KI als Renditequelle: Wie TRYCON Märkte systematisch durchleuchtet

Tungsten TRYCON gehört zu den Pionieren im KI-basierten Fondsmanagement. Im Interview erklären Michael Günther und Pablo Hess, wie Millionen strukturierter Daten verarbeitet werden, warum menschliche Kontrolle unverzichtbar bleibt – und wie sich ihre Strategien in Krisenzeiten bewährt haben.

07.10.2025 | 13:00 Uhr von «Jörn Kränicke»

TiAM FundResearch: Sie arbeiten mit einer Vielzahl an Datenquellen. Welche Rolle spielt die Qualität und Auswahl der Daten für die KI-basierten Modelle – und wie stellen Sie sicher, dass es nicht zu Verzerrungen oder sogenannten „Biases“ kommt?

Michael Günther: Ein zentrales Axiom unseres KI-Modells ist es, dass dieses ausschließlich mit sehr soliden Daten gefüttert wird. Strukturierte Finanzinformationen, vornehmlich Preis- und Umsatzdaten, fließen ein. Anders als bei klassischen quantitativen Systemen werden nicht mehrere Hundert, sondern Millionen Datenpunkte ausgewertet. Dies entspricht täglich in 60 Märkten circa 100.000 Seiten eines Buches oder 250 Enzyklopädien.

Ist dies ein Modell oder mehrere?

Michael Günther: An der Analyse und Signalgenerierung arbeiten drei KI-Modellfamilien mit 48 KI-Systemen parallel. Da dies die Basis für die Allokation bildet, legen wir hier höchste Maßstäbe an. Menschliche Vorurteile oder Emotionen lassen sich so fast hunderprozentig herausfiltern.

Wie resilient ist Ihr Ansatz in unterschiedlichen Marktphasen – etwa in volatilen Bärenmärkten oder bei strukturellen Marktveränderungen? Gibt es Backtests oder empirische Beobachtungen über verschiedene Zyklen hinweg?

Pablo Hess: Wir haben aktuell von einem unabhängigen Institut, dem Analysehaus FondsConsult, die Wirkung der Beimischung unseres KI-Ansatzes – der derzeit in zwei Publikumsfonds integriert ist – auf institutionelle Portfolien messen lassen. Der Betrachtungszeitraum umfasst die Jahre 2019 bis heute, also auch schwierige Marktphasen während des Ausbruchs des Angriffskrieges auf die Ukraine und der Corona-Pandemie. In allen untersuchten Portfolios verbesserte eine zehnprozentige bis 25-prozentige Beimischung der KI-Strategie, gemessen an der Sharpe-Ratio, das Ertrags-Risiko-Profil. Bei einem durchschnittlichen Ausgangsportfolio aus 50 Prozent Aktien und 50 Prozent Staatsanleihen (als Basis dienen der MSCI World Net Index und der Bloomberg Global Aggregate Bond Index) konnten die Volatilität um bis zu einem Viertel und maximale Drawdowns um bis zu einem Drittel reduziert werden.

Gerade in Zeiten geopolitischer oder geldpolitischer Umbrüche ändern sich Marktmechanismen mitunter fundamental. Wie reagiert Ihre KI auf solche Regimewechsel – und wie vermeiden Sie, dass historische Korrelationen oder Muster fehlinformieren?

Günther: Wir konzentrieren uns darauf, mittels KI eine marktunabhängige Rendite und eine genuine Diversifikationswirkung für Portfolien zu bieten. Hier können wir den höchsten Mehrwert für Anleger einbringen. Warum denken wir so? Auch unabhängige Analysten und Indexanbieter etwa des NextGen Artificial Intelligence Multi-Manager Index, der rund 45 KI-Investmentstrategien weltweit abdeckt sehen für das Investmentmanagement den größten Wertbeitrag der KI in ihrer geringen Korrelation zu anderen Anlageklassen. Handelssignale, Titelselektion und Portfoliogewichtungen sind andere als bei traditionellen Managern.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?

Günther: Ein konkretes Beispiel auf Ihre Frage: Die KI arbeitet nicht mit „Rückspiegel“ – also anders als traditionelle Trendfolger – und beruht auch nicht auf Hypothesen, sondern soll das Portfolio auch bei Marktumbrüchen, also bei Trendumkehr, robuster machen. Im ersten Quartal des laufenden Jahres nahm die KI etwa mit einer Untergewichtung von US-Indizes und einer Positionierung in europäischen Titeln eine signifikante Marktentwicklung vorweg. Die berechneten Wahrscheinlichkeiten können wir in der bestehenden TRYCON-Fondsstruktur sowohl long als auch short umsetzen.

