„Individuelle Geldanlage ist mehr als der MSCI World!“

Sebastian Gertler von Leonteq über die Grenzen des ETF-Hypes, die Vorteile individueller Zertifikate-Lösungen und die Renaissance strukturierter Produkte.

05.12.2025 | 12:40 Uhr von «Jörn Kränicke»

TiAM FundResearch: Herr Gertler, fünf Jahre nach Corona hat die Digitalisierung die Finanzwelt massiv verändert. Gerade ETFs scheinen ein Allheilmittel zu sein. Ist das aber wirklich so? 

Sebastian Gertler: ETFs ermöglichen es Anlegern Ihr Geld kostengünstig und breit diversifiziert anzulegen. Investieren in Aktien war noch nie so einfach. Schneller Zugang und eine große Auswahl an Produkten können aber auch Verwirrung stiften. In den USA gibt es inzwischen z.B. mehr ETFs als Aktien. Hierzulande preisen Podcasts und Ratgeber vielfach den MSCI World an – einfach kaufen, liegen lassen, fertig. Das klingt simpel – ist es aber nur auf den ersten Blick. Die Problematik: Es gibt nur einen MSCI World, aber ganz unterschiedliche Zielstellungen unter Anlegern. 

Was spricht dagegen, einfach in einen ETF wie den MSCI World zu investieren? 

Gertler: ETFs sind großartige Instrumente, aber nicht für jeden Anleger und in jeder Lebensphase das ausschließliche Investment. Der MSCI World ist stark auf die USA und auf Technologie-Werte konzentriert. Wer einen Anlagehorizont von 20 oder 30 Jahren hat, kann Kurseinbrüche aussitzen und sollte am Ende mit seinem ETF-Portfolio solide positioniert sein. Wer hingegen bereits Gedanken an die Rente hegt oder größere Investitionen im Blick hat, sollte den Fokus vor allem auf das Risiko seines Portfolios legen. Es geht also nicht um die Frage MSCI World oder ETFs ja oder nein. Die Aufgabenstellung sollte vielmehr lauten: Wie viel ETF passt zu mir und wie lassen sich künftige Cash-Flows aus dem Depot so steuern, dass Sie zu meiner Lebensplanung passen. 

 „Strukturierte Produkte können helfen Risiken zu reduzieren und Cashflows planbarer zu machen“ 

Und hier kommen strukturierte Produkte ins Spiel? 

Gertler: Zertifikate sind kein Ersatz, sondern können eine Ergänzung zu aktiv gemanagten Fonds, ETFs oder Aktien sein. Sie helfen, Risiken zu reduzieren und Cash-Flows planbarer zu machen. Nicht alle Anleger können oder wollen das volle Risiko, das mit Aktieninvestments einhergeht, tragen. Für diesen Teil der Investoren können strukturierte Produkte eine sinnvolle Beimischung darstellen. Während Aktien, Fonds und ETFs i.d.R. nur lineare Auszahlungsprofile bieten, liegt der Hauptvorteil von Zertifikaten in der Absicherung von Risiken. 

Manche Anleger verbinden Zertifikate mit Spekulation oder Komplexität. Woher kommt dieser Ruf? 

Gertler: Der Grundgedanke von strukturierten Anlageprodukten ist defensiv. Vom Gesetzgeber werden Zertifikate, da Sie i.d.R. aus mehreren Finanzinstrumenten zusammengesetzt sind als komplex eingestuft. Das bedeutet aber keineswegs, dass sie auch kompliziert sind, im Gegenteil. Heute sind es vor allem Zinsprodukte, Kapitalschutzprodukte sowie Expresszertifikate und Aktienanleihen, welche das Zertifikate-Geschäft ausmachen. Diese Produktkategorien dienen allesamt der Risikominimierung und stehen für mehr als 80 Prozent des ausstehenden Volumens. Mit diesen Produkten helfen wir Anlegern, Risiken zu managen und Portfolios abzusichern. Jedes Finanzinstrument kann missbraucht werden und für jede Produktkategorie lassen sich regelmäßig Negativbeispiele finden. Der Fall Wirecard hat nicht zum Ende der Aktienkultur geführt und genauso sollte ein u.U. schlecht konzipiertes Zertifikat nicht die Sinnhaftigkeit strukturierter Produkte in Frage stellen. Für unsere Kunden halten wir daher i.d.R. auch keine Produkte von der Stange bereit, sondern setzen ausschließlich individuelle Lösungen um.

 „Wir verkaufen keine Produkte, wir bauen Lösungen“ 

Leonteq ist in Deutschland seit vielen Jahren aktiv, gilt aber nach wie vor als Spezialanbieter. Wie würden Sie Ihre Position am Markt beschreiben? 

Gertler: Wir sind aktuell in Deutschland erfolgreich im Bereich der individuellen Anlagenlösungen und noch kein Vollanbieter inklusive Hebelprodukte. Wir konzentrieren uns auf passgenaue Anlagezertifikate wie Aktienanleihen oder Express-Strukturen und insbesondere auf maßgeschneiderte Lösungen für Vermögensverwalter, Haftungsdächer, Sparkassen und Privatbanken. Wir fungieren dabei nicht nur als Emittent, sondern auch als Service- und Sparringspartner. Allerdings arbeiten wir bereits an der Ausweitung unserer Aktivitäten in Deutschland. So werden wir zum Beispiel das in diesem Jahr erfolgreich in der Schweiz gestartete Massengeschäft für Hebelprodukte bald auch in Deutschland anbieten. Das wird unser Profil hierzulande deutlich stärken. 

