Indische Aktien: Ist eine Rückkehr in den Markt wieder sicher?

Manish Bhatia, Fondsmanager Aktien Indien, beschäftigt sich mit den Fragen, wie sich Anleger für die nächste Konjunkturphase in Indien aufstellen sollten und ob die Aktien des Landes das Schlimmste überstanden haben.

04.04.2012 | 10:32 Uhr

Im vergangenen Jahr ist in Indien so gut wie alles schief gelaufen, was in einer Volkswirtschaft schieflaufen kann: die Inflation schoss in die Höhe, es gab Korruptionsskandale und die Regierung durchlief eine Phase der politischen Lähmung. Doch 2012 legten die indischen Märkte einen erstaunlichen Start hin und verschafften sich einen deutlichen Vorsprung gegenüber der Region insgesamt. Die Rally schien zu schön, um wahr zu sein – und das war sie dann auch.

Die indischen Märkte haben in der Vergangenheit zu stark und zu schnell zugelegt. Und der Einbruch, den wir in jüngster Zeit beobachtet haben, ist vielleicht ein Zeichen dafür, dass es in Indien einige weitere turbulente Monate geben wird. Zwar heißt das nicht, dass eine richtige Erholung überhaupt nicht in Sichtweite ist. Doch es bedeutet, dass die Anleger den Gürtel vielleicht noch ein bisschen länger enger schnallen müssen. Nach unserer Ansicht ist ein nachhaltigerer Aufschwung erst in der zweiten Jahreshälfte wahrscheinlich. Doch bis dahin dürften indische Aktien noch ein wenig Achterbahn fahren.

Der Aufschwung: wenn nicht jetzt, wann dann?

In den ersten Wochen des Jahres profitierten indische Aktien vom globalen Handel durch überverkaufte Anlagen. Indische Aktien waren im vergangenen Jahr nicht nur der am stärksten überverkaufte Markt in der Region. Sie erhielten auch einen zusätzlichen Auftrieb dadurch, dass sich die Anlegerstimmung durch den Inflationsrückgang aufgehellt hat. Vor allem die Lebensmittelinflation ging Ende 2011 – als Ergebnis einer guten Ernte – deutlich zurück, wodurch die Märkte in die Höhe schnellten. Doch in den anderen Bereichen ist die Inflation nach wie vor hoch, was uns sehr beunruhigt. Da sich die Folgen der schwachen Währung erst zukünftig bemerkbar machen werden, dürfte die Inflation noch einige Zeit hoch bleiben. Aus diesen Gründen und weil sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zunächst noch stabilisieren müssen, sind wir der Ansicht, dass die Rallye ein wenig zu früh kam und der anschließende Einbruch dadurch gerechtfertigt war.

Trotz langfristig starker wirtschaftlicher Fundamentaldaten muss Indien in einigen Wirtschaftsbereichen erst noch die Kurve kriegen, bevor sich die Wertentwicklung bei Aktien nachhaltig bessert. Erstens müssen Inflation und Zinssätze sinken. Voraussetzung dafür ist aber eine Abschwächung des Wachstums. Das zeichnet sich zwar bereits ab, doch die Anleger müssen sich noch ein wenig gedulden. Alles in allem lief in Indien im vergangenen Jahr vieles schief. Inflation und Zinsen schossen in die Höhe, Korruptionsskandale er-schütterten den Unternehmensbereich und die Regierung versäumte wichtige politische Entscheidungen. Es ist wahrscheinlich, dass wir in den kommenden Monaten noch einige Rückschläge bei der Marktentwicklung auszuhalten haben.

Auf welche Zeichen müssen Anleger bei einer nachhaltigen Rallye achten?

Vor einer nachhaltigen Erholung bei Aktien müssen zunächst einmal die Zinssätze zurückgehen, womit erst in der zweiten Hälfte dieses Jahres zu rechnen ist. Doch vor einer Zinssenkung muss es einen Konjunkturabschwung geben, der sich sich in vielerlei Hinsicht bereits abzeichnet. Der Konsum ist seit sechs neun Monaten, der Investitionsbereich seit über einem Jahr rückläufig. Da sich die Konjunktur weiter entspannt, gehen wir davon aus, dass auch die strukturelle Inflation langsam zurückgehen wird. Das dürfte nach unserer Einschätzung in den kommenden vier oder fünf Monaten der Fall sein.

Unter diesen Umständen muss dann die Regierung ihre Politik ändern, um Investitionen und Konsum anzukurbeln. Das bedeutet, dass die zurückgehaltenten Infrastrukturmaßnahmen wie  der  Bau von Straßen und Kraftwerken sowie die Stabilisierung der Brennstoff- und Wasserpolitik wieder in Gang kommen müssen. An diesem Punkt wird unserer Ansicht nach wieder der Investitionssektor und damit auch der Konsum anziehen.  Erst dann ist der Weg für eine nachhaltige Rally geebnet.

Müssen sich indische Anleger über das weltweite Geschehen Sorgen machen?
Wie stark wirkt sich der Abschwung im Westen auf die indische Wirtschaft aus?


Die indische Wirtschaft ist sehr kapitalhungrig. Denn es herrscht stets Kapitalknappheit. Daher neigt das Land zu hohen Zinssätzen und ist für sein Wachstums auf viel Kapital von außen angewiesen. Die Schwäche an den weltweiten Kapitalmärkten sorgt dementsprechend für einen kräftigen Gegenwind. Andererseits  ist Indien nicht sehr stark vom Außenhandel abhängig. ImGegensatz zu vergleichbaren Staaten ist das Land weniger auf die Exportnachfrage aus dem Westen angewiesen, wie Abbildung 1 zeigt. Dadurch dürfte sich das Land gegenüber einer Verschlechterung der weltweiten Wirtschaftslage als relativ widerstandsfähig erweisen.

Abbildung 1: Kein vergleichbares Land in Asien ist gegenüber einem Exportrückgang so wenig anfällig wie Indien
Verhältnis Exporte/BIP für größere Volkswirtschaften, Ende der Kalenderjahre 2008–2010 (%) – Mrd. USD


Quelle: World Bank, IWF, Schätzungen von Kotak Institutional Equities
Quelle: RBI, Finanzministerium, Citi

Inwieweit haben sich Ihre Prognosen für den Markt in den letzten Monaten geändert?

Inflation ist ein Problem, das uns mittlerweile größere Sorgen bereitet. Die strukturelle Inflation scheint sich festzusetzen. Wir rechnen damit, dass sie in den kommenden fünf Jahren auf über 6 bis 6,5 Prozent steigen könnte. Darüber hinaus dürfte das Steuerdefizit durch populistische Regierungsmaßnahmen wie Mittelzuweisungen an den ländlichen Raum und an den Sozialbereich hoch bleiben. Das hat zur Folge, dass Inflation und Zinssätze mittelfristig höher sein werden, als es der Markt bisher gewohnt war.

Woran orientieren Sie sich angesichts der aktuellen Bedingungen bei Ihren Anlageentscheidungen?

Trotz der aktuellen Herausforderungen finden wir weiter interessante Ideen in dem Markt. Denn unser fundamentaler Bottom-up-Ansatz macht es uns möglich, die besten langfristigen Möglichkeiten in einer der beweglichsten Volks-wirtschaften der Welt ins Visier zu nehmen. Der Verbraucher wird die treibende Kraft hinter dem Wirtschaftswachstum der Region und der ganzen Welt sein. Allerdings halten wir es nicht für klug, der Menge zu folgen, indem wir in die nahe liegenden Konsumtitel investieren. Denn diese sind mittlerweile deutlich überbewertet. Stattdessen suchen wir nach innovativen Wegen, uns dieses Wachstum zu Nutze zu machen. Insbesondere suchen wir nach Unternehmen, die in der Lage sind, das Potenzial des ländlichen Konsums ausfindig zu machen. 

Staatliche Mittelzuweisungspläne, Rohstoffinflation und landwirtschaftliche Förderprogramme lassen die Einkommen im gesamten ländlichen Raum in Indien steigen(siehe Abbildung 2). Allerdings istder Konsum in diesen Regionenpro Kopf gesehen, immer noch niedrig. Dieser Marktbereich dürfte daher in Zukunft das stärkste Konsumwachstum erleben. Das Aufstiegsdenken nimmt in den ländlichen Kommunen immer mehr zu und der Kauf von Elektrogeräten wird dort immer wichtiger.

Abbildung 2: Der Konsum in ländlichen Gegenden wird durch staatliche Investitionen gefördert
Die staatlichen Ausgaben für den ländlichen Raum, März bis Ende des Geschäftsjahres, 2005–2012 BE (Mrd. Rs)

Quelle: Finanzministerium, Ausgabenetat, Kotak Institutional Equities

Ein weiteres Thema, auf das wir uns konzentrieren, ist der Gesundheitsmarkt und hier vor allem der Pharmabereich. Da die westlichen Staaten ihre Gesundheitskosten senken müssen,  sind sie durchaus bereit, Generika anstatt der teureren Markenprodukte zu kaufen. Die indischen Pharmaunternehmen dürften von diesem Trend stark profitieren.

