren Jahresverlauf von 2021 und darüber hinaus sehen wir ein weniger klares, vielmehr interessanteres Umfeld für Aktien voraus, in dem sich weder Anleger in Qualitäts-/Wachstumstitel noch Substanzanleger durchsetzen können. Ein erstklassiges Unternehmen, dessen Wachstumsraten deutlich über dem BIP-Wachstum liegen und das die Markterwartungen übertrifft, verfügt immer über Potenzial für eine Outperformance. Gleichzeitig werden traditionelle Substanztitel mit nachhaltigen Geschäftsmodellen, die einen stetigen Cashflow generieren können, der ihre günstigen Bewertungen stärkt, immer ihren Platz haben. Der Gegenwind durch ständig weiter sinkende Zinsen, der ihre relative Wertentwicklung bislang beeinträchtigte, wird aller Voraussicht nach nicht anhalten.

Abschließende Erwägungen ...

Über das beste Outperformancepotenzial verfügen künftig Anlageverwalter, die es vermeiden, stark auf eine Makro-Strategie zu setzen, und sich stattdessen auf die Mikro-Entwicklungen konzentrieren. Also Anlageverwalter, welche die Unternehmen in ihrem Portfolio wirklich verstehen, die ihre Unternehmen und die Treiber für branchenweite Veränderungen kritisch hinterfragen und die eingepreisten Markterwartungen auf Einzeltitelebene analysieren.

Mit anderen Worten, Anlageverwalter, die ihre Portfoliounternehmen in- und auswendig kennen, nicht aber Anleger, die auf den momentanen Aktienmarkttrend aufspringen wollen.


© Standard Life Aberdeen

Investitionen beinhalten Risiken. Der Wert von Anlagen und die daraus entstehenden Erträge können sowohl fallen als auch steigen, und es ist möglich, dass ein Investor weniger als den investierten Betrag zurückerhält. Die Wertentwicklung in der Vergangenheit lässt keine Rückschlüsse auf zukünftige Ergebnisse zu.

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