Lernen Ihre Modelle ständig weiter oder arbeiten Sie mit einem festen Regelwerk? Wie oft wird das System neu trainiert – und inwiefern fließt dabei auch menschliches Research mit ein?

Hess: Wir geben der KI einen Risikomanagementrahmen vor, innerhalb dessen sie agieren darf. Das Portfoliomanagement verifiziert und plausibilisiert die Vorschläge der KI. In der Investmentpraxis haben wir so in den vergangenen Jahren über 55.000 Börsentransaktionen getätigt. Anders als bei generativer KI, wie sie etwa durch Chat GPT und Natural Language Processing (NLP) zunehmend bekannt ist, kommt in unserem Modell prädiktive KI zum Einsatz. Das System lernt regelmäßig mit neuen Daten im Rahmen seiner Machine- und Deep Learning Modelle hinzu. Parallel findet fortlaufend Research statt, um beispielsweise weitere relevante Algorithmen hinzuzufügen.

Wo sehen Sie die aktuellen Grenzen von KI im Asset Management – und wo ist menschliches Urteilsvermögen unverzichtbar?

Günther: Wir sehen dies pragmatisch. Die KI ist ein Werkzeug. In unserem Fall ein Werkzeug zur Erreichung von Dekorrelation und Diversifikation. Mit diesem Werkzeug können wir nachweislich die Sharpe Ratio von Portfolien verbessern. Für den Zugang zu Alpha, den wir über diese Route nehmen, müsste ansonsten – wenn man es vergleichen möchte – eine zwei- bis dreistellige Zahl von Analysten rund um die Uhr beschäftigt werden.

KI-basierte Investmentstrategien nehmen zu. Was unterscheidet Ihre Lösung technologisch und strategisch vom Wettbewerb – insbesondere im Hinblick auf systematische Long/Short-Strategien?

Günther: Ja, KI-basierte Investmentlösungen nehmen zu – die verwalteten Vermögen (AuM) knackten aber nach Auswertungen führender Indexanbieter im vergangenen Jahr gerade erst die Drei-Milliarden-Euro-Marke. Und zwar weltweit. Wir sind eine der ersten Strategien, die KI zentral zur Signalberechnung und Steuerung einsetzt. Aufgrund der sehr geringen Korrelation mit Aktien (-0,01), deutschen Staatsanleihen (-0,14) sowie Gold (-0,03) und Rohstoffen (-0,11) sehen wir uns als aktive Beimischung zu traditionellen Anlagen und als Gegenpol zu passiven ETFs.

Für welche Art von Anleger ist ein KI-Fonds wie der Ihre aus Ihrer Sicht besonders geeignet – und welche Erwartungen sollten Investoren realistisch mitbringen?

Hess: Wir richten uns an Investoren, die eine gleichmäßigere Wertentwicklung, also eine effizientere Kapitalanlage, anstreben. Sowohl institutionelle Anleger als auch Private-Wealth-Berater und Vermögensverwalter haben über diesen Hebel die Möglichkeit, schwankungsarme Zusatzerträge zu erwirtschaften und ihr Portfolio nach Risikoadjustierungsgesichtspunkten zu optimieren. Diese Erträge sind insoweit eine echte „Zusatzrendite“, da sie praktisch nullkorreliert mit Aktien- und Anleihenmärkten zustande kommen. Dies ist in „normalen“ Marktphasen attraktiv und dann, wenn es zu Korrekturen an den Börsen kommt. Denn dann sind dekorrelierte Bausteine wichtig, um Verlustrisiken aus anderen Assetklassen wie Aktien potenziell auszugleichen.

Wie setzen sich die Fonds-Portfolios dann zusammen?

Hess: Das aktive Alpha-Portfolio, über das unsere proprietäre KI-Software läuft, steht bei unseren zwei Publikumsfonds – Tungsten TRYCON AI Global Markets und Tungsten TRYCON AI Global Markets Dynamic – für circa fünf bis zehn Prozent des Gesamtportfolios. Diese Komponente wird flankiert durch ein defensiv-stabiles Anleiheportfolio im Investment-Grade-Bereich. Dadurch wird das Gesamtrisiko begrenzt und kontrolliert. Bei Spezialmandaten kann diese Verteilung – je nach Risikoneigung und Volatilitätsvorgaben – angepasst werden.