Was unterscheidet Leonteq von anderen Emittenten? 

Gertler: Leonteq ist keine Universalbank, sondern agiert als Wertpapier-Emissionshaus welches unter die Bankenregulierung fällt. Für Anleger bedeuten die hohen Regulierungsstandards eine erhöhte Sicherheit. Gleichzeitig bietet das spezialisierte Geschäftsmodell von Leonteq auch einen klaren Fokus und Überschaubarkeit. Insgesamt ist Leonteq ein relativ junges Unternehmen. Vieles konnte auf der grünen Wiese aufgesetzt und entwickelt werden, das macht das Unternehmen technologisch stark, schlank und effizient. Außerdem verstehen wir uns als Partner, nicht nur beim Emittieren, sondern über den gesamten Lebenszyklus eines Produkts hinweg – von der Idee bis zur aktiven Verwaltung. Auch können wir unseren Kunden besicherte Produkte (ETP+) offerieren. Die ETP+ Produkte bieten den Anlegern eine erhöhte Sicherheit, indem die Sicherheiten bei der SIX SIS AG als Pfand verwahrt werden und durch SIX Repo AG überwacht werden. Die Verwahrstelle wie auch der Treuhänder haben ihren Sitz in der Schweiz und somit außerhalb der EU. 

„Digitalisierung und Automatisierung sind der Schlüssel zur Steuerung von Komplexität“ 

Wie sieht diese Begleitung in der Praxis aus? 

Gertler: Ein zentrales Element ist unser digitales Lifecycle Management. Unsere Kunden können alle Produkte in Echtzeit überwachen, automatische Alarme setzen und so Risiken gezielt managen. Digitale Tools helfen, Komplexität kontrollierbar zu machen – ohne sie wäre es bei der heutigen Vielfalt der Produkte gar nicht mehr möglich den Überblick zu behalten. 

Welche Rolle spielt die Digitalisierung für Leonteq insgesamt? 

Gertler: Eine sehr große. Unsere Plattform ermöglicht es Partnern, Produkte selbst zu kalkulieren, Marktbedingungen zu prüfen oder Reporting-Funktionen zu nutzen. So schaffen wir Transparenz und Geschwindigkeit – zwei entscheidende Erfolgsfaktoren. 

„Partnerschaft endet nicht mit der Produktemission“ 

Neben der Technologie betonen Sie die Bedeutung von Partnerschaft. Wie unterstützen Sie Ihre Kunden im Vertrieb? 

Gertler: Unsere Kunden erhalten nicht nur digitale Werkzeuge, sondern auch MiFID-konforme, verständliche Marketingunterlagen. Wir ergänzen regulatorische Dokumente wie das Basisinformationsblatt mit übersichtlichen Factsheets, die Produkte greifbar machen. Das hilft Beratern enorm beim Kundengespräch. 

Sie erwähnten auch ein Partner-Modell. Was steckt dahinter? 

Gertler: Leonteq ist ein eigenes Emissionshaus, arbeitet aber auch mit anderen Emittenten zusammen – etwa mit Raiffeisen Schweiz oder der Banque Internationale à Luxembourg. So kann der Kunde den Emittenten selbst wählen und das Risiko über mehrere Häuser streuen. Dieses Netzwerk ermöglicht uns Wachstum, ohne Allokationsgrenzen zu erreichen. 

Welche Trends sehen Sie aktuell im Zertifikatemarkt? 

Gertler: Zwei Entwicklungen stechen hervor: aktiv gemanagte Zertifikate – im Prinzip Fondsstrategien im Zertifikatemantel – und quantitative Investmentstrategien (QIS). Letztere stammen aus dem institutionellen Bereich und ermöglichen Themeninvestments wie künstliche Intelligenz mit zusätzlichem Risikopuffer. 

Was bedeuten diese Innovationen langfristig? 

Gertler: Die Grenzen zwischen institutionellen und privaten Anlegern verschwimmen. Dank unserer Technologie können auch Privatanleger – über ihren Berater – Strategien nutzen, die früher nur Großinvestoren offenstanden. Das ist die neue Investmentwelt: individuell, transparent und steuerbar. 

Wie entwickelt sich der Markt für strukturierte Produkte aktuell? 

Gertler: Das Marktvolumen wächst, vor allem weil Zinsprodukte wieder attraktiv geworden sind. Expresszertifikate und Aktienanleihen halten sich stabil. Insgesamt erkennen viele Anleger, dass sich ihre in den vergangenen Jahren aufgelaufenen Gewinne besser absichern lassen, wenn man strukturierte Produkte gezielt einsetzt. 

Zum Schluss noch ein Blick in die Zukunft: ETP plus versus ETF – wo liegen die Unterschiede? 

Gertler: Ein ETF ist standardisiert, ein ETP plus dagegen individualisierbar. Beide haben ihre Berechtigung, aber beim ETP plus kann man Struktur, Basiswerte und Risiko-Rendite-Profil exakt an die Anlegerbedürfnisse anpassen. Damit verbinden wir die Sicherheit einer klaren Hülle mit der Flexibilität maßgeschneiderter Gestaltung – genau das ist der Mehrwert den wir als Leonteq bieten können.

Diesen Beitrag teilen: