Wirecard: Darum haben Gläubiger bei Insolvenzen Vorrang vor Aktionären

TiAM FundResearch blickt auf die Woche zurück und gibt einen Ausblick auf die kommenden Tage. Diesmal im Fokus: Wirecard-Aktionäre gehen leer aus. Der BGH hat eine Klage der Union Investment abgewiesen, die dies verhindern wollte. Das Urteil hat weitreichende Wirkung.

17.11.2025 | 07:15 Uhr von «Matthias von Arnim»

Rückblick auf die vergangene Woche

Geht eine Firma Pleite, haben Gläubiger Vorrang, wenn es um die Verteilung der Insolvenzmasse geht. Die Eigentümer – und damit im Falle einer AG die Aktionäre – tragen das volle Risiko einer Gesellschaft. Sie dürfen sich deshalb hintanstellen und hoffen, dass noch etwas vom Kuchen übrigbleibt. In den meisten Fällen ist das nicht viel bis gar nichts. Denn wenn ein Unternehmen überschuldet ist, bedeutet das eben, dass es die Schuldenmasse nicht mehr tragen konnte. Für die Aktionäre heißt das: Pech gehabt. 

Im Falle Wirecard wollte die Union Investment diese Regel durchbrechen und hatte Klage beim Bundesgerichtshof (BGH) eingereicht – wohl auch mit einem guten Gefühl. Denn die Vorinstanz, das Oberlandesgericht (OLG) München, hatte sich noch auf die Seite der Aktionäre gestellt. Doch dieser Vorstoß ist ins Leere gelaufen. Am vergangenen Donnerstag hat der BGH die Klage der Fondsgesellschaft abgewiesen (Az.IX ZR 127/24). Damit bleibt es bei der üblichen Verteilung der Insolvenzmasse. Gläubiger bekommen die noch essbaren Stücke vom Kuchen. Aktionäre dürfen die Krümel aufkehren, die übrigbleiben.

Natürlich sind alle Aktionäre, die sich erhofft hatten, noch ein paar Cent zurückzubekommen, enttäuscht. Allen voran Union Investment und die Inhaber von Fondsanteilen, in denen noch Reste von Wirecard-Aktien stecken. Aber Hand aufs Herz: Der BGH hat weise entschieden. Und niemand sollte sich jetzt beschweren. Aktionäre, die darauf pochen, dass sie als Anteilseigner eines Unternehmens mehr Rechte haben sollten als jemand, der nur sein Geld verleiht, sei gesagt: Ja, haben sie ja auch. Aktionäre haben im Gegensatz zu Gläubigern ein Stimmrecht. Sie können dieses nutzen, um auf Hauptversammlungen Entscheidungen des Vorstands mitzutragen oder zu verhindern. Insofern sind Aktionäre auch in der Verantwortung. Nehmen sie diese nicht wahr, müssen sie mit den Konsequenzen leben. Auch viele Fondsmanager haben sich leichtfertig von Markus Braun und Jan Marsalek blenden lassen. Das muss man ihnen vorwerfen. Insofern müssten etliche Fondsmanager, die ihre Portfolios mit Wirecard-Aktien vollgeladen hatten, heute froh sein, dass sie bis heute nicht selbst von Fondsanlegern verklagt und zur Verantwortung gezogen worden sind. 

Aber es gibt auch noch einen weiteren Grund, warum der BGH weise gehandelt hat. Und dieser Grund ist die Basis unseres kompletten Wirtschaftssystems. Konkret: Alles Gut und Geld auf dieser Welt beruht auf Schulden. Geld wird durch neue Schulden geschaffen. Und Investitionen für mehr Wachstum können nur deshalb getätigt werden, weil diejenigen, die das Kapital dafür zur Verfügung stellen, einen Zins dafür bekommen. Ihr Vertrauen darauf, dass sie ihr verliehenes Geld wieder zurückgezahlt bekommen, hat einen Preis, der in diesem Zins enthalten ist. Es ist der Risikoaufschlag, den Unternehmen (und ihre Eigentümer, also die Aktionäre) zahlen müssen. 