Wie wird sich aus Ihrer Sicht die Rolle von KI im Portfoliomanagement in den kommenden fünf bis zehn Jahren entwickeln? Erwarten Sie eine weitere Automatisierung – oder eher eine zunehmende Hybridisierung aus KI und klassischem Asset Management?

Günther: In der Breite werden wohl zunächst Effizienzsteigerungen und Automatisierungen realisiert. Die KI, die wir einsetzen, kann eigenständig Zusammenhänge und Muster aus Finanzdaten erkennen – auch solche nicht-linearer Art. Was bedeutet dies? Ein linearer Zusammenhang liegt vor, wenn sich zwei Variablen in gleichbleibender Weise zueinander verhalten – zum Beispiel: Wenn der Leitzins steigt und Aktienkurse konstant fallen. Bei einem nichtlinearen Zusammenhang kann die KI auch davon ausgehen, dass Aktienkurse zunächst steigen, dann stagnieren und später fallen. Aufgrund der Komplexität der Finanzmärkte und der mannigfachen Einflussfaktoren – etwa Geldpolitik, Fiskalpolitik, Sentiment und weitere – ist diese Fähigkeit enorm wichtig. Die KI kann in vielen Fällen „tiefer schürfen“ als ihr menschliches Pendant. Insbesondere bei großen Datenmengen. Dies ist die Paraderolle der KI und hier wird sie als Partner in den nächsten Jahren immer wichtiger für Analysten und Portfoliomanager werden.

Gab es in den vergangenen Jahren konkrete Marktereignisse, bei denen sich die KI-basierte Steuerung als besonders wertvoll oder – im Gegenteil – als herausfordernd erwiesen hat?

Hess: Ein gutes Beispiel war die brisante Phase während des Beginns der Corona-Pandemie. Hier hat die KI-Strategie ihre Marktunabhängigkeit unter Beweis gestellt und von dieser profitiert. Wir lagen damals über viele Wochen bis zu fünf Prozent im Plus, während hingegen der Gesamtmarkt bekanntlich schwer angeschlagen war. Ein aktuelleres Beispiel ist der chinesische Markt: Hier konnte die KI-Strategie Ende letzten Jahres sowohl den positiven Trend, ausgelöst durch die Kapitalspritze der chinesischen Zentralbank, als auch die darauffolgende Korrektur und Trendumkehr gut abbilden, das heißt, sie profitierte sowohl auf der long- als auch der short-Seite. Auch während des "Yenmaggedon" im August 2024 funktionierte die Contrarian-Strategie im japanischen Yen.

Versuchen Sie in solchen Marktphaseneinen besonders hohen Ertrag aus solchen Chancen zu erzielen?

Günther: Anleger, die bei uns investiert sind, wissen, dass wir nicht den „einen großen Trade“ anstreben. Es geht nicht darum, mit einer einmaligen Positionsgröße ein einmaliges exorbitantes Plus zu erzielen. Es geht um einen verlässlichen Prozess, eingebettet in ein ausgezeichnetes Risikomanagement, mit dem wir eine gleichmäßige und unabhängige Rendite anstreben und das Verhältnis von Rendite zu Risiko unserer Kunden verbessern.

Kommen neben klassischen Machine-Learning-Verfahren auch neuere Ansätze – wie Deep Learning, Reinforcement Learning oder Natural Language Processing – zum Einsatz?

Hess: Wir werten eine siebenstellige Zahl von Preisdaten durch eine Vielzahl von KI- und Machine-Learning-Algorithmen inklusive Deep Learning aus. NLP kommt nicht zum Einsatz.

Wie hoch ist die typische Portfolio-Turnoverrate und wie steuern Sie Handelskosten sowie Liquiditätsrisiken, speziell bei weniger liquiden Märkten?

Hess: Mehrere Prozesse und Maßnahmen sind darauf ausgerichtet die Handelskosten so gering wie möglich zu halten. Die notwendigen täglichen Anpassungen im Portfolio sind jedoch bei einem so dynamischen Ansatz von zentraler Bedeutung.

Wie ist die Zusammenarbeit zwischen KI-System und menschlichen Entscheidern strukturiert? Gibt es einen „Red Button“ oder eine Kontrollinstanz, die kritische Entscheidungen gegebenenfalls ändern kann?

