„Clean Energy ist viel mehr als Wasserstoff und Tesla“

Beim Thema „saubere Energie“ stehen wir nach Einschätzung von Pictet AM-Manager Walter Liebe am Beginn eines Epochenwechsels. Die Energiewende sei politisch gewollt und werde mit milliardenschweren Investitionsprogrammen gefördert. Im Interview erklärt Liebe, wie Anleger an diesem Megatrend partizipieren können.

31.03.2021 | 13:00 Uhr von «Ronny Kohl»


Walter Liebe im Video


Interview - Update vom 31.03.2021

TiAM: Herr Liebe, sowohl die EU als auch die USA haben gigantische Hilfspakete verabschiedet, die zu einem beachtlichen Teil in nachhaltige Projekte investiert werden sollen. Was wird Ihrer Einschätzung nach davon in das Segment „Clean Energy“ fließen und welche Bereiche dürften konkret profitieren?

Walter Liebe: Was wir feststellen können, ist, dass die Hilfspakete und auch die verschiedenen Initiativen, die es zum Teil auch schon vor Corona gab, zusätzlichen Rückenwind geben, was unter Anlegern eine große Euphorie ausgelöst hat. Und dies, obwohl der Clean-Energy-Sektor schon länger gut performt. Die Unternehmen haben in den letzten zehn Jahren eine Marktbereinigung hinter sich gebracht und sind bereits wieder in ein profitables Wachstum eingetreten. Aus meiner Sicht ist das eine sehr gesunde Entwicklung, weil die Branche damit eine Phase ruinösen Wettbewerbs überstanden und abgeschlossen hat.

TiAM: Was meinen Sie damit?

Ich meine die durch hohe staatliche Unterstützung aufgebaute Solarmodulproduktion in Deutschland, die fast vollständig verschwunden ist. Allerdings war das auch die Anschubfinanzierung für die Photovoltaikentwicklung weltweit. Der deutsche Stromkunde hat letztlich geholfen, die Erzeugungskosten für Solarstrom massiv nach unten zu bringen.

TiAM: Das war aber sicherlich nicht der einzige Auslöser?

Nein, letztlich war es das öffentliche Eingeständnis von Staaten, dass die Energiewende jetzt stattfinden muss – mit den entsprechenden Investitionsprogrammen.

TiAM: Womit wir wieder bei den Hilfspaketen wären.

Richtig. Das ist einerseits der europäische Green Deal, der besagt, dass wir bis 2050 kohlenstoffneutral sein wollen, und andererseits die Corona-Hilfen, die ebenfalls zu einem Großteil für Klimaprojekte und die Energiewende reserviert sind. Am Markt sorgt das für riesige Fantasie.

TiAM: In welche Richtung geht das?

Die Klimaziele der verschiedenen Staaten bedeuten nichts anderes, als dass die Energieerzeugung auf alternative Energieträger umgestellt werden muss.

TiAM: Und das heißt?

Liebe: Dass ein schrittweiser Ausstieg aus Öl, Kohle und Gas stattfindet, der hin zu regenerativen Energieträgern wie Sonne, Wind und Wasser führt. Aber das muss erstmal alles aufgebaut werden – bei zudem weiter steigendem Strombedarf.

TiAM: Welche Bereiche werden hiervon profitieren?

Eigentlich alle, die damit befasst sind – also Infrastrukturausbau, Erneuerung und Upgrade der Stromnetze, Erweiterung der Speichermöglichkeiten usw. Insbesondere mündet das meines Erachtens in weltweite Initiativen zum Ausbau des Wasserstoffsektors und der Solarenergie.

TiAM: Haben wir in puncto Sonnenenergie nicht eigentlich schon einen gewissen Sättigungsgrad erreicht?

Das Potenzial der Solarenergie ist nahezu unbegrenzt, da stehen wir quasi noch ganz am Anfang. Es gibt einerseits noch viele ungenutzte Flächen, andererseits wird bereits experimentiert, wie auch Gebäudeflächen oder Glasfronten zur Energiegewinnung genutzt werden können.

TiAM: Nun ist aber Deutschland nicht gerade ein sonnenreiches Land.

Da sind wir dann sofort beim Wasserstoff. Idealerweise wird an sonnenreichen Standorten – in südlichen Gefilden – grüner Solarstrom produziert und auch gleich in transportfähigen Wasserstoff umgewandelt. Wasserstoff ist ein sehr gutes Speichermedium und für den Transport könnten wir beispielsweise das vorhandene und gut ausgebaute Erdgasnetz nutzen, das ohne größeren Aufwand entsprechend umgerüstet werden könnte. Die Stromspeicherung mittels Lithium-Ionen-Batterien – etwa im Sommer für den Winter – ist demgegenüber sehr aufwendig und die Kapazitäten sind begrenzt.

