Janus Henderson: Europäische Aktien - back to school

In der nördlichen Hemisphäre beginnt im September für gewöhnlich das neue Schuljahr, in dem der „Lehrplan“ in diesem Jahr umfangreicher scheint als sonst.

18.09.2017 | 13:22 Uhr

(Foto: Tim Stevenson)

Da wären als Erstes die Brexit-Verhandlungen, die zunehmend die Gemüter erregen angesichts der mit dem Gemeinschaftsgedanken nicht zu vereinbarenden Rosinenpickerei aufseiten der Briten – in Analogie zu einem Ausspruch des britischen Außenministers Boris Johnson. Wer sich mit Verarbeitungsprozessen auskennt, weiß, dass Lieferketten hoch komplex und in unserer heutigen Welt eng verzahnt sind. In den 15 Monaten seit dem Referendum haben sich die meisten Austrittsbefürworter von einem „harten Brexit“ distanziert, schwant ihnen doch inzwischen, wie groß sein Schaden für die britische Wirtschaft und die Bürger des Landes wäre. Die von den Brexit-Unterstützern versprochenen blühenden Landschaften sind eine Mär, und der konservativen Partei fehlt es offenkundig an Lösungen für den angerichteten Schlamassel. Wichtiger ist indes die Frage, ob das den Briten als geeinte Nation gelingen kann. Sie wird den „Lehrplan“ der Briten im neuen Schuljahr bestimmen.

Hat Europa seine Lektion gelernt?

Nach der Bundestagswahl am 24. September dürfte Deutschland erneut von einer wie auch immer gearteten Koalition unter Führung von Kanzlerin Merkel regiert werden. Der Wahlausgang in Frankreich, Ungarn und den Niederlanden in den ersten Monaten des Jahres dürfte Europas Regierungen zumindest eine gewisse Atempause verschaffen, erteilten die Wähler den in den Medien stark beachteten rechtspopulistischen, EU-feindlichen Bewegungen doch eine klare Absage. Ein Großteil der Kritik an der EU im Vorfeld der Brexit-Abstimmung war unseres Erachtens durchaus berechtigt. Und über einige der strittigen Punkte wird nun offen debattiert. Die Türkei etwa war Thema beim TV-Duell zwischen Kanzlerin Merkel und ihrem sozialdemokratischen Herausforderer Martin Schulz. Unerwartet ließ sich Merkel zu dem Versprechen hinreißen, sie werde versuchen, die EU-Beitrittsgespräche mit den Türken zu beenden. Auf der Agenda stehen derweil noch viele andere Themen, und es bleibt abzuwarten, ob es Frankreich und Deutschland gelingt, künftig wieder stärker an einem Strang zu ziehen.

Frankreichs Präsident Macron hat umfangreiche Reformen zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes in Angriff genommen, die das Wachstum ankurbeln sollen. Wie in Frankreich üblich, wird das für wütende Proteste sorgen. Aber diesmal scheinen die Franzosen zu spüren, dass Reformen überfällig sind. Macrons Strategie, die nötigen Gesetzesänderungen im Eilverfahren durchs Parlament zu drücken, ist nicht unumstritten. Aber mithilfe enggetakteter, intensiver Gespräche mit dem Ziel, den wichtigsten Beteiligten, d.h. Gewerkschaften und Wirtschaft, Zugeständnisse zu machen, ohne neue Hürden aufzubauen, könnte er den Protesten den Wind aus den Segeln nehmen.

In Italien hat sich die Lage unterdessen beruhigt. Hier könnte in den nächsten Monaten jedoch die nächste politische Nagelprobe drohen. Allerdings ist heute die Richtung, in die sich das Land bewegt, deutlich klarer als noch vor einem Jahr. Unter dem Strich bleibt festzuhalten: Europa hat einen anderen Kurs eingeschlagen als von Politikern wie Nigel Farage aus Großbritannien, Geert Wilders aus den Niederlanden oder US-Präsident Donald Trump, der den Brexit gutheißt, gewünscht.

Euro-Stärke wirft einen Schatten auf die Erholung in Europa

Als Reaktion auf die starke Konjunkturerholung in den europäischen Ländern war eine gewisse Aufwertung der Gemeinschaftswährung gegenüber dem Dollar zu erwarten. Am 28. August erreichte der Euro jedoch die Marke von 1,20 zum Dollar und schoss damit über sein Ziel hinaus. Bundesanleihen mit zehn Jahren Laufzeit rentieren inzwischen erfreulicherweise nicht mehr wie noch vor einem Jahr im Minus. Aber vom starken Euro geht zweifellos Gegenwind für die Unternehmensgewinne aus. In den letzten Wochen haben bereits zahlreiche Analysten ihre Gewinnprognosen für all jene Unternehmen nach unten korrigiert, die einen erheblichen Teil ihres Gewinns in Dollar erwirtschaften. Im Schnitt mag sich das Gewinnwachstum in Europa in diesem Jahr bei 10–12% einpendeln. Im kommenden Jahr aber dürfte es schwerlich eine ähnliche Größenordnung erreichen. Dabei müssen die Zahlen jedoch im Gesamtzusammenhang gesehen werden. In den Jahren zuvor tat sich Europa schwer, das von vielen erwartete Gewinnwachstum zu erzielen, das in diesem Jahr jedoch Fahrt aufzunehmen scheint. Und in vielen Industriezweigen, nicht zuletzt der Finanzbranche, könnte sich die starke Gewinnerholung auch im nächsten Jahr fortsetzen.

Für Anleger mit Pfund als Basiswährung fällt die Bilanz an Europas Märkten in diesem Jahr sehr erfreulich aus. Gemessen in Lokalwährung dagegen sind die führenden Märkte in der Region in den ersten acht Monaten größtenteils um weniger als 5% vorgerückt. Das scheint mir eine doch eher missgünstige Reaktion auf die stabilere politische Lage (von Großbritannien einmal abgesehen) und das neuerliche Wirtschafts- und Gewinnwachstum auf dem alten Kontinent. Ich vermute daher, dass Europas Aktienmärkte im nächsten Jahr noch deutlich Luft nach oben haben.

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