Günther: Wir schauen stets darauf, inwieweit wir Dekorrelationseigenschaften für unsere Investoren einbringen und damit positiven Einfluss auf die Glättung von Schwankungen und das Ertrags-Risiko-Profil des Gesamtportfolios nehmen können. Die KI kann dabei entlang eines vorgegebenen Risikokorsetts agieren, ihr sind klare operative Grenzen gesetzt. In der Kombination der KI mit einem robusten Risikomanagement, das systematisch ist und klar definierten Regeln folgt, sehen wir den stärksten Wertbeitrag.

Haben Sie Erfahrungswerte, wann menschliche Einschätzung der KI überlegen ist – und wie lernen beide Seiten voneinander?

Hess: Bei der Verarbeitung großer Datenmengen, der Erkennung komplexer Muster und der emotionsfreien Entscheidungsfindung ist die KI dem Menschen mittlerweile tatsächlich in vielen Fällen überlegen. Der Mensch bleibt aus unserer Sicht aufgrund seiner kognitiven Fähigkeiten der Protagonist und der Controller – ein Grund, warum der Trend bei vielen Lösungen derzeit in Richtung „Assisted KI“ oder Hybridstrategien geht. Aufgrund unseres langjährigen Track Records klassifizieren wir uns als Lösung mit fortgeschrittenem Reifegrad, vor allem was den täglichen Einsatz von KI zur Positionierung und Allokation betrifft.

Welche Rückmeldungen erhalten Sie von Anlegern bezüglich Transparenz, Verständlichkeit und Vertrauen in KI-basierte Prozesse?

Hess: Traditionelle diskretionäre Ansätze sind häufig von subjektiven Einschätzungen und Emotionen beeinflusst. Dies wollen wir ja bewusst mit unserer Modellarchitektur vermeiden. Zu uns kommen Anleger, die im Sinne gezielter Streuung ihre Core Investments noch besser als bisher ergänzen wollen. Transparenz ist uns wichtig. Wir verwenden mehrere Modelle, um die Entscheidungsfindung zu diversifizieren. Wir können Investoren nachvollziehbar aufzeigen, auf welchem Wege sie Portfolien potenziell unabhängiger von einem alleinigen Szenario steigender Aktien- und Staatsanleihenmärkte machen können. Investoren erhalten im Gespräch etwas tiefere Einblicke bezüglich der Modelle. Die Wirkung unserer nullkorrelierten KI-Beimischung auf das Portfolio ist hundertprozentig messbar. Dies unterscheidet uns von solchen Liquid Alternatives, die sich de facto überwiegend im Gleichlauf mit traditionellen Anlageklassen bewegen.

Sehen Sie angesichts der rasanten Entwicklung von generativer KI (wie ChatGPT & Co.) neue Möglichkeiten oder Risiken für die Vermögensverwaltung?

Günther: Die Wahrnehmung von KI ist durch das Aufkommen generativer Anwendungen wie ChatGPT zuletzt gestiegen. Dass KI nicht nur der Effizienzsteigerung dienen, sondern auch im Anlageprozess zum Einsatz kommen kann, dies ist – und hier dürfen wir uns durchaus als ein Vorreiter sehen – bereits seit vielen Jahren ein Hauptthema für uns. Wir registrieren ein gestiegenes Interesse von Investoren aus dem institutionellen und dem Wholesale-Bereich. Sehr wichtig sind aus unserer Sicht die Datengrundlage und die Auswertungskompetenz dieser Daten in der Vermögensverwaltung. Wir verwenden spezialisierte, eigenentwickelte Modelle. Große Sprachmodelle wie ChatGPT & Co. kommen nicht zum Einsatz.

Zu den Personen: Michael Günther ist für die Entwicklung der proprietären Systemsoftware QuantMatrix verantwortlich, die mittels Künstlicher Intelligenz den Tungsten TRYCON-Fonds steuert. Pablo Hess ist für die Forschung und Entwicklung von KI-basierten und quantitativen Handelsstrategien, sowie im Portfoliomanagement zuständig.

Info: TRYCON ist Teil von Tungsten Capital mit Sitz in Frankfurt am Main. Die Gesellschaft managt zwei KI-Publikumsfonds in Form von long/short Multi Asset. Die KI-Strategie gilt als erste KI-gesteuerte Fondslösung im DACH-Raum mit einem verwalteten Fondsvermögen von über 200 Millionen Euro.

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