TiAM: Aber auch Wasserstoff ist ein sehr teurer Energieträger. Bis wann wäre denn hier eine Konkurrenzfähigkeit vorstellbar?

Das muss gar nicht so lange dauern, wenn man bedenkt, dass die Kosten für Solarenergie in den vergangenen acht Jahren um 80 Prozent gesunken sind, oder für Windstrom um 45 Prozent. Zumal zurzeit extrem stark in die Wasserstoffnutzung investiert wird.

TiAM: Wo könnte Wasserstoff denn verstärkt zum Einsatz kommen?

Zunächst möchte ich vorausschicken, dass flüssiger Wasserstoff von der Gefahrenseite her ähnlich wie Erdgas zu betrachten ist. Im Verkehrswesen sehen wir den Einsatz mit Brennstoffzellen in erster Linie im Schwerlastverkehr und weniger beim Personenverkehr, wo wir E-Autos im Vordergrund sehen. Bei Lastwagen muss die notwendige Reichweite beachtet werden, was gegen die Batterielösung spricht.

TiAM: Handelt es sich bei Clean Energy um einen Hype – oder um einen langfristigen Trend?

Sowohl als auch – das Thema saubere Energieerzeugung und Energiewende ist ein sehr langfristiger Trend, der schon vor 20 Jahren begonnen hat. Was wir jetzt sehen, ist der Beginn eines Epochenwechsels. Wir haben den politischen Rückhalt und eine große Bereitschaft von Regierungen und Unternehmen, in dieses Thema zu investieren. Das wiederum hat bei Anlegern einen Hype ausgelöst, der die Kurse von einigen Unternehmen in Höhen getrieben hat, die ein jahrzehntelanges überdurchschnittliches Wachstum unterstellen und aus unserer Sicht nicht mehr viel mit der Realität zu tun haben.

TiAM: Wie lässt sich vermeiden, einem Hype hinterherzulaufen?

Mit Besonnenheit und einem ausgewogenen, breit diversifizierten Portfolio. Wir achten bei unseren Fonds immer darauf, dass wir sie über verschiedene Konjunkturzyklen hinweg navigieren können. Wir planen über Jahre und Jahrzehnte und haben schon öfter gesagt, dass Clean Energy viel mehr ist als Wasserstoff und Tesla.

TiAM: Inwiefern breit diversifizieren?

In dem wir mit dem Pictet-Clean Energy beispielsweise auch in Energieeffizienz investieren, in Gebäudemanagement oder auch in stromsparende Halbleiter, um nur einige Beispiele zu nennen.

TiAM: Wie wählt Ihr Haus solche Unternehmen aus, die hinsichtlich Clean Energy eine herausragende Rolle spielen?

Im ersten Schritt definieren wir, was wir haben wollen – und was nicht. So ist beispielsweise Kernenergie für uns nicht investierbar. Im zweiten Schritt durchforsten wir das Anlageuniversum nach Unternehmen, die einen substanziellen Teil ihrer Umsätze und Erträge in einem der gesuchten Themenfelder erwirtschaften. Das bildet die Vorauswahl, die dann noch hinsichtlich Liquidität, Volatilität und auch des Reifegrads des Unternehmens in seinem Segment geprüft wird.

TiAM: Und welche Aktien schaffen es schlussendlich ins Portfolio?

Im letzten Schritt wählen die Fondsmanager aus dem investierbaren Universum diejenigen Titel aus, die auch die Management-, Bilanz- und Gewinnanalysen gut bestehen. Daraus wird dann ein konzentriertes und zugleich diversifiziertes Portfolio aus etwa 50 Aktien zusammengestellt.

TiAM: Wie hat sich das Portfolio bislang entwickelt?

Überaus zufriedenstellend. Da wir auch auf Anlagesicherheit und nachhaltige Wirtschaftlichkeit großen Wert legen, haben wir etwas konservativer investiert als einige Mitbewerber, aber damit 2020 doch mit der USD-Tranche einen Wertzuwachs von 53 Prozent erreicht. In der Korrektur im Februar dieses Jahres konnte man wiederum den Vorteil des konservativeren Vorgehens erkennen, in dem die aggressiveren Portfolios deutlich stärker abgestraft wurden.

TiAM: Sehen Ihre Kunden das auch so?

Allerdings! Das zeigt nicht zuletzt das Fondsvolumen, das seit Anfang 2020 von 673 Millionen Euro auf aktuell fast fünf Milliarden Euro angewachsen ist.

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