Auch dem Sektor IT-Dienstleistungen dürfte eine ähnliche Verlagerung zu Gute kommen. Hier sind es jedoch nicht die Regierungen, die Kosten sparen wollen, sondern westliche Unternehmen auf der Suche nach preiswerteren Alternativen, die ihre IT-Dienste in größerem Maße nach Indien auslagern.

Was sind für Sie die größten Risiken, wenn sich die Konjunktur am Markt abschwächt?

Am meisten Sorge beim Übergang in diese Konjunkturphase bereitet uns die Verschuldung im Unternehmensbereich. Da die Zinssätze in diesem Jahr hoch bleiben dürften, werden übermäßig verschuldete Unternehmen schwer an dieser Last zu tragen haben. Besonders auf der Hut sind wir bei Unternehmen mit Darlehen in ausländischer Währung, da die Rupie wegen des indischen Handelsdefizits etwas nachgeben könnte. Entsprechend achten wir sehr genau auf den Schulden-stand, wenn wir eine Anlageentscheidung treffen.

In Indien gibt es private und staatliche Banken. Vor allem Letztere verzeichnen verstärkt notleidende Kredite, hauptsächlich aus dem Agrarsektor und von klein- und mittelständischen Betrieben.

Außerdem machen wir einen Bogen um den Telekommunikationssektor. Grund dafür ist zum einen der hohe Wettbewerb und zum anderen das zunehmende Risiko dieser Unternehmen auf Gesetzesebene, da die Regierung hier der Korruption den Kampf angesagt hat.

Was sind die stärksten Gründe dafür, sich 2012 Gedanken über eine Rückkehr an den indischen Markt zu machen?

Nach den Turbulenzen im Jahr 2011 sprechen alle Zeichen dafür, dass die Wirtschaft das Schlimmste hinter sich hat. Und dass Anleger nun die Möglichkeit haben, sich an der langfristigen Wachstumsstory in Indien zu beteiligen. Hier sind die wichtigsten Gründe, die für Indien sprechen:

  • Hochwertige Unternehmen: Am indischen Markt dominieren private Unternehmen – im Gegensatz zu vielen anderen Märkten der Region und hier vor allem China. Durch ihren großen Anteil an privaten Firmen wird die indische Wirtschaft von Unternehmern angekurbelt, die wiederum in der Regel sehr shareholderorientiert sind.
  • Langfristige Dynamik: Trotz einiger kurzfristigen Konjunkturdellen ist die langfristige Wachstumsdynamik Indiens nach wie vor intakt. Im Gegensatz zu China, wo die Bevölkerung rapide altert, ist Indien eines der jüngsten Länder der Welt: Über 50 Prozent der Einwohner sind hier unter 25. Das Land ist eine Demokratie mit einer ehrgeizigen Bevölkerung und einer nach den Maßstäben der Region relativ offenen Wirtschaft. Obwohl das Land 1,2 Milliarden Einwohner hat, ist seine Wirtschaft nur ein Drittel so groß wie die von China: Indien hat also noch ein sehr hohes Wachstumspotenzial.

Interessante Fakten über Indien

  • Indien ist eine der jüngsten Nationen der Welt: 53 % der Einwohner sind unter 25.
  • 34 % der Entwicklungsmitarbeiter von Microsoft, 25 % der von IBM und 17 % der Wissenschaftler von Intel sind Inder.
  • Angebot von 23 Millionen Fachkräften – deren Zahl jährlich um eine halbe Million zunimmt.
  • In dem Land gibt es die größte Anzahl von Werken außerhalb der USA mit einer Zulassung der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde (FDA).
  • Über 50 % der Fortune-500-Unternehmen lagern nach Indien aus.
  • Viertgrößte Volkswirtschaft in Bezug auf Kaufkraftparität – auf bereinigter Basis (zehntgrößte auf Basis des absoluten BIP).
  • 45 % aller in den vergangenen Jahren in den USA ausgestellten H1B-Visa gingen an Inder.
  • Die indische Filmindustrie ist mit über 800 Produktionen pro Jahr die größte der Welt!

Die Pressemitteilung im pdf-Dokument.

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