Tilmann Galler: „Ich gehe nicht davon aus, dass die Rally bald endet“
Tilmann Galler, Kapitalmarktexperte bei J.P. Morgan Asset Management, spricht im Interview über die Aktienhausse, Inflationstrends und die Chancen von Sachwertinvestments.11.11.2025 | 10:00 Uhr von «Peter Gewalt»
TiAM FundResearch: Herr Galler, die Börsen laufen und laufen. Viele Anleger sehen das mit Unbehagen. Wie ist Ihre Meinung?
Tilmann Galler: Das Unbehagen kann ich nachvollziehen. Der Bullenmarkt hat ja zuletzt sogar trotz geopolitischer Spannungen und wirtschaftlicher Unsicherheiten nochmals Fahrt aufgenommen. Aber ich gehe nicht davon aus, dass die Rally bald endet.
Derzeit hilft den Börsen auch die KI-Phantasie. Zu Recht?
Das ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite glaube ich, dass die KI-Anbieter schon in absehbarer Zukunft in einen harten Konkurrenzkampf treten werden, was die Preise drücken wird. Auf der anderen Seite werden die Anwender wie Industrieunternehmen von der KI sehr profitieren. Das ist übrigens auch eine gute Nachricht für den Standort Deutschland mit seiner starken industriellen Basis.
Ist die KI die Lösung aller Wachstumssorgen?
Nein, eine große Gefahr besteht tatsächlich darin, dass die KI schneller Arbeitsplätze vernichtet, als durch sie gleichzeitig entstehen. Ob das so eintritt, lässt sich aber noch nicht absehen.
Insbesondere die Kurse im Technologiesektor werden durch das Thema KI getrieben. Sind die Bewertungen nicht inzwischen viel zu hoch?
Die Bewertungen sind hoch, aber die Gewinnsteigerungen im Tech-Sektor sind ebenfalls beeindruckend. Klar ist aber auch: Sollte die Technologiebranche die hohen Erwartungen nicht erfüllen, drohen Rückschläge.
Wo sehen Sie weitere attraktive Gelegenheiten für Investoren?
Anleger sollten auch außerhalb der USA schauen, etwa nach Japan und Europa. Aber auch Small Caps sind für eine Überraschung gut.
Was ist an Europa interessant?
Europa profitiert besonders vom fiskalischen Rückenwind. Die Lockerung der Schuldenbremse in Deutschland und der Wiederaufbaufonds der EU geben Rückenwind. Besonders Südeuropa zeigt positive Entwicklungen – Länder wie Spanien, Portugal und Griechenland werden für ihre Reformen belohnt.
Sie hatten Small Caps als Investmentalternative erwähnt.
Small Caps sind derzeit besonders interessant. Sie profitieren überdurchschnittlich von sinkenden Zinsen und einem freundlicheren Wachstumsumfeld. Und ihre Bewertungen sind im Vergleich zu großen Tech-Werten deutlich moderater, was sie für Anleger attraktiv macht. Zudem sind viele dieser Unternehmen lokal ausgerichtet und können von regionalem fiskalischem Rückenwind – etwa in Südeuropa oder Japan – profitieren. Gerade in einem Umfeld, das sich von Deflation zu Inflation wandelt, bieten Small Caps Chancen oft überdurchschnittliches Wachstum.
Erwarten Sie denn eine steigende Teuerung?
Das ist ein Risiko für 2026. Die US-Inflation hat sich aktuell zwar zwischen 2,5 und drei Prozent eingependelt, aber es gibt aufgrund der Trumpschen Handels- und Wirtschaftspolitik wachsende Anzeichen für einen erneuten Anstieg, insbesondere bei Gütern. Der Grund ist, dass höhere Zölle und ein schwächerer US-Dollar Importe verteuern. Wenn Unternehmen diese Kosten weitergeben, könnte die Inflation um bis zu 1,4 Prozentpunkte steigen. Aber auch das hohe Lohnwachstum in den USA trägt zur Inflationsgefahr bei.
Welche
Anlageklassen empfehlen Sie zur Absicherung gegen Inflation?
Reale Vermögenswerte wie Immobilien, Infrastruktur und Transport bieten gute
Inflationsschutzqualitäten. Sie korrelieren wenig mit Aktien und Anleihen und
bringen Stabilität ins Portfolio.
Erwarten
Sie langfristig einen noch schwächeren US-Dollar?
Ja, denn die Zinsdifferenz zwischen den USA und der Eurozone nimmt ab, und die
Wachstumsaussichten sind anderswo attraktiver. Wir sehen den fairen Wert des
Dollars gegenüber dem Euro bei etwa 1,26.
Herr Galler, wir danken für das Gespräch.