Würden Aktionäre mit Gläubigern in Bezug auf das Gläubigerrisiko gleichgestellt, würde sich die Katze in den Schwanz beißen. Es käme also erstens einem logischen Systemfehler gleich. Zweitens wäre die Folge eines solchen Schrittes, dass sich der Risikoaufschlag bei Anleihen und Krediten um den Prozentsatz erhöhen müsste, der das Risiko für die Aktionäre als gleichberechtigt Begünstigte im Insolvenzfall einschließt. Mit anderen Worten: Die Renditen für Anleihen und die Kreditzinsen würden steigen, in manchen Fällen vielleicht sogar sehr deutlich. 

Dies wiederum würde die Wirtschaft insgesamt schwächen. Die Innovations- und Ertragskraft sowie das Wachstum würden sinken – und damit auch der Spielraum für die Finanzierung von Investitionen. Die Risikoaufschläge würden steigen. Ein Teufelskreis, der fatale Folgen für den Finanzierungsmarkt hätte haben können. 

Insofern kann man vor der Weisheit des BGH nur den Hut ziehen. Wäre der Klage der Union Investment Raum gegeben worden, hätte der Eindruck entstehen können, dass die Logik des Kapitalmarktes in Hinblick auf den Preis von Verantwortung und Risiko verhandelbar sei. Zum Glück steht dies nun nicht mehr zur Diskussion. 

Interessante Termine in den kommenden Tagen

Am Dienstag informiert die EZB-Bankenaufsicht in Frankfurt die Öffentlichkeit zum Stand der Kapitalanforderungen für Banken. Im Supervisory Review and Evaluation Process (SREP) überprüft die Aufsicht regelmäßig unter anderem die Tragfähigkeit des Geschäftsmodells und die Angemessenheit des Risikomanagements von Banken. Im Ergebnis legen die Aufseher individuelle Kapitalzuschläge für Banken fest und bestimmen unter anderem, wie viel Geld die Institute als Dividende an ihre Anteilseigner ausschütten dürfen. 

Am Mittwoch will die EU-Kommission ihre Vorschläge zu ergänzenden Altersvorsorgeprodukten präsentieren. Die Brüsseler Behörde will außerdem eine Überarbeitung der Verordnung über nachhaltige Finanzberichterstattung vorschlagen. Die Vorstöße sind Teil der sogenannten Spar- und Investitionsunion, die in der EU vorangetrieben werden soll. Mit verschiedenen Maßnahmen - etwa dem Zusammenwachsen der Kapitalmärkte der Mitgliedsstaaten, einer besseren finanziellen Bildung der Bürgerinnen und Bürger sowie mehr Spar- und Anlagekonten - sollen mehr Bürger motiviert werden, ihr Geld zu investieren. Die EU möchte, dass sich mehr Kleinanleger an den Finanzmärkten beteiligen, damit mehr Kapital für Verteidigung und für den grünen und digitalen Wandel zur Verfügung steht.

Am Donnerstag jährt sich die Veröffentlichung von Windows 1.0 zum vierzigsten Mal. Am 20. November 1985 hat Microsoft die erste Version des Betriebssystems Windows auf den Markt gebracht. Es war Microsofts erstes Betriebssystem mit einer grafischen Benutzeroberfläche, mehr schlecht als recht abgekupfert von Apples Betriebssystem iOS. Mit einem entscheidenden Unterschied: Vorne simulierten die Fenster modernes Design. Im Hintergrund werkelte immer noch das alte Betriebssystem MS DOS. Daran hat sich bis heute grundsätzlich nichts geändert. Die Dinosauriersoftware ist im Kern auch in  Windows 11 immer noch enthalten. Wer mag, darf den Windows-Jahrestag feiern. Man kann es aber auch einfach lassen. 

Am Freitag endet die Woche mit der Veröffentlichung des Ifo-Geschäftsklimaindex für den Monat November. Das ifo-Geschäftsklima basiert auf monatlichen Meldungen von Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes, des Bauhauptgewerbes, des Groß- und des Einzelhandels. Rund 7.000 Unternehmen beurteilen ihre gegenwärtige Geschäftslage und ihre Erwartungen für die nächsten sechs Monate. Die Erwartungshaltung dürfte nicht besonders hoch sein. Aber man sollte sich nicht einschüchtern lassen. Denn wie heißt es so schön: Die Klage ist des Kaufmanns Gruß.

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