Silber auf Rekordkurs: Anpfiff zur zweiten Halbzeit
Seit einigen Monaten zieht der Silberpreis kräftig nach. In unserer sechsteiligen Serie gehen wir der Frage nach, inwieweit das „Gold des kleinen Mannes“ vor dem Beginn einer Neubewertung steht. Teil 1: So stellt sich die aktuelle Lage dar.13.10.2025 | 13:30 Uhr von «Tim Bröning»
Vieles spricht für Letzteres. Denn anders als in früheren Edelmetall-Bullenmärkten handelt es sich nicht um eine reine Spekulationsblase, sondern um ein solides Fundament: horrende Staatsschulden, strukturell erhöhte Inflation, geopolitische Unsicherheit und der Wunsch nach Sicherheit. Gold hat darauf bereits reagiert – Silber könnte jetzt folgen, diesmal sogar unterstützt durch industrielle Nachfrage.
Ein Blick in die Geschichte der Edelmetallmärkte zeigt ein wiederkehrendes Muster: Zuerst läuft Gold. Getrieben von Safe-Haven-Flows, von Zentralbankkäufen und dem Vertrauen, dass es seinen Wertspeicherstatus erfüllt. Dann folgen die Goldminen, sobald steigende Preise in höheren Margen sichtbar werden. Ab etwa der Mitte des Bullenmarktes übernimmt traditionell Silber das Zepter. Das war so in den 1970ern, das war so im Zyklus 2008 bis 2011 – und es zeichnet sich ab, dass es auch diesmal wieder so laufen könnte. Der Grund: Silber ist ein Hybridmetall. In der frühen Phase bremst der Industriecharakter, doch wenn die Konjunktur anzieht und Investoren die Knappheit entdecken oder Gold „gefühlt zu teuer wird“, beschleunigt Silber – meist explosiv.
Die Fakten untermauern dieses Szenario. Geologisch kommt Silber etwa 17- bis 20-mal häufiger in der Erdkruste vor als Gold. Preislich aber ist das Verhältnis völlig aus dem Ruder gelaufen. Die Gold-Silber-Ratio liegt heute bei rund 75–80, der langfristige Durchschnitt bei 55–60. Und in antiken Münzsystemen entsprach das Verhältnis gar nur 15:1. Allein eine Rückkehr in Richtung Durchschnitt würde Silber noch erhebliches Aufwertungspotenzial verleihen.
Gute Chancen auf weitere Kursgewinne
Während praktisch alles je geförderte Gold weiterhin existiert – gehortet in Tresoren oder verarbeitet in Schmuck – wird Silber tatsächlich verbraucht. Und zwar genau in den strukturellen Megatrends unserer Zeit: Die E-Mobilität braucht Silber für Batterien und Kontaktmaterialien, die Energiewende für Solarzellen, die Digitalisierung für 5G-Netze und Hochleistungschips. Die Welt der Zukunft ist ohne Silber nicht funktionsfähig und vieles ist nicht recyclingfähig. Silber verschwindet also dauerhaft, u.a. in Milliarden von Endgeräten.
Während die Nachfrage stetig wächst, kämpft das Angebot seit Jahren mit Defiziten. Das Silver Institute beziffert die Fehlmengen seit 2021 auf kumuliert fast 700 Millionen Unzen. Die offiziellen Lagerbestände in London und bei der COMEX sind entsprechend zurückgegangen – ein klarer Hinweis, dass die Angebotsseite nicht Schritt halten kann. Kommt zu diesem knappen physischen Markt die zusätzliche Nachfrage der Investoren hinzu, entsteht ein überproportionaler Hebel.
Selbst Zentralbanken entdecken Silber. Russland hat angekündigt, Silber explizit in seine Staatsreserven aufzunehmen – eine bemerkenswerte Premiere nach Jahrzehnten, in denen ausschließlich Gold als offizielles Reservemetall galt. Dass parallel Konzerne wie Apple oder Samsung Silber in ihren Produktionsketten unverzichtbar benötigen, zeigt nur umso mehr, dass hier eine Nachfragefront auf zwei Seiten gleichzeitig entsteht.
Es ist eine Nachfrage, die auf einen relativ kleinen Sektor trifft - der Markt der Produzenten ist winzig. Dies gilt auch für die Marktkapitalisierung. Der gesamte Silberminen-Sektor bringt an der Börse nämlich gerade einmal rund 200 Milliarden US-Dollar auf die Waage – so viel wie ein einzelner Big-Tech-Konzern manchmal an einem Handelstag schwankt. Selbst die Goldminen mit knapp 600 Milliarden Marktkapitalisierung sind kleiner als Tesla.
Das macht die Anlage in Silberminen besonders spannend. Denn ähnlich wie Goldminen auf den Goldpreis besitzen auch Silberminen einen operativen Hebel auf den Silberpreis. Steigt der Preis des Metalls, erhöhen sich die Umsätze sofort, während die Kostenstruktur weitgehend fix bleibt – die Gewinnmargen weiten sich damit also aus. Dieser Gewinnhebel schlägt sich meist überproportional in den Aktienkursen nieder. Denn kommt es aufgrund der hohen und für jede sichtbare Margenerhöhung zu Kapitalzuflüssen aus dem riesigen Anleihe- oder Techsektor in den kleinen Silberminenmarkt, kann daraus ein regelrechter Kurs-Tsunami entstehen. Und weil es nur eine Handvoll großer, liquider Silberwerte gibt, verstärkt sich dieser Effekt zusätzlich.
Setzt man all diese Puzzleteile zusammen, ergibt sich ein klares Bild: Sollte Silber das alte Allzeithoch von 51 Dollar nachhaltig überwinden, wäre das nicht der Auftakt zum nächsten Crash, sondern womöglich der Start einer Neubewertung für Silber UND Silberminen. Rein rechnerisch würde eine Rückkehr der Ratio in Richtung des historischen Mittels dreistellige Silberpreise rechtfertigen – insbesondere, wenn Gold auf hohem Niveau bleibt oder weiter steigt.
Silberpreis in US-Dollar:
Wenn man den Edelmetallbullenmarkt mit einem Fußballspiel über 90 Minuten vergleicht, dann stehen wir also vermutlich nicht in der Nachspielzeit, sondern eher in der Halbzeit. Die erste Halbzeit hat Gold dominiert, jetzt wird Silber eingewechselt – und ist bekannt dafür, in der zweiten Hälfte die entscheidenden Tore zu schießen. Das Spiel läuft also noch länger. Und wer Silber unterschätzt, könnte am Ende das schönste Tor des Abends verpassen.
Zum Autor: Tim Bröning ist Diplom-Ökonom und Betriebswirt und bereits seit über 30 Jahren an der Börse und im Finanzmarkt aktiv. Er arbeitete viele Jahre bei der Siemens AG sowohl im Energiebereich als auch für den Zentralvorstand in der Strategie- sowie M&A-Abteilung, wo er sich früh mit Marktanalysen, strategischer Ausrichtung und Unternehmensbewertung beschäftigte. Die letzten 15 Jahre war er ausschließlich in hohen Führungspositionen im Finanzdienstleistermarkt tätig, wo er sich u.a. auf makroökonomische Fragestellungen, die Fondsanalyse und Fondsauswahl fokussierte. Einer besonderer Fokus gilt seit Jahren dem Rohstoffmarkt. Tim Bröning ist heute selbständig. Mehr unter www.broening-investment.de.
Kommende Woche lesen Sie an gleicher Stelle Teil 2 der TiAM- Serie zu Silber: „Silber zwischen Energiewende, Industrie und Investor – wo die echte Nachfrage herkommt“